Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe

Für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem o.g. Referentenentwurf der Bundesregierung zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe möchten wir uns herzlich bedanken. Als Dachverband von 123 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 12 Landesarbeitsgemeinschaften nehmen wir zu dem Referentenentwurf wie folgt Stellung:

1. Aktuelle Gesetzeslage:

Im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe nach SGB VIII werden junge Menschen (Kinder, Jugendliche und junge Volljährige), welche in einer Pflegefamilie oder einer Einrichtung oder sonstigen Wohnformen der Kinder- und Jugendhilfe leben und ein eigenes Einkommen besitzen, zu den Kosten der Leistung der Kinder- und Jugendhilfe aus ihrem Einkommen herangezogen. Das Gleiche gilt ebenfalls für alleinerziehende Mütter oder Väter mit ihrem Kind, welche nach § 19 SGB VIII in einer gemeinsamen Wohnform untergebracht sind (sog. Leistungsberechtigte).

Mit dem vorliegenden Referentenentwurf sollen somit zukünftig folgende Personengruppen von der bisherigen Pflicht zur Kostenheranziehung befreit werden:

  • junge Menschen, welche in einer Pflegefamilie bzw. einer Einrichtung oder sonstigen Wohnform der Kinder und Jugendhilfe leben,
  • Leistungsberechtigte nach § 19 SGB VIII,
  • Ehegatten oder Lebenspartner junger Menschen sowie Ehegatten bzw. Lebenspartner von Leistungsberechtigten nach § 19 SGB VIII.

Dies gilt sowohl für das Heranziehen zu den Kosten von stationären als auch von teilstationären Leistungen. Bei ambulanten Maßnahmen ist grundsätzlich keine Kostenheranziehung vorgesehen.

Mit dieser geplanten Gesetzesänderung im SGB VIII sollen nunmehr zukünftig nur die Eltern bzw. Elternteile aus ihrem Einkommen zu den Kosten herangezogen werden.

Nach § 94 VI SGB VIII haben junge Menschen sowie Leistungsberechtigte nach § 19 SGB VIII bis zu 25 % ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen. Ebenfalls sind auch Ehegatten und Lebenspartner der jungen Menschen sowie Leistungsberechtigten im Sinne von § 19 SGB VIII zu den Kosten aus ihrem Einkommen heranzuziehen, jedoch abhängig von der Höhe ihres Einkommens (§ 94 V SGB VIII).

2. Begründung eines Änderungsbedarfes:

Diese gesetzlichen Regelungen widersprechen jedoch nach Auffassung der Bundesregierung sowie auch schon seit längerem der Auffassung der Sozialverbände sowie Verbände von Menschen mit Behinderungen dem gesetzlichen Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe, junge Menschen darin zu unterstützen, sich zu selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu entwickeln. Denn junge Menschen sollen gerade darin gestärkt werden, für ihr Leben selbst Verantwortung zu übernehmen, um auch ein eigenständiges Leben führen zu können. Wachsen junge Menschen außerhalb ihrer Herkunftsfamilie auf, so haben sie mit zusätzlichen Herausforderungen umzugehen und dadurch bedingt einen schwierigeren Start in ein eigenständiges Leben.

Dieser Start wird nach Auffassung der jetzigen Bundesregierung nochmals erschwert dadurch, dass sie einen Teil ihres Einkommens abgeben müssen, welches sie z.B. im Rahmen eines Schüler- oder Ferienjobs oder auch anlässlich ihrer Ausbildung verdienen. Das Erreichen selbstgesteckter Ziele wird somit insgesamt erschwert bzw. dauert auch insgesamt länger. Die Folge ist, dass durch dieses Regelungssystem zur Kostenheranziehung die Motivation insbesondere für junge Menschen, sich Ziele zu setzen, gedämpft wird. Dies hat zur Konsequenz, dass eine Ausbildung oftmals erst gar nicht begonnen wird; dadurch werden nicht nur die Chancen der jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt eingeschränkt, sondern den jungen Menschen fehlen insbesondere auch Mittel, um sich letztlich finanziell unabhängig zu machen.

3.Zielsetzung des Referentenentwurfes:

Es ist somit laut Begründung des vorliegenden Referentenentwurfes das Ziel, mit der Abschaffung der Kostenheranziehungspflicht junger Menschen zum einen dem Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe Rechnung zu tragen und zum anderen auch die Entwicklung junger Menschen zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten zu unterstützen. Es ist mithin kontraproduktiv, so die Bundesregierung, wenn sie einen Teil ihres Einkommens abgeben müssen. Mit dieser geplanten Gesetzesänderung im SGB VIII soll nach Ansicht der jetzigen Bundesregierung auch erreicht werden, die Armut bei jungen Menschen, welche in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe bzw. Pflegefamilien leben, zu begrenzen. Außerdem werde das geplante Regelungsvorhaben auch dazu beitragen, eine zu große Ungleichheit innerhalb Deutschlands zu verhindern, indem junge Menschen, welche einen schwierigeren Start in das Erwachsenenleben haben, gerade weil sie außerhalb ihres Elternhauses aufwachsen, motiviert und unterstützt werden, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder auch eine Ausbildung zu beginnen. Dadurch seien die Chancen auf dem Arbeitsmarkt dieser jungen Menschen wesentlich erhöht und eine Benachteiligung gegenüber jungen Menschen, welche in ihrem Elternhaus aufwachsen, werde verringert.

4. Nachbesserungsbedarfe:

Die BAG Selbsthilfe sowie ihre Mitgliedsverbände begrüßen grundsätzlich dieses Vorhaben der Bundesregierung, welches auch im Koalitionsvertrag formuliert ist.

Allerdings besteht nach unserem Dafürhalten auch in einigen Punkten ein erheblicher Nachbesserungsbedarf, insbesondere, was vergleichbare Regelungen für behinderte Menschen, welche Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX beziehen, angehen.

Was die Kostenbeteiligung bei Leistungen der Eingliederungshilfe im SGB IX angeht, so sind diese Leistungen nach wie vor abhängig von Einkommen und Vermögen der Antragstellenden, allerdings hat sich die Kostenbeteiligung durch das Bundesteilhabegesetz zum 01.01.2020 erheblich verändert. Insbesondere ist die Einkommensbeteiligung neu geregelt und ein deutlich höherer Vermögensfreibetrag eingeführt worden.

Wie zukünftig im SGB VIII der Kinder- und Jugendhilfe geregelt werden soll, wird bereits seit dem 01.01.2020 Einkommen und Vermögen der nicht getrenntlebenden Ehegatten oder Lebenspartner von Menschen mit Behinderung, die Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX beziehen, nicht mehr berücksichtigt und angerechnet.

Damit kommt es seit dem 01.01.2020 mit dem Bundesteilhabegesetz nur noch auf das Einkommen und Vermögen des (volljährigen) Menschen mit Behinderung an. Die Regelungen zum 01.01.2020 bestimmen sich insbesondere nach den §§ 135 ff. SGB IX. So wird nach § 136 Abs. 1 SGB IX das Einkommen der antragstellenden Person selbst (bei Volljährigkeit) sowie bei minderjährigen behinderten Personen auch das Einkommen der im Haushalt lebenden Eltern oder des im Haushalt lebenden Elternteils berücksichtigt. Übersteigt nach diesen vorgenannten Regelungen das Einkommen einer leistungsberechtigten Person die für sie maßgebliche Einkommensgrenze, so hat sie einen eigenen Betrag nach den Regelungen der §§ 137 ff. SGB IX zu leisten. Bei minderjährigen Leistungsberechtigten ist das Einkommen der im Haushalt lebenden Elternteile maßgebend.

Allerdings gibt es auch Ausnahmen im SGB IX, d. h. Menschen mit Behinderung bzw. deren einstandspflichtige Eltern eines Minderjährigen müssen sich nicht an jeder Leistung der Eingliederungshilfe finanziell beteiligen. Bei bestimmten gesetzlich abschließend benannten Leistungen müssen der volljährige, behinderte Mensch oder die Eltern eines minderjährigen Kindes mit Behinderung weder einen Teil ihres Einkommens noch vorhandenes Vermögen zur Finanzierung der Leistung einsetzen. Vielmehr hat im Sinne der Vorschrift des § 138 Abs. 1 SGB IX der Träger der Eingliederungshilfe folgende Leistungen kostenfrei zu gewähren:

  • Heilpädagogische Leistungen für Kinder, die noch nicht eingeschult sind,
  • Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach § 109 SGB IX,
  • Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 112 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX,
  • Leistungen zur Teilhabe an Bildung nach § 112 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX,
  • Leistungen zur schulischen und hochschulischen Ausbildung oder Weiterbildung für einen Beruf nach § 112 Abs. 1 Nr. 2 SGB IX, soweit Leistungen in besonderen Ausbildungsstätten über Tag und Nacht für Menschen mit Behinderungen erbracht werden,
  • Leistungen zum Erwerb und Erhalt praktischer Kenntnisse und Fähigkeitennach § 113 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX, soweit diese der Vorbereitung auf die Teilhabe   am Arbeitsleben nach § 111 Abs. 1 SGB IX dienen,
  • Leistungen nach § 113 Abs. 1 SGB IX, die noch nicht eingeschulte  leistungsberechtigten Personen die für sie erreichbare Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglichen sollen,
  • gleichzeitiger Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II oder SGB XII oder nach § 27a des Bundesversorgungsgesetzes.

Im Jahr 2022 beträgt der Vermögensfreibetrag 59.220,00 €. Von diesem Vermögensfreibetrag allerdings profitieren Leistungsberechtigte nach dem SGB IX nur, wenn sie ausschließlich Leistungen der Eingliederungshilfe beziehen. Erhalten Sie neben der Eingliederungshilfe z.B. auch Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII, gilt für diese existenzsichernde Leistung ein Vermögensfreibetrag von 5.000,00 €. Das diesen Betrag übersteigende Vermögen muss in diesem Fall für die Grundsicherung eingesetzt werden.

Dies bedeutet somit, dass im Rahmen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX grundsätzlich der volljährige behinderte Mensch nach wie vor sich an den Kosten zu beteiligen hat, sofern kein Tatbestand der abschließend geregelten, privilegierten Leistungen i.S. von § 138 SGB IX greift und auch nach wie vor die Eltern von minderjährigen behinderten Kindern aus ihrem Einkommen und Vermögen zu den Leistungen der Eingliederungshilfe herangezogen werden.

Diese Regelung im SGB IX für junge volljährige Menschen bedeutet somit eine Ungleichbehandlung zu den jungen volljährigen Menschen, welche Eingliederungshilfe nach der Vorschrift des § 35a SGB VIII erhalten. Zwar haben grundsätzlich nach der Vorschrift des § 35a Abs. 1 S. 1 SGB VIII nur Kinder und Jugendliche einen Anspruch auf Eingliederungshilfe, wenn ihre seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für Ihr Lebensalter typischen Zustand abweicht, und daher Ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist oder eine solche Beeinträchtigung droht.

Allerdings sieht das Kinder- und Jugendhilferecht auch Hilfe für junge Volljährige vor, und zwar ist diese Personengruppe gemäß der Norm des § 41 Abs. 2 SGB VIII ausdrücklich in Eingliederungshilfeleistungen nach dem § 35a SGB VIII einbezogen. Ein junger Volljähriger hat nach § 41 Abs. 1 HS 1 SGB VIII einen Anspruch auf Eingliederungshilfeleistungen, „wenn und solange eine selbstbestimmte, eigenverantwortliche und selbstständige Lebensführung nicht gewährleistet ist.“ Diese Hilfen zielen somit auf eine „erkennbare Verbesserung der Persönlichkeitsentwicklung“ und der Entwicklung hin zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung ab. Diese Leistungen sind auch notwendig, wenn ohne sie das bisher Erreichte gefährdet wäre.

Des Weiteren ist festzuhalten, dass die Eltern junger volljähriger Leistungsberechtigter auch nach wie vor im Hinblick auf die zukünftigen gesetzlichen Regelungen zu den Kosten der Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe herangezogen werden, wohingegen mit dem Angehörigen-Entlastungsgesetz Eltern volljähriger Menschen mit Behinderung seit dem 01.01.2020 nicht mehr an den Kosten der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX zu beteiligen sind.

Dies stellt ebenfalls eine Benachteiligung der Eltern von jungen volljährigen Menschen, welche Leistungen nach dem SGB VIII beziehen, dar.

Auch ist in diesem Kontext nach unserem Dafürhalten die grundsätzliche Frage aufzuwerfen, ob nicht anlässlich anzustrebender Reformbemühungen die Anrechnung von Einkommen und Vermögen bei Leistungen der Eingliederungshilfe, sowohl nach dem SGB VIII als auch nach SGB IX, zukünftig gänzlich abzuschaffen ist. Dies bereits aus dem Grunde, weil Leistungen der Eingliederungshilfe gerade nicht als rein finanzielle Hilfe für mittellose bzw. unterstützungsbedürftige Personen, sondern als Nachteilsausgleiche für eine bestehende Behinderung oder chronische Erkrankung ausgestaltet sind.

Nicht ohne Grund wurde deshalb auch die Eingliederungshilfe nach den vormaligen Regelungen des SGB XII mit dem Bundesteilhabegesetz (BTHG) zum 01.01.2020 aus dem SGB XII herausgelöst und als Teil 2 des SGB IX neu verankert. Zwar wurden im Rahmen dessen auch die Regelungen zum Einsatz von Einkommen und Vermögen im Recht der Eingliederungshilfe neu konzipiert – wie oben dargelegt - allerdings wird auch mit diesem vorgelegten Referentenentwurf einmal mehr deutlich, dass Leistungen der Eingliederungshilfe immer noch nicht komplett wie Teilhabeleistungen anderer Rehabilitationsträger behandelt werden, welche in der Regel nicht von einem Eigenbetrag abhängig sind.

Ferner möchten wir auch in diesem Zusammenhang anführen, dass auch beim sog. Ausbildungsgeld nach § 122 SGB III ein Nachbesserungsbedarf besteht. Eine Ausbildungsvergütung gemäß § 122 SGB III wird jungen Menschen mit Behinderung während der Teilnahme an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (einschließlich einer Grundausbildung), einer individuellen betrieblichen Qualifizierung im Rahmen der unterstützten Beschäftigung gemäß § 55 SGB IX, einer Maßnahme im Eingangsverfahren oder Berufsbildung in einer anerkannten Werkstatt für Behinderte Menschen (WfbM) oder während einer beruflichen Erstausbildung zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes dann gezahlt, wenn kein Anspruch auf Übergangsgeld gemäß der §§ 64 ff. SGB IX existiert.

Für Bezieher von Ausbildungsgeld gilt die Abschaffung der Kostenheranziehung allerdings nicht. Vorliegend geht es um junge Menschen, welche in Pflegefamilien oder sonstigen stationären Formen der Hilfe zur Erziehung (§ 34 SGB VIII) oder Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII leben. Die jungen Menschen, welche beispielsweise eine als Reha-Maßnahme geförderte Ausbildung absolvieren oder an einer berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahme für Rehabilitanden teilnehmen, bekommen keine sozialversicherungspflichtige Ausbildungsvergütung, sondern eine Netto-Unterhaltszahlung. Tatsächlich wird dieser Unterhaltsbetrag aber als Ausbildungsgeld bezeichnet. In § 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII wird festgelegt, dass Geldleistungen, die dem gleichen Zweck wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen, nicht als Einkommen anzusehen sind und unabhängig vom Kostenbeitrag zur Finanzierung der Kinder- und Jugendhilfeleistung einzusetzen sind.

Für viele junge Menschen, die in stationären Formen der Jugendhilfe (§§ 33, 34, 35a, 13 SGB VIII) leben, wird somit auch der gesamte Betrag des Ausbildungsgeldes von der Jugendhilfe einbehalten.

5.Fazit:

Diese dargelegten unterschiedlichen Rechtsfolgen, welche sich auch durch dieses Gesetzesvorhaben einer Abschaffung der Kostenheranziehung bestimmter Leistungsberechtigter im Rahmen des SGB VIII letztlich nicht beseitigen lassen, zeigen einmal mehr die Notwendigkeit, dass die Zuständigkeit für Leistungen der Eingliederungshilfe in einem dringend notwendigen (schrittweisen) Prozess für alle Kinder und Jugendliche in der Jugendhilfe zusammengeführt werden sollten.

Mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) soll in einem ersten Schritt die Schnittstellenproblematik zwischen der Eingliederungshilfe im SGB IX und dem SGB VIII dadurch abgemildert werden, dass der Jugendhilfeträger in das Gesamtplanverfahren nach dem §§ 117 ff. SGB IX einzubeziehen ist, wenn minderjährige Anträge auf Eingliederungshilfe gestellt haben. Des Weiteren soll zum 01.01.2024 ein Anspruch auf Begleitung durch einen Verfahrenslotsen eingeführt werden; diesen Anspruch sollen alle jungen Menschen mit Behinderungen haben, welche Anträge auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX bzw. nach § 35a SGB VIII stellen. Für diese Leistungen soll zukünftig der Jugendhilfeträger zuständig sein. Im Jahr 2028 soll schließlich der Jugendhilfeträger, unabhängig von der Behinderungsart, für alle Kinder und Jugendlichen mit Behinderung, die Eingliederungshilfeleistungen benötigen, zuständig sein. Dies gilt allerdings nur, wenn bis zu diesem Zeitpunkt ein Bundesgesetz erlassen worden ist, in welchem das Nähere zum leistungsberechtigten Personenkreis, zu Art und Umfang der Leistungen, zur Kostenbeteiligung und zum Verfahren geregelt wird.

Gegenwärtig besteht bekanntermaßen immer noch eine zwischen den Eingliederungshilfeträgern und den Jugendhilfeträgern geteilte Zuständigkeit, mit der Konsequenz, dass Kinder und Jugendliche, welche ausschließlich eine “seelische Behinderung“ haben, sowohl hinsichtlich ihres behinderungsbedingten als auch ihres erzieherischen Bedarfs der Kinder- und Jugendhilfe im SGB VIII zuzuordnen sind. Alle anderen Kinder und Jugendlichen mit Behinderungen hingegen sind hinsichtlich ihres behinderungsbedingten und damit zum Teil auch hinsichtlich ihres erzieherischen Bedarfs den Eingliederungshilfeträgern im Sinne des SGB IX zugeordnet. Nach § 10 Abs. 4 S. 2 SGB VIII haben Leistungen der Eingliederungshilfe nach SGB IX für junge Menschen, die körperlich und geistig behindert sind oder von einer solchen Behinderung bedroht sind, Vorrang vor allen Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Somit richtet sich die Anspruchsgrundlage zunächst nach der Art der Behinderung, d. h. bei allein seelischer Behinderung ist § 35a SGB VIII heranzuziehen, bei einer (drohenden) auch körperlichen und/oder geistigen Behinderung hingegen § 112 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX.

Somit sind die Träger der Eingliederungshilfe auch zuständig bei sog. Mehrfachbehinderungen, also in den Fällen, in denen neben einer seelischen noch eine geistige und/oder körperliche Behinderung vorliegt. Die Eingliederungshilfe nach § 112 SGB IX unterliegt somit anderen Voraussetzungen als die nach § 35a SGB VIII.

Auch diese weitere Regelung verdeutlicht einmal mehr den seit Jahren vonseiten der Verbände kommunizierten, dringenden Reformbedarf im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe.

Mit dem angestrebten Ziel einer inklusiven Lösung unter dem „Dach“ der Kinder- und Jugendhilfe des SGB VIII sind nach unserem Dafürhalten nicht nur die Grundsätze aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen (UN-KRK) realisiert, weil die individuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt personenzentrierter Dienstleistungen zur Förderung der individuellen Fähigkeiten und Potenziale gerückt wird, sondern darüber hinaus würden auch die in der UN–Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verankerten Grundsätze umgesetzt.

In diesem Kontext ist insbesondere auf Art. 19 UN-BRK zu verweisen, wonach die Vertragsstaaten das gleiche Recht aller Menschen mit Behinderungen anerkennen, mit gleichen Wahlmöglichkeiten wie andere Menschen in der Gemeinschaft zu leben. Danach haben sich die Staaten verpflichtet, wirksame und geeignete Maßnahmen zu treffen, um Menschen mit Behinderungen den vollen Genuss dieses Rechts und die volle Einbeziehung in die Gemeinschaft sowie Teilhabe an der Gemeinschaft zu erleichtern. Darüber hinaus muss es Dienstleistungen und Einrichtungen geben, die Menschen mit Behinderungen und ihren Bedürfnissen Rechnung tragen. Art. 19 UN-BRK verlangt nicht nur die Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft, sondern eine Teilhabe an der Gemeinschaft selbst im Sinne einer inklusiven Gesellschaft.

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