Knapp eineinhalb Jahre nach Eröffnung ihrer Meldestellen bei Gewalt in der Pflege in Magdeburg und Erfurt zieht die BAG SELBSTHILFE eine alarmierende Bilanz. Die Angebote der Meldestellen werden stark frequentiert, denn die Lebenssituation von vielen Pflegebedürftigen und deren Angehörigen ist nach wie vor häufig von Gewalt bestimmt. Die Ursachen dafür sind Hilflosigkeit und Überforderung, aber auch Unzulänglichkeiten aus stationären und ambulanten Einrichtungen werden gemeldet. Finanzielle Mittel fehlen, die eine selbstbestimmte und qualitativ hochwertige Pflege möglich machen.
„Wir sehen dringenden Handlungsbedarf seitens der Bundesregierung, den Pflegebedürftigkeitsbegriff jetzt dahingehend neu zu definieren, dass der Hilfebedarf eines Menschen ganzheitlich beurteilt wird, also auch seelische, geistige und körperliche Einschränkungen. Denn in Fachgremien ist man sich einig, dass die Pflegebedürftigkeit nicht sachgerichtet bestimmt wird, indem man mit der Stoppuhr misst, wie lange jemand zur Ausübung seiner täglichen Verrichtungen braucht. Daher ist der sogenannte verrichtungsbezogene Pflegebedürftigkeits-begriff aufzugeben und durch ein modernes Verständnis von Pflegebedürftigkeit zu ersetzen. Darüber hinaus ist eine umfassende Reform der Pflegeversicherung umgehend umzusetzen.“, fordert Dr. Martin Danner, Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE.
Die Situation der Pflege in Deutschland ist seit Jahren bedenklich und wird von der BAG SELBSTHILFE angemahnt. „Die Anhebung der Pflegesätze sowie Leistungsverbesserungen sind dringend notwendig. Es müssen aber auch die Ursachen für Gewalt in der Pflege umfassend bekämpft werden.“, erklärt der Bundesgeschäftsführer der BAG SELBSTHILFE. „Stress und überlastetes Personal schaffen den Boden für Gewalt. Deshalb fordern wir den Einsatz von geschultem Personal, das Erfahrungen im Erkennen von potentiellen Konfliktherden aufweist, die zu Gewalt führen können. Darüber hinaus sind nachweisliche Kompetenzen für Pflegekräfte im Bereich der Deeskalation unverzichtbar.“
Mit § 45d SGB XI existiert eine Vorschrift zur Förderung der Selbsthilfe. „Diese Norm ist mit Leben zu füllen, um Selbsthilfezusammenschlüsse im Bereich der Pflege zu unterstützen. Denn wenn sich Menschen zusammenschließen, können sie sich gegenseitig unterstützen.“, so Dr. Martin Danner.
Überwiegend pflegende Angehörige, aber auch Pflegebedürftige selbst suchen unabhängige Beratung und Hilfe in den Meldestellen bei Gewalt in der Pflege der BAG SELBSTHILFE. Sie bestätigen, dass die Lebenssituation von Pflegebedürftigen in Deutschland auch heute noch häufig von Ruhigstellung durch Medikamente in den Heimen, unprofessioneller und durch Überforderung gezeichneter Pflege sowie mangelnder Zuwendung geprägt ist. Dieser menschenunwürdige Zustand bleibt erschreckend. Auch fehlen Modelle zur Unterstützung der pflegenden Angehörigen sowie dem professionellen Pflegepersonal.
Die Meldestellen der BAG SELBSTHILFE wurden Ende des Jahres 2012 zunächst in Magdeburg und Erfurt eingerichtet. Sie bieten Opfern von Gewalt in der Pflege – ganz gleich ob Patient oder Pflegender – vielseitige Hilfe und Unterstützung an. So werden z. B. Präventions- und Krisengespräche geführt und konkrete Hilfestellungen bei vorhandenen Konflikten gegeben. Im Gespräch mit speziell geschulten Ansprechpartnern werden den Betroffenen Lösungsansätze bei problematischen Situationen geboten sowie präventive und auch langfristige Deeskalationskonzepte zur Verfügung gestellt. Diese sollen bei körperlichen Angriffen von Patientinnen und Patienten oder bei durch Überforderung entstandener Eigenaggression der Pflegenden wirksam eingesetzt werden. Die Meldestellen vermitteln darüber hinaus Zugang zum bestehenden Selbsthilfe-Netzwerk des Dachverbandes, das für die Betroffenen weitere Hilfsangebote bereitstellt. Die Adressen der jeweiligen Meldestellen sowie die Öffnungszeiten stehen unter www.gewaltinderpflege.de zur Verfügung.