Auch die Weiterentwicklung der Gesellschaft für Telematik zur Digitalagentur wird von der BAG SELBSTHILFE grundsätzlich begrüßt, um dem Digitalisierungsprozess neue Dynamik zu verleihen.
Leider sieht der Entwurf bislang keine strukturellen und prozeduralen Maßnahmen vor, um sicherzustellen, dass die Digitalisierung durch die Digitalagentur künftig konsequent im Hinblick auf den Patientennutzen und die Patientenperspektive gestaltet wird.
Für hochproblematisch und verfassungsrechtlich bedenklich hält die BAG SELBSTHILFE die Vorschrift des § 386a SGB V n.F., da sie Leistungserbringern die Möglichkeit gibt, personenbezogene Daten der Patienten von Herstellern informationstechnischer Systeme ohne Einwilligung der Patienten anzufordern und zu nutzen. Andererseits sollen Patientinnen und Patienten jedoch nicht die Möglichkeit erhalten, Einblick in die Daten zu nehmen, die sie betreffen und die in informationstechnischen Systemen gespeichert sind, oder gar diese Daten für eigene Zwecke zu nutzen.
Vollkommen unverständlich ist dann, dass ein Schadensersatzanspruch für das Unterbleiben der entsprechenden Datenerbringungsleistung zu einem Schadensersatzanspruch des Leistungserbringers, aber nicht des Patienten führen soll (§ 386a Abs. 4 SGB V-E).
Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass Patientinnen und Patienten zunehmend als Objekt des Geschehens begriffen werden, wenn es um die Digitalisierung des Gesundheitswesens geht. Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE muss hier ganz grundlegend umgedacht werden.
Im Einzelnen ist zum vorliegenden Gesetzentwurf Folgendes auszuführen:
1. § 284 Abs. 2a SGB V
Auch wenn davon ausgegangen wird, dass den Kassen der Einsatz von KI-Systemen und KI-Modellen erlaubt ist, dann wäre es Sache des Gesetzgebers hierfür zunächst die Rahmenbedingungen einschließlich eines effektiven Kontroll- und Sanktionsmechanismus zu etablieren. Dies ist bislang nicht der Fall. Die Verankerung, dass der Test und das Training von KI-Systemen und KI-Modellen mit Realdaten zulässig ist, führt zum Umkehrschluss, dass der Einsatz dann erst Recht ohne weitere Regelungsnotwendigkeit erlaubt ist.
Eine Test- und Trainingssituation kann auch durch die Verwendung synthetischer Daten erfolgen, ohne dass hierbei schlechtere Ergebnisse zu erwarten sind. Deshalb sollten auch die Realdaten nicht dazu verwendet werden, solange ein effektiver Kontroll- und Sanktionsmechanismus noch nicht etabliert ist.
2. § 295 Absatz 2b SGB V
Die Schaffung einer einheitlichen zentralen Schnittstelle durch die KBV wird begrüßt
3. § 303e Abs. 4b SGB V
Es sei hier darauf hingewiesen, dass der Nutzung der GKV-Routinedaten, die im Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) zu Forschungszwecken pseudonymisiert verwendet werden, durch den Betroffenen nicht widersprochen werden kann. Dies ist den Betroffenen in der Regel nicht bewusst. Freiwillige des Panels Gesundheit in Deutschland geben bestimmte für sie überschaubare Daten frei. Wenn ohne ihre Zustimmung jedoch weit darüber hinausgehende Gesundheitsdaten mit diesen Daten verknüpft werden, ermöglicht dies einen Einblick in die Intimsphäre dieser Personen, ohne dass diese der Verknüpfung und Nutzung der Daten insgesamt zugestimmt haben. Daher spricht sich die BAG SELBSTHILFE explizit gegen die Zusammenführung der Daten aus.
Es ist auch nicht zu erwarten, dass durch die Zusammenführung der Daten wesentliche neue Erkenntnisse gewonnen werden. Denn wir wissen seit langem, welche Faktoren die entscheidenden Gesundheitsrisiken darstellen. Dazu gehören Existenzängste, dauerhafter Stress (z.B. bei Pflege von Angehörigen), Armut, zu wenig Bewegung etc. Die bereits erkannten Gesundheitsrisiken werden jedoch gar nicht angegangen. Weder werden in den Schulen Konzepte zum Lernen in Bewegung umgesetzt, noch wird sichergestellt, dass die arbeitende Bevölkerung regelmäßig einen schnellen Zugang zu bezahlbarem guten Essen während der Arbeitszeit hat, noch wird ausreichend tatkräftige Unterstützung bei der häuslichen Pflege von An- und Zugehörigen sichergestellt.
4. § 311 Absatz 1 Nr. 8 SGB V
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, die Aufgaben und Befugnisse der Digitalagentur zur Schaffung von Interoperabilität erheblich zu erweitern. Leider wird das Thema der Interoperabilität jedoch nur auf die Daten des Versorgungsgeschehens selbst bezogen. Es fehlt die Qualitätssicherung. Auch hierfür sollte die Digitalagentur Gesundheit die Zuständigkeit erhalten, wenn es darum geht, relevante Daten der Patientensicherheit kurzfristig und zielgerichtet an die zuständigen Institutionen / Leistungserbringer weiterzuleiten. Zu denken ist hier beispielsweise an digital unterstützte Meldungen zur Arzneimittelsicherheit aus der Telematik-Infrastruktur heraus.
5. § 311 Absatz 1 Satz 1 Nr. 24 SGB V
Es ist für die Akzeptanz der Digitalisierung in der Bevölkerung und auch für deren Nutzenpotentiale essentiell, dass die Entscheidungsfindungsprozesse ganz bewusst auch aus der Patientenperspektive heraus mitgestaltet werden.
Die Digitalagentur sollte daher aus Sicht der BAG SELBSTHILFE die Aufgabe erhalten, nach dem Vorbild des § 140f Absatz 6 SGB V eine Stabsstelle zu schaffen, die die maßgebliche Patientenorganisationen fachlich unterstützt, um die Digitalisierungsprozesse aus Patientensicht mitzugestalten.
Hierzu sollte auch ein Patientenbeirat bei der Digitalagentur eingerichtet werden. Die von den maßgeblichen Patientenorganisationen zu benannten sachkundigen Personen sollten für ihre Tätigkeit Reisekostenerstattung, Aufwandentschädigung und ggf. Verdienstentgang erhalten (vgl. § 140f Absatz 6 SGB V).
Es ist längst überfällig, dass sich die digitale Transformation des Gesundheitswesens viel stärker daran orientiert, wie die Patient Pathways optimiert werden können. Hierfür muss die Mitarbeit der Patientenvertretung in den Entscheidungsfindungsprozess erheblich intensiviert werden. Dies gilt auch für den Aspekt der Schaffung einer höheren Transparenz der Versorgungssituation und -abläufe aus der Patientenperspektive.
6. § 311 Absatz 1 Satz 1 Nr. 25 SGB V
Die digitale Transformation muss das Ziel verfolgen, dass die Patientinnen und Patienten künftig handlungssicher den für sie jeweils besten Point of Care im Gesundheitssystem schnellstmöglich finden können.
Daher sollte die Schaffung von Transparenz über die Strukturen und Abläufen im Gesundheitswesen aus Patientensicht explizit mit in den Aufgabenkatalog der Digitalagentur aufgenommen werden.
7. § 311 Absatz 1 Satz 5 SGB V
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sollte das Bundesministerium für Gesundheit auch dafür Sorge tragen, dass die Entscheidungsfindungsprozesse in der Digitalagentur immer dann unter Beteiligung der Patientenvertretung stattzufinden haben, wenn es um patientenrelevante Belange geht.
Daher sollte aus Sicht der BAG SELBSTHILFE nach § 311 Absatz 1 Satz 3 n.F. SGB V nachfolgender Satz 4 angefügt werden:
„In der Rechtsverordnung nach § 140g SGB V regelt das Bundesministerium für Gesundheit die Mindestanforderungen für die Beteiligung sachkundiger Personen nach § 140f SGB V an den Entscheidungsfindungsprozessen in der Digitalagentur, die die Belange der Patientinnen und Patienten betreffen“.
8. § 338 SGB V
Die BAG SELBSTHILFE spricht sich ausdrücklich gegen die Streichung von Abs. 1 aus. Bislang ist nicht gesichert, dass eine barrierefreie Nutzung der digitalen Anwendungen der TI für die Patientinnen und Patienten auch tatsächlich umfassend möglich ist. Ebenso wenig ist bislang hinreichend umgesetzt, dass Menschen ohne Smartphone Teilhabe an den Möglichkeiten der Digitalisierung des Gesundheitswesens haben können. Hier sollte die gematik nicht aus der Verantwortung genommen werden, da viele Optionen der Barrierefreiheit wesentlich durch die technischen Entwicklungen der gematik vorbestimmt werden.
9. § 354 Absatz 4 SGB V
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt ausdrücklich, dass die Kompatibilität zwischen der elektronischen Patientenakte und den Digitalen Gesundheitsanwendungen künftig sichergestellt werden soll.
10. § 386a SGB V
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es verfassungsrechtlich bedenklich und auch sonst klar abzulehnen ist, dass künftig Daten aus informationstechnischen Systemen und aus digitalen Gesundheitsanwendungen ohne Einwilligung der Patientinnen und Patienten von Leistungserbringern angefordert werden dürfen.
Besonders fragwürdig ist, dass nach § 386a Absatz 2 SGB V sogar die Kassenärztlichen Vereinigung ermächtigt werden sollen, im Auftrag der Leistungserbringer ohne Einwilligung der Patienten die Daten anzufordern.
Umgekehrt fehlt es in § 386a an einer Vorschrift, die sicherstellt, dass auch die Patientinnen und Patienten selbst ihre Daten (!), die in informationstechnischen Systemen bzw. digitalen Gesundheitsanwendungen hinterlegt sind, einzusehen und für eigene Zwecke zu nutzen.
Der Hinweis auf § 630 g BGB ist insoweit nicht ausreichend.
Leider zeigt die vorgeschlagene Version des § 386a SGB V sehr deutlich, dass die Gefahr besteht, dass die digitale Transformation insofern zu einem Rückschritt führt, dass der Patient nur noch als Objekt des Geschehens betrachtet wird.
11. § 386b SGB V
Analog zu § 386b SGB V sollte der Stiftung nach § 65b SGB V explizit die Aufgabe übertragen werden, für die Versicherten Beratungs- und Unterstützungsangebote in Fragen der Digitalisierung der Versorgungsprozesse sowie die Wahrung der Patientenautonomie im Rahmen der digitalen Transformation des Gesundheitswesens sicherzustellen.
Es ist merkwürdig, dass auch hier nur die Informationsbedarfe der Behandlerinnen und Behandler vom Gesetzgeber in den Blick genommen werden.
12. § 6 Abs. 1 Nr. 2 GDNG
Hier gilt das zu § 284 Abs. 2a SGB V-E Gesagte entsprechend.