Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personenbeförderungsrechts

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt das beabsichtigte Gesetz zur Modernisierung des Personenförderungsrechts.

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist insbesondere die Schaffung eines Rechtsrahmens für die neuen Mobilitätsangebote, die nicht liniengebunden sind, sehr begrüßenswert.

Andererseits ist der Gesetzentwurf aber auch überarbeitungsbedürftig, da die dort vorgesehenen Regelungen nicht den Anforderungen an die Schaffung von Barrierefreiheit genügen. Die Angebote der Personenbeförderung, die zum ÖPNV gehören unterliegen zwar den Bestimmungen des neu gefassten § 12 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) über Webseiten und mobile Anwendungen. Jedoch droht der Ausschluss beispielsweise der blinden Menschen von der Nutzung der privaten Angebote. Die Barrierefreiheit der dort notwendigen Bezahl- und Buchungsvorgänge muss ebenfalls gesetzlich sichergestellt werden.

Unklar bleibt auch, wie sichergestellt werden kann, dass Nutzer, die auf barrierefreie Fahrzeuge angewiesen sind, diese tatsächlich auch vermittelt bekommen.

1. Zu den Zielen des Gesetzentwurfs und den Maßnahmen der Umsetzung

Zentrales Anliegen des Gesetzentwurfs ist die Schaffung eines Rechtsrahmens für die neuen Mobilitätsangebote, das heißt für alternative Bedienformen bzw. flexible Bedarfsverkehre. Typisch für diese neuen Verkehre ist, dass sie nicht liniengebunden sind und dass der Ein- und Ausstieg an virtuellen Haltestellen erfolgt. Ihre Inanspruchnahme mittels spontaner Bestellung erfolgt in der Regel per App. Die Aufnahme von Fahrwünschen erfolgt digital mit dem Ziel, eine Bündelung ähnlicher Bestellungen zu erreichen. Darüber hinaus führt der Gesetzentwurf auch neue Regelungen für das Taxigewerbe ein.

Die beschriebenen Neuregelungen finden sich vornehmlich in den neuen §§ 44 und 64c Personenbeförderungsgesetz (PBefG), in denen auch die Barrierefreiheit bezogen auf die neuen Verkehre geregelt wird. Dies gilt, gleich ob die Verkehre Teil des ÖPNV oder privat-wirtschaftlich sind. Es bestehen aber empfindliche Regelungslücken, die eine ungehinderte und selbstbestimmte Nutzung der neuen Verkehre durch Menschen mit Behinderungen erschwert, für einzelne Nutzergruppen sogar zum Ausschluss führen kann. Unzureichend geregelt ist beispielsweise die Barrierefreiheit des gesamten Buchungs- und Bezahlvorgangs. Zwar unterliegen de Angebote der Personenbeförderung, die zum ÖPNV gehören, den Bestimmungen des neu gefassten § 12 Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) über Webseiten und mobile Anwendungen. Für die privaten Verkehre gilt dies jedoch nicht. Damit droht der Ausschluss beispielsweise der blinden und sehbehinderten Menschen von der Nutzung der privaten Angebote. Unklar bleibt auch, wie sichergestellt werden kann, dass Nutzer, die auf barrierefreie Fahrzeuge angewiesen sind, diese tatsächlich auch vermittelt bekommen. Zudem fehlt aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ein Verweis auf § 35a Absatz 4a Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO), um sicherzustellen, dass die Beförderung von im Rollstuhl sitzenden Personen entsprechend den Regeln der Technik erfolgt.

Für den Personenfernverkehr mit Fernlinienbussen begrüßt die BAG SELBSTHILFE ausdrücklich, dass ein Verstoß gegen die Auflage zur Barrierefreiheit nach § 42b PBefG (Technische Anforderungen) nun erstmalig als bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit geahndet werden kann.

Im Einzelnen ist zu den Regelungen des Gesetzentwurfs Folgendes auszuführen:

2.1. Zu § 44 (neu) PBefG (Linienbedarfsverkehr)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt ausdrücklich, dass der Linienbedarfsverkehr als Linienverkehr im ÖPNV gemäß § 8 Absatz 1 PBefG gilt. Wie in der Begründung zum Gesetzentwurf zu Nr. 21 (Seite 34) explizit dargelegt wird, kommt durch diese Zuordnung § 8 Absatz 3 PBefG zur Anwendung, wonach über das Instrument des Nahverkehrsplans die vollständige Barrierefreiheit bis zum 1. Januar 2022 zu erreichen ist, es sei denn, Ausnahmen werden im Nahverkehrsplan konkret benannt und begründet.

Es ist anzunehmen, dass durch die erstmalige rechtliche Klarstellung moderne bedarfsgesteuerte Linienverkehre neu entstehen und damit in Zukunft auch zahlreiche kleinere Fahrzeuge, wie Pkw und Kleinbusse, angeschafft werden. Bislang verfügen aber viele Aufgabenträger nicht über einschlägige Erfahrungen mit der Anschaffung und dem Einsatz barrierefreier kleinerer Fahrzeuge. Der herkömmliche Bedarfsverkehr zum Beispiel mit Rufbussen oder auch der den Linienverkehr ersetzende, ergänzende und verdichtende Taxieinsatz waren bislang häufig Randerscheinungen, bei denen die Barrierefreiheit oft vernachlässigt wurde. Jetzt kommt es darauf an, zeitgemäße, das heißt barrierefreie Lösungen anzubieten. Damit dies sichergestellt ist, fordert die BAG SELBSTHILFE in die Begründung zum Gesetzentwurf zu Nr. 21 (nachfolgend dem Satz: „Das heißt: auch die Maßgaben an die Barrierefreiheit nach § 8 Absatz 3 finden Anwendung.“) eine Ergänzung mit dem Hinweis auf § 35a Absatz 4 StVZO aufzunehmen, nach dem Personenkraftwagen, in denen Rollstuhlnutzende, die im Rollstuhl sitzend befördert werden, über bestimmte Rückhaltesysteme verfügen müssen.

1.2. Zu § 64c (neu) PBefG (Barrierefreiheit)

Die BAG SELBSTHILFE befürwortet die Vorgabe eines Richtwerts von fünf Prozent barrierefreier Fahrzeuge für den Verkehr mit Taxen und beim gebündelten Bedarfsverkehr. Da es sich hierbei lediglich um einen Richtwert handelt, befürchten wir, dass bei der Interpretation der Mindestverfügbarkeit der vorzuhaltenden barrierefreien Fahrzeuge der Richtwert zugunsten der Unternehmer ausgelegt wird, weil

a) nicht geregelt wird, wie viele barrierefreie Fahrzeuge ein Unternehmer vorhalten muss, der zum Beispiel über 39, 59 usw. Fahrzeuge verfügt,

b) nicht geregelt ist, ob bei der Bemessungsgröße für das Vorhalten barrierefreier Fahrzeuge die für den Unternehmer tätigen Subunternehmer eingerechnet werden oder nicht.

Darüber hinaus halten wir für die Abdeckung des Bedarfs an barrierefreien Fahrzeugen insbesondere im ländlichen Raum ein barrierefreies Fahrzeug ab einer Betriebsgröße von zehn Fahrzeugen für unerlässlich.

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE muss im § 64c unbedingt klargestellt werden, welche Anforderungen der Barrierefreiheit von Fahrzeugen zu erfüllen sind. Hier dürfen keine beliebigen Vorgaben einer Nutzung durch Fahrgäste mit unterschiedlichen Einschränkungen entgegenstehen. Es müssen technische Regeln greifen, die es zum Beispiel auch Menschen, die im Rollstuhl sitzend befördert werden müssen, ermöglichen, das Mobilitätsangebot zu nutzen.

Die BAG SELBSTHILFE fordert daher die Ausstattung der Fahrzeuge ausdrücklich an die Bestimmungen des § 35a Absatz 4a StVZO zu binden und dies auch im
§ 64c (neu) PBefG zu benennen.
Eine solche Klarstellung dient nicht zuletzt der Absicherung der Fahrzeugbetreiber, eine gefahrlose Beförderung betroffener Fahrgäste durchzuführen.

Da die neuen Bedarfsverkehre praktisch ausschließlich von Vermittlungsdiensten über App- beziehungsweise Smartphone-Steuerung angeboten werden, muss zudem gewährleistet sein, dass sämtliche Fahrgastinformationen sowie Buchungs- und Bezahlvorgänge barrierefrei funktionieren. Die BAG SELBSTHILFE fordert daher die verbindliche Einführung der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV 2.0) als technische Regel, damit die Mobilitätsangebote zum Beispiel auch blinden und sehbehinderten Menschen tatsächlich zur Verfügung stehen. Diese Einführung muss ausdrücklich geschehen, da die BITV 2.0 wohl für die barrierefreie Gestaltung moderner Informations- und Kommunikationstechnik gilt, bislang aber nur für öffentliche Stellen eingeführt ist.

Das Vorhalten barrierefreier Fahrzeuge macht außerdem nur Sinn, wenn sie auch treffsicher an Fahrgäste vermittelt werden, die solche Fahrzeuge bestellt haben. Daher ist es aus Sicht der BAG SELBSTHILFE unabdingbar, dass die digitalen Plattformen beziehungsweise Vermittlungsdienste mit präzisen Filterfunktionen ausgestattet sind, durch die barrierefreie Fahrzeuge zuverlässig identifiziert und geschickt werden können.

Die Veränderungen durch die neuen Mobilitätsangebote und die erstmaligen Vorgaben durch den Gesetzentwurf schaffen eine Reihe von bislang nicht vorhandenen Tatbeständen. Da in vielen Belangen die zielgerichtete Praktikabilität hinsichtlich der Barrierefreiheit nur schwer einzuschätzen ist, hält die BAG SELBSTHILFE eine Evaluierung der erreichten Barrierefreiheit unter Beteiligung der Verbände von Menschen mit Behinderungen nach fünf Jahren für unverzichtbar. Die Evaluierung muss aus Sicht der BAG SELBSTHILFE Vorgabe im PBefG sein, eine Empfehlung dazu, wie in der Begründung (zu Nr. 31, Seite 41), reicht hier nicht aus.

1.3. Zur Änderung des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs  (RegG)

In der Begründung zu Artikel 2 des Gesetzentwurfs (Seite 41) wird aus gutem Grund darauf verwiesen, dass die Unterversorgung mit Angeboten des Öffentlichen Personennahverkehrs in ländlichen Regionen und städtischen Randlagen überwunden werden soll. Als geeignetes Mittel wird der zu verstärkende und mit öffentlichen Mitteln zu finanzierende Taxenverkehr genannt. Dieser Zielvorstellung stimmt Die BAG SELBSTHILFE vom Grundsatz her zu, vorausgesetzt, die Förderung wird an die Barrierefreiheit der Fahrzeuge gebunden. Wir haben allerdings erhebliche Zweifel, ob die beabsichtigte Ergänzung in § 2 Regionalisierungsgesetz (Begriffs-bestimmung) alleine schon ausreichend ist, dieses Ziel zu erreichen.

Es bleibt völlig unklar, dass und wie es beim bestehenden Verteilerschlüssel des Regionalisierungsgesetzes erreicht werden könnte, Mittel für den genannten Taxenverkehr bereitzustellen. Vor allem vor dem Hintergrund, dass von den Ländern nur ein kleiner Prozent-atz von Mitteln für den Öffentlichen Personennahverkehr und der allergrößte Teil für den Schienenpersonennahverkehr vorgesehen und verwendet wird, kann hier de facto wohl keine Lösung erwartet werden.

Daher muss es aus Sicht der BAG SELBSTHILFE gelingen, eine stimmige Ergänzung in § 6 RegG (Verwendung) zu erwirken.

Sollte dies nicht gelingen beziehungsweise von vornherein aussichtslos sein, fordert die BAG SELBSTHILFE ein gesondertes Förderprogramm des Verkehrs mit barrierefreien Taxen zur Beseitigung der Unterversorgung mit Mobilitätsangeboten durch den Öffentlichen Personennahverkehr in ländlichen Gebieten und städtischen Randlagen.

Denkbar wäre aus unserer Sicht auch ein entsprechendes Ergänzungsprogramm zur neuen Richtlinie zur Förderung des Absatzes von elektrisch betriebenen Fahrzeugen des BMWI vom 21. Oktober 2020.

1.4. Zu § 3 Mobilitätsdatenverordnung (Datenbereitstellung)

Die in der Mobilitätsdatenverordnung geregelte Bereitstellungspflicht von Daten zur Beförderung von Personen im Linienverkehr, zu Zugangsknoten wie zum Beispiel Haltestellen und Bahnhöfen und zu nachfrageorientierten Mobilitätsangeboten und deren Ausstattung soll einer effektiven Kontrolle von Vorhaben des PBefG sowie hieran anknüpfender Rechtsverordnungen dienen. Diese Bereitstellung der Daten dient nicht zuletzt dazu, die Umsetzung von Anforderungen der Barrierefreiheit zu überprüfen.

Auffällig ist, dass nach § 3 Mobilitätsdatenverordnung die Barrierefreiheit im Zusammenhang mit den Fahrzeugen im Linienverkehr, bei nachfrageorientierten Mobilitätsangeboten und bei den Zugangsknoten erhoben werden muss, nicht aber zu den Bezahl- und Buchungsmöglichkeiten sowie den Informationen, die die Verkehrsleister Fahrgästen zur Verfügung stellen.

Im Sinne unserer Forderung, sämtliche Fahrgastinformationen sowie Buchungs- und Bezahlmöglichkeiten barrierefrei anzubieten, müssen sowohl in § 3 Absatz 1a und b Mobilitätsdatenverordnung sowie in der Anlage unter „Daten zur Beförderung von Personen im Linienverkehr“ und „Daten zu nachfrageorientierten Verkehrsangeboten“ entsprechende Ergänzungen vorgenommen werden.

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sollte den Verbänden von Menschen mit Behinderungen ein angemessener Zugang zu den für die Barrierefreiheit relevanten Daten zugesichert werden.

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