Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der CDU/CSU - Finanzierung der Betreuungsvereine und der Betreuer sicherstellen - Strukturen erhalten vom 20.06.2023 (Drucksache 20/7352)

Für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU möchte die BAG SELBSTHILFE herzlich danken. Als Dachverband von 125 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 13 Landesarbeitsgemeinschaften nehmen wir zu dem Antrag wie folgt Stellung:

1.Bestandsaufnahme:  

Die CDU/CSU-Fraktion stellt anlässlich ihres Antrages fest, dass die Betreuungsvereine einschließlich sowohl der professionellen als auch ehrenamtlichen Betreuer:innen einen unverzichtbaren Beitrag zur Umsetzung des Betreuungsrechts in der Praxis leisten. Durch das neue zum 01.01.2023 in Kraft getretene Betreuungsgesetz wird die Stellung und Position der Betreuungsvereine gestärkt in dem Maße, als dass ihnen Aufgaben zugewiesen werden, mit ehrenamtlichen Betreuer:innen eine Vereinbarung über eine Begleitung und Unterstützung abzuschließen. Dadurch soll zum einen die Qualität der ehrenamtlichen Betreuung verbessert werden. Zum anderen soll durch eine Vernetzung von Fachwissen und methodischen Können der Fachkräfte die Qualität der ehrenamtlichen Betreuung verbessert werden.

Die Betreuungslandschaft wird durch professionelle Betreuerinnen und Betreuer ergänzt, wenn eine ehrenamtliche Übernahme nicht zustande kommt. In diesem Kontext agieren insbesondere die Betreuungsvereine als Schnittstelle zwischen Behörden, Verbänden oder Krankenhäusern. Von dieser Querschnittsarbeit einschließlich der langjährig aufgebauten Erfahrungen vor Ort profitieren somit alle Beteiligten.

Das neue Betreuungsrecht orientiert sich eindeutig an der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), macht somit die Wünsche der zu betreuenden Personen zum zentralen Maßstab des betreuerischen Handelns und stellt die Unterstützte Entscheidungsfindung eindeutig vor stellvertretende Entscheidungen. Seit dem neu in Kraft getretenen Betreuungsrecht sind somit Betreuungen zunehmend aufwendiger geworden.

Die Betreuungsvereine werden finanziert aus den Einnahmen der Vergütungspauschalen für die professionell geleistete Betreuung durch ihre Mitarbeiter sowie durch Zuschüsse der Länder und Kommunen, durch die die Querschnittsfunktionen abgedeckt werden sollen.

In diesem Kontext ist allerdings klar zu konstatieren, dass die Betreuungslandschaft in Deutschland seit Jahren unterfinanziert ist. Die Betreuungsvereine – so auch der Bundesverband der Berufsbetreuer (BdB) – stehen vor einer erheblichen finanziellen und somit daseinsbedingten Situation aufgrund unzureichender Finanzierung ihrer Aufgaben sowie infolge gravierender inflationsbedingter Mehrkosten. Stark gestiegene Preise für Energie, Personal und Mieten sowie der durch die Betreuungsrechtreform 2023 verursachte Mehraufwand, für den keine Vergütung vorgesehen ist, stellen für viele Betreuungsvereine sowie für selbstständige Berufsbetreuer:innen mithin eine existenzielle Bedrohung dar.

Das Gesetz zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung von 2019 (VBVG) versprach eine Vergütungserhöhung von 17 %, erreicht wurden aber lediglich 12,3 %. Dies belegen Ergebnisse einer zweiteiligen Mitgliederbefragung, welche der BdB beim Institut für freie Berufe (IFB) in Auftrag gegeben hat. Der erste Teil der Untersuchung (Durchführung von Mitte März bis Ende Juni 2022) sollte unter anderem zeigen, wie sich die Vergütungserhöhung von 2019 konkret ausgewirkt hat. Zudem wurden die Mitglieder (mehr als 7.500) nach der Einschätzung zum entstehenden Mehraufwand durch das Reformgesetz befragt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Vergütungserhöhung von 2019 nicht im damals angekündigten Umfang bei den Berufsbetreuerinnen und Berufsbetreuern angekommen ist, d. h. nur in Höhe von 12,3 % statt angekündigter 17 %. Darüber hinaus haben die befragten Mitglieder einen erheblichen Mehraufwand durch die Betreuungsrechtsreform 2023, welcher in Bezug auf eine Anpassung der Vergütung in jedem Fall mitbedacht werden sollte, gesehen (s. Bericht 1.Teil der BdB Mitgliederbefragung 2022- 2023, zu finden auf der Homepage des BdB).

Als ergänzende Mitgliederbefragung hat der BdB Ende 2022 die Kostenstruktur von Berufsbetreuer:innen in Form eines statistischen Warenkorbs ermittelt. Aus dem umfangreichen Zahlenmaterial ergibt sich, dass die Kostensteigerung für Berufsbetreuer:innen zwischen 2019 und 2022 19,3 % betrug (s. Bericht Warenkorb Selbstständige EV.,Seite 172-174).

Die als Folge des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine am 24.02.2022 eingetretene Inflation sowie die Kostensteigerungen - vorwiegend in den Bereichen Personal, Mobilität sowie Miet- und Sachkosten - haben die Sachlage für die Berufsbetreuer:innen sowie für die Betreuungsvereine nochmals dramatisch verschärft und führen in der Konsequenz dazu, dass bereits erste Vereine und Büros ihre Tätigkeit einstellen und damit auch wertvolles Know-how und erprobte Strukturen verloren gehen.

Nach § 17 des Betreuungsorganisationsgesetzes (BtOG) steht den anerkannten Betreuungsvereinen eine bedarfsgerechte finanzielle Ausstattung mit öffentlichen Mitteln zu. Für die Umsetzung dieses Anspruchs sind mithin die Länder zuständig. Trotz dieses bundeseinheitlich geregelten Anspruchs lassen sich in den einzelnen Bundesländern starke Unterschiede im Hinblick auf die Unterstützung erkennen, welche auch die Qualität der Arbeit der Betreuungsvereine in vielen Regionen gefährdet. In einigen Ländern gibt es bis heute noch keine rechtlichen Regelungen zur Umsetzung des Anspruchs aus § 17 BtOG.

Der Bundesverband der Berufsbetreuer hat in diesem Zusammenhang festgestellt, dass die wirtschaftlich prekäre Situation der Betreuungsvereine auch daraus resultiert, weil die Betreuungsumsetzungsgesetze zahlreicher Bundesländer keine verlässliche Finanzierungsgrundlage schaffen, sondern vielmehr die aus dem reformierten Betreuungsgesetz erwachsenden Anforderungen verkennen. Zahlreiche Landesregelungen - so der BdB - haben scheinbar nicht die Verbesserung des Betreuungswesens unter den neuen gesetzlichen Maßstäben zum Ziel, sondern nur ihre Kostenbegrenzung.

Mit der Einführung des Bürgergeldes wurden zudem die Schonvermögensgrenzen erhöht. Durch die Anhebung des Schonvermögens gemäß § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 der Verordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII von 5.000 € auf 10.000 € zum 01.01.2023 gelten auch mehr Menschen als mittellos im Sinne der Vorschrift des § 1880 BGB. Die Abrechnung der Vergütung erfolgt nach den Tabellenwerten für Mittellose und liegt niedriger als die mögliche Vergütung bei nicht mittellosen betreuten Personen. Dies hat zur Folge, dass durch die Erhöhung des Schonvermögens sich die Einkünfte der Betreuer:innen reduzieren und insoweit die gesetzgeberisch verursachte Reduzierung der Einkünfte der Betreuer:innen sowie der Verfahrenspfleger:innen zukünftig ausgeglichen werden muss.

2. Stimmen ehemaliger Berufsbetreuer:

In diesem Zusammenhang ist es nach unserem Dafürhalten aus Gründen der Authentizität auch notwendig, Argumente ehemaliger Berufsbetreuer:innen aufzuführen, um die aktuell bestehenden Probleme in der Betreuungslandschaft aus „erster Hand“ zu verdeutlichen:  

-Die bereits seit 2005 vorhandene ständige Unterfinanzierung vieler Betreuungsvereine aufgrund viel zu niedriger Pauschalen hat nicht nur dazu geführt, dass die Berufsbetreuer:innen immer mehr Fälle übernehmen mussten, um die Finanzierung der Betreuungsvereine sicherzustellen, sondern damit verbunden war auch für viele Berufsbetreuer:innen eine erhebliche Verschlechterung ihres gesundheitlichen Zustandes, mit der Konsequenz eines frühzeitigen Ausscheidens aus dem Berufsleben.

-Nicht nur für berufliche Betreuer hat seit Jahren die Komplexität der Fälle zugenommen, sondern dies betrifft auch ehrenamtliche Betreuer. Der Beratungsbedarf für ehrenamtliche Betreuer ist in den letzten Jahren ebenfalls gestiegen. Allerdings ist auch festzustellen, dass viele Angehörige mit dieser Betreuungstätigkeit überfordert sind, sodass die Berufsbetreuer:innen mehrfach Betreuungen von zuvor ehrenamtlich tätigen Betreuern übernehmen mussten und auch aktuell übernehmen.

-Auf der anderen Seite ist es auch nach wie vor der Anspruch von Berufsbetreuer:innen, nicht „vom Schreibtisch aus“ heraus Entscheidungen über die Köpfe der betreuten Personen zu treffen, sondern vielmehr Lösungswege mit diesen gemeinsam zu erarbeiten, so wie es auch in der UN-BRK verankert ist. Es ist mithin nach wie vor das Leitbild der Berufsbetreuer:innen, Teilhabe zu organisieren, nur dafür wird infolge der Komplexität der Fälle die Zeit immer knapper. Die Folge ist, dass die anfallenden Betreuungsfälle nicht mehr übernommen werden können.

-Hinzu kommt auch der Mangel an Fachkräften im sozialen Bereich. Es muss insoweit zu Recht die Frage gestellt werden, wer es sich angesichts dieser aktuellen Arbeitsmarktlage noch antut, in einem derart unterfinanzierten, stressigen und höchst anspruchsvollen Berufsumfeld zu arbeiten.

-Die Betreuertätigkeit ist eine der komplexesten Aufgaben in der sozialen Arbeit mit hohen Anforderungen an die Integrität. Viele Berufsbetreuer:innen, die in Betreuungsvereinen gearbeitet haben, sind inzwischen vorzeitig aus dem Berufsleben ausgeschieden, geschuldet dem Spannungsfeld zwischen gesundheitlicher Vorbelastung sowie beruflicher Überlastung.

3. Forderungen der BAG SELBSTHILFE als konkret umzusetzende Maßnahmen:

Vor dem Hintergrund dieser dargestellten Fakten werden die mit dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion verfolgten Ziele auch von uns grundsätzlich begrüßt, denn diese nicht hinweg zu diskutierenden Tatsachen verdeutlichen einmal mehr die bestehende dramatische Situation der Betreuungslandschaft in Deutschland und insoweit muss auch unseres Erachtens schnell gehandelt werden.

Die rechtliche Betreuung erfüllt eine wichtige Aufgabe für unsere Gesellschaft und die Betreuungsvereine sind eine tragende Säule des Betreuungssystems. Durch das seit Jahren chronisch unterfinanzierte Betreuungssystem werden wertvolles Wissen sowie gefestigte Strukturen wegbrechen, wenn nicht zeitnah gegengesteuert wird.

Allerdings besteht nach unserem Dafürhalten - unter Bezugnahme auf die in dem Antrag der Fraktion der CDU/CSU aufgestellten Forderungen - weiterer Konkretisierungsbedarf zu folgenden Punkten:

a.) Umgehende Dynamisierung der Vergütungspauschalen:

Für eine auskömmliche und mithin zukunftsfeste Finanzierung ist es aus unserer Sicht auch erforderlich, die Tarif- und Preisentwicklung im Vormünder- und Betreuervergütungsgesetz (VBVG) als Dynamisierungsklausel aufzunehmen. Anderenfalls tragen die Menschen, die auf eine rechtliche Betreuung angewiesen sind, die Folgen der Unterfinanzierung sowie der fehlenden rechtlichen Betreuung. Die Ziele der Reform des Betreuungsrechts 2023 würden im Weiteren auch ins Leere laufen, da die rechtliche Betreuung an Finanzierungsfragen scheitert.

Die letzte Anpassung der Betreuungsvergütung fand 2019 statt. Dabei wurde eine zu erwartende Tarifsteigerung bis zur Vorlage des Ergebnisses der Evaluierung bis Ende 2024 in Höhe von insgesamt 2 % eingearbeitet. Bereits durch die Tariferhöhungen bis 2022 wurde die kalkulierte Tarifsteigerung deutlich überschritten. Notwendige Tarifsteigerungen konnten und können insoweit nicht an Mitarbeitende weitergegeben werden.  

Auch der BdB fordert vom Gesetzgeber, eine Dynamisierung der Vergütung vorzusehen, um die enormen Kostensteigerungen der Betreuungsvereine abzufedern. Im Gegenteil, eine nicht vorhandene Dynamisierung macht das bestehende Vergütungssystem schwerfällig, bereits aus dem Grunde, weil jede Anpassung der Vergütungspauschalen stets mit einer langwierigen Gesetzesänderung verbunden ist. Zudem ist auch die Tatsache nicht hinwegzudiskutieren, dass infolge einer nicht vorhandenen Dynamisierung bereits viele Betreuungsvereine schließen mussten und zudem weitere Kostensteigerungen folgen werden.

Vor diesem Hintergrund kann auch nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE die seitens des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) bis zum 31.12.2024 vorzulegende Evaluierung, welche nach Artikel 3 des Gesetzes zur Anpassung der Betreuer- und Vormündervergütung von 2019 (VBVG) vorgesehen ist, im Hinblick auf die Angemessenheit der festgesetzten Fallpauschalen nicht abgewartet werden. Sie kommt im Gegenteil viel zu spät, um die aktuell existierenden Probleme und damit das Überleben der Betreuerlandschaft zu lösen.  

Wie angeführt, erfordert das zum 01.01.2023 neu in Kraft getretene Vormundschafts- und Betreuungsrecht unter Zugrundelegung der gesetzlich formulierten Ziele auch mehr Zeit und Einsatz der Betreuer:innen. So ergeben sich aus dem Reformgesetz unter anderem zusätzliche Berichts- und Besprechungspflichten, außerdem sind Mehrkosten durch das Registrierungsverfahren sowie den Sachkundenachweis zu erwarten. Denn Voraussetzung für die Bestellung als beruflicher Betreuer und für den Anspruch auf Vergütung ist eine Registrierung bei der zuständigen Betreuungsbehörde (Stammbehörde). Zudem kann sich als beruflicher Betreuer nur registrieren lassen, wer über die persönliche Eignung und Zuverlässigkeit sowie ausreichende Sachkunde für die Tätigkeit als beruflicher Betreuer verfügt. Die nachzuweisende Sachkunde umfasst Kenntnisse des Betreuungs- und Unterbringungsrechts, des dazugehörigen Verfahrensrechts sowie auf den Gebieten der Personen- und Vermögenssorge, Kenntnisse des sozialrechtlichen Unterstützungssystems sowie Kenntnisse der Kommunikation mit Personen mit Erkrankungen und Behinderungen und von Methoden zur Unterstützung bei der Entscheidungsfindung. Dieser erhöhte Zeitaufwand kann unter anderem nur kompensiert werden durch eine entsprechende Anpassung der Vergütungspauschalen zur Sicherung der Betreuungsvereine.

Auch vor dem Hintergrund des bestehenden Fachkräftemangels muss es Ziel sein, auch in Zukunft den Beruf des Betreuers attraktiv zu gestalten und dazu gehört auch eine auskömmliche Vergütung. Im Ergebnis muss die Vergütung von Berufsbetreuer:innen der Leistung, der hohen Verantwortung sowie dem gesamtgesellschaftlichen Wert gerecht werden. Es bedarf daher eines Vergütungssystems, welches die Qualität fördert und nicht zunichtemacht. Die geforderte Anpassung der Vergütungspauschalen in Form einer Dynamisierung muss zudem auch umgehend erfolgen, unabhängig davon, dass eine Dynamisierung der Vergütungspauschalen einer Evaluation grundsätzlich nicht vorgreift. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass in eine Dynamisierung auch weitere Aspekte einfließen als nur eine Anpassung der Vergütungspauschalen.

Aufgrund dessen begrüßt auch die BAG SELBSTHILFE, die Vergütungspauschalen dynamisch an die Lohn- und Preisentwicklung anzupassen – in Anlehnung an die Tarifsteigerungen im TVöD – durch Einführung einer Dynamisierungsklausel im VBVG.  Denn wenn die Tarifentwicklungen bei der Vergütung der Betreuer und Betreuerinnen nicht unmittelbar berücksichtigt werden, ist in der Folge auch eine weitere Finanzierungslücke vorprogrammiert.

b.) Sofortiger Inflationsausgleich: 

Darüber hinaus ist es nach unserem Dafürhalten auch angezeigt, dass - unabhängig von der bis Ende 2024 vorzulegenden Evaluation - das Überleben der Betreuerlandschaft durch einen vorgezogenen Inflationsausgleich gesichert wird.  

Beruflich geführte Betreuungen und Betreuungsvereine:

So hat auch der Bundesverband der Berufsbetreuer (BdB) aktuell die Forderung nach einem sofortigen vorgezogenen Inflationsausgleich in Höhe von 19,3 % aufgestellt, nachdem er - wie bereits erwähnt - die Kostenstruktur der Berufsbetreuer:innen in Form eines Warenkorbs hat ermitteln lassen. Diese Forderung wird zum einen untermauert durch die Tatsache, dass die seit dem Ukraine Krieg eingetretene Inflation eine Veränderung der Sachlage bewirkt hat. Zudem geraten nach dem Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen vom 22.04.2023 die Betreuungsvereine, welche ihrer Mitarbeiter:innen nach TVöD bezahlen, wirtschaftlich gravierend unter Druck, weil sie bereits ab Juni 2023 die hierin vorgesehenen steuer- und abgabenfreien Sonderzahlungen sowie ab März 2024 die erhöhten Tabellenentgelte an ihre nach TVöD Beschäftigten zu zahlen haben. Hierdurch kommt es ebenfalls zu wirtschaftlichen Notlagen bei den Vereinen.

Insoweit befürworten auch wir grundsätzlich den eingebrachten Gesetzesentwurf des Bundesministeriums der Justiz (BMJ) vom 24. Juli 2023 zur Regelung einer Inflationsausgleichs-Sonderzahlung für berufliche Betreuer, Betreuungsvereine und ehrenamtliche Betreuer zur Änderung des Betreuungsorganisationsgesetzes (BetrinASG).

Laut Gesetzentwurf beträgt die Inflationsausgleich-Sonderzahlung 7,50 € je geführter Betreuung und je angefangenen Monat für beruflich geführte Betreuungen und Betreuungsvereine. Sie soll zudem auf den Zeitraum Anfang 2024 bis Ende 2025 begrenzt sein. Durch die Ausgestaltung als monatsweise Zahlung je geführter Betreuung soll eine gerechte Mittelverteilung erreicht werden.

Unter Zugrundelegung der Forderung des BdB, dass nur ein sofortiger vorgezogener Inflationsausgleich in Höhe von 19,3 % das wirtschaftliche Überleben der Betreuungslandschaft sichern kann, kommen nach unserem Dafürhalten die im Gesetzentwurf zugesprochenen 7,50 € je geführter Betreuung dieser Forderung auf keinen Fall nach. Unter Zugrundlegung dieses Betrages liegt die Inflationsausgleichsonderzahlung je rechtlicher Betreuung und pro Monat lediglich zwischen 2% und 12 %. Insoweit ist unseres Erachtens die Inflationsausgleichsonderzahlung mindestens in Höhe eines Prozentsatzes von 19 % zu erhöhen bzw. anzupassen, um die tatsächlich errechneten Kostensteigerungen seitens des BdB (so sind laut der Mitgliederbefragung des BdB allein die Mietkosten um 14,4 %, Stromkosten um 8,3 %, Heizkosten um 29,5 %, Mietnebenkosten und 20,9 % von 2019-2022 gestiegen) annähernd zu kompensieren und mithin die wichtige Arbeit der Betreuungsvereine sowie der Berufsbetreuer:innen auch zukünftig zu gewährleisten. Ansonsten würde dies ebenfalls zur Folge haben, dass immer mehr Betreuungsvereine schließen und die Berufsbetreuer:innen ihre Tätigkeit aufgeben.

Des Weiteren sollte nach unserem Dafürhalten nicht erst im Januar 2024 die Sonderzahlung beginnen, sondern bereits im Januar 2023, spätestens jedoch ab Juni 2023 und somit sollte ein rückwirkender Zahlungsanspruch eingeführt werden. Denn wenn die Betreuungsvereine und beruflichen Betreuer:innen erst ab Januar 2024 die Inflationsausgleichsonderzahlung erhalten, gleicht dies die Steigerungen im Jahr 2023 nicht aus. Unabhängig davon ist nochmals zu betonen, dass die Kosten bereits seit dem Jahr 2019 erheblich gestiegen sind und sich auch seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 die Lage nochmals dramatisch verschärft hat. Schließlich ist auch nicht außer Acht zu lassen, dass die Betreuungsvereine bereits ab Juni 2023 nach dem Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen vom 22.04.2023 die darin vorgesehenen steuer- und abgabenfreien Sonderzahlungen an ihre nach TVöD Beschäftigten zu zahlen haben.

Darüber hinaus sollte der Zahlungsanspruch auf die Sonderzahlung auch nicht bereits jetzt befristet werden. Es ist vielmehr noch ungewiss, wann die mit der Evaluation des VBVG einhergehende Vergütungsanpassung erfolgt und in Kraft tritt. Nach unserer Ansicht wäre insoweit eine unbefristete Regelung sachgerecht, welche dann durch eine neue Finanzierungsystematik im VBVG künftig abgelöst wird.

Im Übrigen hätte eine Inflationsausgleichsonderzahlung in Höhe von lediglich 7,50 € je geführter Betreuung auch notwendigerweise zur Konsequenz, möglichst viele Betreuungen zu übernehmen, was jedoch wiederum zu einer erheblichen Einbuße der Qualität sowie der Umsetzung des reformierten Betreuungsrechtrechts, wie der Besuchs- und Besprechungspflicht, führen würde.

Ehrenamtliche Betreuer:innen:

Ebenfalls ist zu begrüßen, dass auch ehrenamtliche Betreuer:innen eine Inflationsausgleichsonderzahlung erhalten sollen. Ehrenamtliche Betreuer:innen sollen eine Sonderzahlung in Höhe von 24 € pro Jahr und pro geführter Betreuung erhalten.

Diese geringere Sonderzahlung rechtfertigt der Gesetzgeber damit, dass ehrenamtliche Betreuer:innen für ihre Tätigkeit nicht wie ein beruflicher Betreuer bzw. eine Betreuerin „vergütet“ werden. Die Erhöhung von 24 € soll der Tatsache Rechnung tragen, dass auch die allgemeinen Kosten der ehrenamtlichen Betreuerinnen infolge der Inflation bis 2024 erheblich gestiegen sind.

Die Sonderzahlung von 24 € jährlich entspricht einer Erhöhung der Aufwandsentschädigung um 5,65 %. Die tatsächlichen Inflationsraten der Jahre 2022 und 2023 liegen im Bundesdurchschnitt jedoch deutlich höher und insoweit ist auch nach unserem Dafürhalten die Erhöhung zu gering bemessen. Vergleicht man die Kosten für eine Berufsbetreuung mit den Aufwandspauschalen für ehrenamtliche Betreueri:nnen, liegt mithin eine erhebliche Schieflage vor, welches zudem auch den Eindruck einer mangelnden Wertschätzung vermitteln könnte.

Des Weiteren ist zu konstatieren, dass es sich bei den ehrenamtlichen Betreuer:innen überwiegend um Angehörige höheren Alters handelt, welche ihre Partner:innen oder Kinder mit Behinderung rechtlich betreuen. Viele von ihnen sind nicht erwerbstätig oder bereits in Rente. Insofern sind gerade die ehrenamtlichen Betreuer:innen ebenso erheblich von inflationsbedingt gestiegenen Kosten betroffen, sodass wir auch für ehrenamtliche Betreuer:innen eine Erhöhung der Inflationsausgleich-Sonderzahlung, jeweils angepasst an die aktuelle Inflationsrate, befürworten. Zudem soll auch die Sonderzahlung für ehrenamtliche Betreuer:innen rückwirkend ab Januar 2023, spätestens jedoch ab Juni 2023 ausgezahlt werden und auch in diesem Fall wäre eine unbefristete Regelung bis zum Inkrafttreten der Neufassung des VBVG infolge des Ergebnisses der Evaluierung sachgerecht. 

4. Fazit:

Die rechtliche Betreuung erfüllt eine wichtige Aufgabe für unsere Gesellschaft.

Allerdings ist das Betreuungswesen in Deutschland seit Jahren chronisch unterfinanziert. Sowohl Betreuungsvereine als auch Berufsbetreuer:innen sind aufgrund der beschriebenen Kostenexplosion in erhebliche finanzielle Nöte geraten mit der Folge, dass bereits erste Vereine und Büros ihre Tätigkeit aufgegeben haben.

Eine solch dramatische Entwicklung kann jedoch nicht in unserem Sinne als Gesellschaft sein und insoweit darf auch das seit dem 01.01.2023 in Kraft getretene Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts, welches die Selbstbestimmung von betreuten Menschen sowie die Qualität der rechtlichen Betreuung stärkt, nicht infrage gestellt werden.

Zur erfolgreichen Umsetzung dieses Reformgesetzes gehören insbesondere auch die Betreuungsvereine und ihre Mitarbeiter:innen, sie sind eine tragende Säule des Betreuungssystems. Betreuungsvereine leisten einen unverzichtbaren Beitrag zur Umsetzung des Betreuungsrechts in der Praxis. Menschen, welche aus den unterschiedlichsten Gründen – beispielsweise wegen Alters oder einer Behinderung - ihre rechtlichen Angelegenheiten nicht mehr eigenverantwortlich regeln können, sind auf Betreuung angewiesen.

Gerade diese Säule steht aktuell vor erheblichen, existenzbedrohenden Problemen, weil zum einen die Finanzierung ihrer Aufgaben völlig unzureichend ist und zum anderen gravierende inflationsbedingte Mehrkosten nicht mehr abgefedert werden können.

Auch unter dem Gesichtspunkt des zurzeit bestehenden Fachkräftemangels ist es nach unserem Dafürhalten unerlässlich, die dargelegten Probleme sehr zügig anzugehen, um die Branche der Berufsbetreuer:innen für den Nachwuchs zu gewinnen. Gerade weil die rechtliche Betreuung eine wichtige Aufgabe für unsere Gesellschaft erfüllt, ist es umso wichtiger, auch eine auskömmliche Finanzierung für diesen Berufszweig sicherzustellen.

Angesichts dieser aufgezeigten dramatischen Situation müssen mithin zeitnah Lösungen gefunden werden, um einen Untergang des Betreuungswesens zu verhindern und um damit auch die gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen um Teilhabe und Inklusion, aber auch für das ehrenamtliche Engagement sowie für die fürsorgliche Unterstützung älterer Menschen einschließlich der Menschen mit Behinderung nicht zu gefährden.

BAG SELBSTHILFE, Düsseldorf/Berlin, den 14.09.2023  

Stellungnahme

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