Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Pflegekompetenz

Als Dachverband von 119 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und deren Angehörigen mit rund 1 Million Mitgliedern sowie von 13 Landesarbeitsgemeinschaften begrüßt die BAG SELBSTHILFE das Vorhaben, die Kompetenzen der Pflegefachkräfte zu stärken.

Gleichzeitig muss aus ihrer Sicht die wichtigste Maßgabe bei der Erweiterung der Kompetenzen der Pflege sein, dass die Patientensicherheit dadurch nicht gefährdet wird. In diesem Zusammenhang ist differenziert zu klären, wo der bisherige ärztliche Standard beizubehalten ist und an welcher Stelle eine Absenkung geeignet erscheinen kann. Eine solche Klärung sollte dann auch unter Mitwirkung der Patientenvertretung erfolgen, hier sollte es noch ein entsprechendes Mitberatungsrecht der Patientenvertretung am Rahmenvertrag geben.

Sehr begrüßt wird hingegen die Erhöhung der Selbsthilfeförderung im Bereich der Pflege, die eine wichtige Maßnahme zur Sicherung des bürgerschaftlichen Engagements darstellt. Hier hätte die BAG SELBSTHILFE allerdings noch einige Ergänzungsbedarfe, die unter Punkt 11 dargestellt werden.

Ausdrücklich bedauert wird, dass gute Neuerungen aus der letzten Legislaturperiode wie Flexibilisierungen beim Entlastungsbudget und Regelungen zum Umwandlungsanspruch nicht mehr im vorliegenden Entwurf enthalten sind. Da aber viele Versorgungsangebote schlicht nicht flächendeckend vorhanden sind, sollten solche Flexibilisierungen dringend zur Stabilisierung der Pflegesituation wieder aufgenommen werden.

Nach wie vor steht jedoch noch eine grundlegende Pflegereform aus, mit der die Pflegeversicherung nachhaltig und zukunftsfest ausgestaltet wird. In den letzten Jahren hat es seit der letzten großen Pflegereform – trotz der enormen Inflation und Kostensteigerungen aufgrund von Lohnerhöhungen – nur wenig Erleichterungen für Pflegebedürftige und ihre Angehörige gegeben, vielmehr wurden tendenziell mit den Beitragserhöhungen überwiegend Verbesserungen für Leistungserbringer finanziert, auch wenn es einzelne Verbesserungen für Pflegebedürftige gab, die jedoch leider die Teuerung durch Inflation und tariflich bedingten Kostensteigerungen nicht aufwiegen konnten. Angesichts der hohen Belastung der pflegenden Angehörigen kann dies keine Dauerstrategie sein. Insoweit wird seitens der BAG SELBSTHILFE eine Pflegereform mit einer nachhaltigen Entlastung der Betroffenen und pflegenden Angehörigen gefordert.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

1. Zugang zu Präventionsleistungen (§ 5 Abs. 1a SGB XI RefE)

Die beabsichtigte Stärkung des Zugangs von pflegenden Angehörigen zur Präventionsleistungen nach SGB V durch eine sehr frühzeitige Bedarfserhebung, Beratung und Empfehlung in häuslicher Pflege ist grundsätzlich zu begrüßen, da dadurch die Pflegesituation entlastet werden könnte. Nach Rückmeldung unseres Mitgliedsverbandes, der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, haben auch Betroffene oft den Wunsch, an solchen Pflegekursen teilzunehmen (wenn sie noch in einem frühen Stadium der Erkrankung sind). Da dies für den täglichen Aushandlungsprozess der Pflege hilfreich sein könnte, würde die BAG SELBSTHILFE es begrüßen, wenn auch Betroffene selbst Zugang zu solchen Pflegekursen erhalten könnten.

Leider hält die BAG SELBSTHILFE die Umsetzung vor dem Hintergrund des Personalmangels und des praktischen Ablaufs der Begutachtung inklusive der Berücksichtigung des Zeitfaktors in der Praxis jedoch für fraglich. Schon jetzt fehlt es hier oftmals an der notwendigen Zeit im Rahmen der Begutachtung und der Beratung. 

Soweit in der Begründung des Referentenentwurfs ausgeführt wird, dass auch während länger fortbestehender Pflegebedürftigkeit der Zugang zu Präventionsmaßnahmen wichtig ist und hier sowohl im Rahmen der Pflegeberatung als auch im Rahmen der Beratungsbesuche genutzt werden sollte, ist dies ebenfalls positiv zu bewerten. Hier halten wir es für sinnvoll, wenn dies auch im Rahmen der Beratungseinsätze nach § 37 Abs. 3 SGB XI nochmals ausdrücklich normiert wird.  

2. Pflegeberatung (§ 7a SGB XI RefE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Möglichkeit, dass sich die Pflegekassen an der Finanzierung von Beratungsaufgaben anderer Träger beteiligen können. Nach wie vor ist die Beratungslandschaft für die Betroffenen in Deutschland unzureichend und regional sehr unterschiedlich. Wir sehen in der Regelung die Chance, dass die wohnortnahe Angehörigenberatung gestärkt wird.

3. Richtlinien zur Empfehlung von Hilfsmitteln und Pflegehilfsmitteln nach § 40 Abs. 6 SGB XI (§ 17a SGB XI)

Wie bereits dargestellt verfügt die Selbsthilfe über vielfältige Kompetenzen auch im Bereich der Hilfsmittel: Seit langem ist sie mitberatend erfolgreich über Gesprächen, Anhörungen und Stellungnahmen an der Fortschreibung des Hilfsmittelverzeichnisses einschließlich der Pflegehilfsmittel beteiligt. Vor diesem Hintergrund sollte gesetzlich festgelegt werden, dass auch die Richtlinien zur Empfehlung von Hilfsmitteln/ Pflegehilfsmitteln unter Beteiligung der Patientenvertretung erstellt werden müssen. 

4. Modellprojekt zur Überprüfung der Kompetenzen bzgl. der gutachterlichen Feststellungen durch Pflegefachkräfte (§ 18e SGB XI RefE)

Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es im Grundsatz sinnvoll, dass zunächst ein Modellprojekt zu diesem Thema durchgeführt wird, da eine derartige Ausweitung der Kompetenzen erhebliche Beitragssteigerungen für Versicherte und Pflegebedürftige zur Folge haben kann. Insbesondere stellt sich die Frage, wie Zielkonflikten begegnet werden kann, die insbesondere dann bestehen, wenn die betreuende Pflegefachkraft vor Ort zugleich Begutachtende ist. 

Gleichzeitig sieht sie aber auch, dass die Dauer bis zur Begutachtung in der Praxis – gerade im stationären Bereich - oft recht lang ist: insoweit kann sie im Grundsatz die Prüfung der Idee einer Begutachtung durch Pflegekräfte nachvollziehen. Ferner scheinen hier die Pflegekräfte schon jetzt ohnehin relativ stark in die Begutachtung einbezogen werden. Die Frage des Interessenkonfliktes ist damit allerdings nicht beantwortet, vor diesem Hintergrund ist der gewählte Weg eines Modellprojektes sicherlich sinnvoll.

5. Ruhen der Leistungsansprüche (§ 34 SGB XI RefE)  

Eine Vereinheitlichung der Regelungen auf insgesamt acht Wochen (Weitergewährung von Pflegegeld bei vorübergehendem Auslandsaufenthalt, Erholungsurlaub der Pflegeperson, vollstationärer Krankenhausbehandlung oder eine stationären Rehamaßnahme/medizinischer Vorsorge nebst Leistungen zur sozialen Sicherung) wird seitens der BAG SELBSTHILFE begrüßt. Durch die Vereinheitlichung wird die Transparenz der Betroffenen über ihre Leistungsansprüche erhöht.

6. Beratungseinsätze (§37 Abs. 3a SGB XI RefE)  

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt es, dass zukünftig alle Pflegebedürftigen, die ausschließlich Pflegegeld beziehen, nur einmal pro Halbjahr eine Beratung verpflichtend in Anspruch nehmen müssen. Gleichzeitig sieht sie allerdings als problematisch, dass Menschen mit Pflegegrad 4 und 5 keine Verpflichtung mehr enthalten ist, auch wenn sie diese dennoch weiterhin vierteljährlich abrufen können. Nicht immer gelingt diese Einschätzung jedoch und nicht immer werden den Betroffenen ihre Möglichkeiten hinreichend kommuniziert. Bei den hochgradig pflegebedürftigen Personen in den Pflegegraden 4 und 5 ändert sich der Pflegebedarf erfahrungsgemäß schnell. Mit der Verpflichtung zum vierteljährlichen Beratungsbesuch ist eine hinreichende Unterstützung und Beratung aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE – und unseres Mitgliedsverbandes der Deutschen Alzheimer Gesellschaft - deutlich besser gewährleistet, was auch einen Schutz für Pflegebedürftige und ihre Pflegepersonen bedeutet. 

Insgesamt hält die BAG SELBSTHILFE es ebenfalls für sinnvoll, wenn der Abruf eines vierteljährlichen Beratungseinsatz allen Pflegebedürftigen, unabhängig von der Höhe des Pflegegrades, offensteht.   

Ferner ist sicherzustellen, dass die Betroffenen und ihre Angehörigen über diese Möglichkeit vollumfänglich informiert werden. Nur eine frühzeitige und laienverständliche Information kann dazu führen, dass bei Bedarf Beratungseinsätze rechtzeitig abgerufen werden können. Dies muss zur Versorgungssicherheit wichtiger Bestandteil der Änderung sein.  

Hinsichtlich der aufgeführten Beratungspflichten in § 37 Abs.3 a Ziffer 1 bis 4 SGB XI n.F. sollte klarstellend formuliert werden, dass etwaige Empfehlungen für den Betroffenen nicht verpflichtend sind und diese in der Entscheidung weiter frei sind.

7. Empfehlungen zu Hilfsmitteln (§ 40 SGB XI RefE)

Im Grundsatz begrüßt die BAG SELBSTHLFE die vorgesehene Erweiterung in § 40 SGB XI hinsichtlich der Empfehlungen durch Pflegefachpersonen von Hilfsmitteln und der damit einhergehenden Vermutungswirkung hinsichtlich Notwendigkeit/Erforderlichkeit. Hier fordert die BAG SELBSTHILFE jedoch angesichts der inflationär bedingten Kostensteigerungen die umgehende Anhebung des Aufwendungsbetrages (siehe dazu auch unten).

Ergänzend hält die BAG SELBSTHILFE eine Anhebung des Maximalbetrages für Zuschüsse für Maßnahmen zur Verbesserung des individuellen Wohnumfeldes nach 
§ 40 Abs.4 SGB XI i.H.v. aktuell 4.000 Euro für dringend erforderlich. Es wird aufgrund der eklatant gestiegenen Kosten in sämtlichen Bereichen von Baumaßnahmen eine dynamische Erhöhung ab 2026 vorgeschlagen. 

 8. Digitale Pflegeanwendungen (§ 40a, b SGB XI RefE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die vorgesehene Erweiterung, wonach digitale Pflegeanwendungen für die pflegenden Angehörigen oder sonstigen ehrenamtlichen Pflegepersonen auch zulässig sein sollen, wenn sie sich auf eine entlastende Wirkung für die Pflegepersonen oder einen stabilisierenden Effekt für die häusliche Versorgungssituation der pflegebedürftigen Person beschränken, ohne dass im Einzelnen noch eine Verknüpfung zu den Modulen nach § 14 Absatz 2 verlangt wird; gleichzeitig bleibt unklar, auf welcher Grundlage die Beträge von 40 Euro (Nr.1) und 30 Euro (Nr. 2) berechnet wurden. Mit der Zulassung von DIPAs sollten diese zeitnah evaluiert werden, ob diese Beteiligung für die Betroffenen zu einer relevanten Entlastung in finanzieller Hinsicht führt. Denn die Ausweitung der digitalen Pflegeanwendungen zur Stabilisierung der häuslichen Pflegesituation kann ja durchaus dazu führen, dass andere Hilfesysteme entlastet werden; eine solche Entlastung sollte dann nicht überwiegend von den Betroffenen finanziert werden. 

Insgesamt gilt zudem: Damit Pflegebedürftige und Angehörige davon profitieren können, müssen digitale Pflegeanwendungen auch verfügbar sein und die Betroffenen in geeigneter Weise darauf hingewiesen werden. 

9. Weiterzahlung der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung 
(§ 44a SGB XI RefE)

Die vorgesehene Regelung zur Weiterzahlung der Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 44a SGB XI n.F. wird seitens der BAG SELBSTHILFE begrüßt. Auf die darüber hinaus dringend erforderlichen weiteren Änderungen zur Absicherung der Pflegepersonen weist die BAG SELBSTHILFE in den Ausführungen im letzten Teil der Stellungnahme hin.

10. Förderung der Weiterentwicklung der Versorgungsstrukturen und des Ehrenamts (§ 45c SGB XI RefE) 

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Erhöhung des Fördervolumens von 25 auf 60 Millionen Euro pro Jahr ausdrücklich, auch die Finanzierung von Unterstützungsstrukturen der § 45a Angebote wird positiv gesehen. Gleiches gilt für die in Absatz 8 festgelegte Verpflichtung der Anhörung von Verbänden der Menschen mit Behinderungen, der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen und vergleichbar Nahestehender auf Bundesebene, soweit Belange von Fördermittelempfangenden betroffen sind.

11. Selbsthilfeförderung im Bereich der Pflege (§ 45d SGB XI)

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sind die im Referentenentwurf vorgesehenen Änderungen zur Weiterentwicklung der Selbsthilfeförderung für Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen pflegender Angehöriger sehr zu begrüßen.

Zu begrüßen ist insbesondere die geplante Erhöhung der Fördermittel nach Absatz 1 pro Versichertem zum Auf- und Ausbau und zur Unterstützung von Selbsthilfegruppen, -organisationen und -kontaktstellen, die sich die Unterstützung von Pflegebedürftigen sowie von deren Angehörigen und vergleichbar Nahestehendenzum Ziel gesetzt haben. Gerade auf der Bundesebene müssen künftig Impulse zum Aufbau von Strukturen und zur Weiterentwicklung der Selbsthilfearbeit gesetzt werden. Daher sollte der nach § 45 d Absatz 4 Satz 1 für die Bundesebene vorgesehene Betrag nicht nur auf 0.04 EUR beschränkt sein, sondern auf 0.06 EUR angehoben werden. Die in Absatz 4 des Entwurfs vorgesehene Bewilligung von Fördermitteln für drei bis maximal fünf Jahre für bundesweite Tätigkeiten bedeutet in der Praxis mehr Planungssicherheit und ist ebenfalls positiv zu werten. Nach dem Vorbild des § 20 h SGB V könnte darüber hinaus ein Kanon an fortlaufenden Bedarfen der Selbsthilfe in den Fördergrundsätzen definiert werden, um eine Basisförderung zu definieren. Dies böte die Möglichkeit der Unterscheidung zwischen der Förderung fortlaufender Bedarfe und der Förderung innovativer Projekte zur Weiterentwicklung der Selbsthilfearbeit. Vor diesem Hintergrund wäre es auch wünschenswert, in § 45 d Absatz 5 nicht nur ein Anhörungsrecht, sondern analog § 20 h SGB V auch ein Mitberatungsrecht der Vertretungen der Selbsthilfe zu verankern.

Gerade für Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen auf der Landes- und Ortsebene stellt die gemeinschaftliche Förderung durch die Öffentliche Hand und die Pflegekassen eine massive Herausforderung dar. Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es zwar nachvollziehbar, dass der Förderdualismus auch künftig erhalten bleiben soll.  Es sollte aber die Transparenz der Zugangswege zur Förderung dringend verbessert und auch die Abstimmungsprozesse zur Umsetzung von Projekten sollten erleichtert werden. Gerade ehrenamtliche Strukturen ohnehin sehr belasteter Personengruppen werden sonst vielfach damit überfordert sein, alle Hürden auf dem Weg zur Förderung zu überwinden.

Positiv, besonders auch für Landesverbände mit großen Einzugsgebieten, ist zu bewerten, dass ausdrücklich auch digitale Anwendungen gefördert werden. Allerdings sollte klargestellt werden, dass solche Angebote von Selbsthilfegruppen oder Selbsthilfeorganisationen getragen sein müssen, damit nicht Agenturen ohne nachhaltigen Bezug zu pflegenden Angehörigen Fördergelder akquirieren können, ohne dass dies von der Selbsthilfe getragen wird.

Die in § 45 d vorgesehenen Förderbeträge pro Versicherte sollten schließlich analog § 20 h SGB V an die Bezugsgröße nach § 18 Absatz 1 SGB IV gekoppelt werden. Anderenfalls müsste die Vorschrift jährlich immer wieder gesetzlich angepasst werden, um das vorgesehene Fördervolumen zu erhalten.

12. Netzwerkförderung (§45e SGB XI RefE)

Auch die Netzwerkförderung wird positiv gesehen; hier ist allerdings die Frage, wo die Geschäftsstelle angesiedelt werden soll und was nun genau der Unterschied zu den lokalen Allianzen sein soll.

13. Pflegerische Versorgung in gemeinschaftlichen Wohnformen nach § 92c SGB XI (§ 45h SGB XI RefE)

Nach Einschätzung der BAG SELBSTHILFE dürften die Regelungen des §92c zur Folge haben, dass durch den Fokus auf die trägerorientierten gemeinschaftlichen Wohnformen (und die Erhöhung der Förderung) alle anderen selbstorganisierten gemeinschaftlichen Wohnformen langfristig wegfallen könnten; einen wirklichen Grund für die Ungleichbehandlung in der Förderung gibt es dabei nicht. Insoweit wird gefordert, den Betrag von 214 € für alle gemeinschaftlichen Wohnformen entsprechend gleichmäßig zu erhöhen. 

14. Heilkundeübertragung und wissenschaftliche Expertise zur heilkundlicher und pflegerischer Übertragung (§§ 73d SGB V, 33 Abs. 5a SGB V, 8 Abs. 3c SGB XI RefE)

Wie bereits eingangs dargestellt, wird die Änderung der Rahmenbedingungen für professionell Pflegende durch Schaffung von Möglichkeiten für Pflegefachpersonen, selbständig erweiterte heilkundliche Leistungen in der Versorgung erbringen zu können, zwar im Grundsatz positiv gesehen. Oberste Maßgabe der Heilkundeübertragung sollte jedoch die Qualität der Versorgung und die Sicherheit der pflegebedürftigen Person sein. Damit müssen die Pflegefachpersonen dann aber auch die entsprechenden Kenntnisse bzgl. der jeweiligen Erkrankungen haben bzw. ggf. – wie in vielen anderen Ländern üblich – über ein Studium erwerben. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach der Begründung von § 73d umfangreiche Verlagerungen von Aufgaben vorgesehen sind, die die Patientensicherheit in vielerlei Hinsicht berühren können. Hinzu kommt die Situation bei seltenen Erkrankungen, bei denen heilkundliche Vorbehaltsaufgaben nur dann auf Pflegefachkräfte übertragen werden sollten, wenn deren Aus-, Fort- und Weiterbildung spezifisch die Versorgung von Menschen mit seltenen Erkrankungen berücksichtigt. Wichtig ist, dass insbesondere bei der Medikamentengabe und bei der Umsetzung von weiteren Maßnahmen eine adäquate Umsetzung zur Sicherheit der Patienten und Pflegebedürftigen gewährleistet ist, so dass eine Expertise in Form einer Mindestausbildung immer sicherzustellen ist. Die Qualität der Patientenversorgung und die Einhaltung der Sicherheitsstandards müssen oberste Priorität haben. Dies ist zu jedem Zeitpunkt zu gewährleisten.  

Sofern vorgesehen ist (§ 8 Abs. 3b SGB XI n.F.), dass der Spitzenverband Bund der Pflegekassen gemeinsam mit dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen verpflichtet wird, wissenschaftliche Expertisen zu beauftragen, deren Ergebnis ein sektorenübergreifender Katalog der Aufgaben von Pflegefachpersonen auf Grundlage vorhandener Kompetenzen bzw. Qualifikationen ist und dabei eine enge fachliche Einbindung der maßgeblichen Organisationen der Pflegeberufe auf Bundesebene sicherzustellen ist, fordern die BAG SLEBSTHILFE hier die frühzeitige Einbindung der Selbsthilfe. Die Patientenvertretung verfügt über langjährige indikationsspezifische Erfahrung dahingehend, in welchen Bereichen sich die Verordnungskompetenz übertragen lässt und in welchen Bereichen doch die medizinische Begleitung der Hilfsmittelversorgung durch einen Arzt sinnvoll und notwendig ist. 

Jenseits dessen wird darauf hingewiesen, dass bei einer Heilkundeübertragung aus Sicht der BAG SELBSTHILFE wichtige Regelungen der Hilfsmittelversorgung aus der ärztlichen Versorgung wegfallen, die noch entsprechend für Pflegekräfte gesetzlich ergänzt werden sollten: So müsste bei einer Übertragung der Verordnungsmöglichkeit im Hilfsmittelbereich noch geregelt werden, dass etwa eine Zuweisung der Patient*innen zu einem bestimmten Hilfsmittelversorger unzulässig ist- entsprechend der Regelung für die ärztliche Verordnung (§ 128 SGB V). Gleiches gilt auch für die gleichzeitige Abgabe von Hilfsmitteln durch Pflegekräfte, also die Kombination zwischen Verordnungs- und Abgabemöglichkeit, die zu Kostensteigerungen führen dürfte und die zu Recht im vertragsärztlichen Bereich untersagt ist. Schließlich sollte auch die Verpflichtung für Pflegefachkräfte festgelegt werden, die Hilfsmittel-Richtlinie, die im GBA mit Patientenbeteiligung erstellt wurde und insoweit wichtige patientenorientierte Maßgaben für die ärztliche Verordnung von Hilfsmitteln enthält, entsprechend zu beachten.

15. Regelungen zum Qualitätsausschuss Pflege (§ 113b SGB XI RefE)

Das Initiativrecht der Unparteiischen wird seitens der BAG SELBSTHILFE begrüßt; gleichzeitig wird angeregt zu prüfen, ob nicht eine kontinuierlich tätige Unparteiische (über den erweiterten Ausschuss hinaus) sinnvoll sein könnte, da dies dazu führt, dass diese kontinuierlich in die Arbeit des Qualitätsausschusses einbezogen ist; genau dies könnte dann auch die Ausübung des Initiativrechtes der Unparteiischen befördern. 

16. Modellvorhaben zur Flexibilisierung der Leistungserbringung in der stationären Pflege (§ 125 SGB XI RefE)

Im Grundsatz begrüßt die BAG SELBSTHILFE die Idee von derartigen Modellvorhaben, sieht es aber als dringender an, die Erkenntnisse aus bisherigen Modellvorhaben auszuwerten und in die Versorgung zu integrieren.

17. Weitere Anliegen über den Gesetzentwurf hinaus

Über die angesprochenen Punkte zum Gesetzentwurf hat die BAG SELBSTHILFE noch folgende Anliegen:

  • Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es bedauerlich, dass die in der letzten Legislaturperiode enthaltene gesetzliche Verankerung eines/einer Pflegebeauftragten nicht mehr im Gesetzentwurf enthalten ist. Da das Thema Pflege durchaus zeitweise bei schwierigen Diskussionen im Gesundheitsbereich in den Hintergrund gerät, wird ein*e solche*r Beauftragter/Beauftragte aus der Sicht der Betroffenen für sehr wichtig und sinnvoll erachtet. Insoweit wird um Aufnahme einer derartigen Regelung ins Gesetz gebeten.
     
  • Ebenfalls nicht mehr ist der in der letzten Legislaturperiode ursprünglich geplante niedrigschwellige Zugang zu Angeboten zur Unterstützung im Alltag im vorgelegten Referentenentwurf enthalten; auch wenn die BAG SELBSTHILFE die Figur des Ersthelfers noch etwas unkonturiert hielt, ist eine Vereinheitlichung der Anforderungen zu Angeboten zur Unterstützung des Alltags dringend erforderlich- angesichts der teilweise sehr hohen Anforderungen in manchen Bundesländern. 
     
  • Auch sind notwendige Flexibilisierungen des Entlastungsbudgets und Regelungen zum Umwandlungsanspruch nicht mehr vorgesehen; es wird insoweit um Wiederaufnahme dieser Regelungen gebeten, da viele Angebote schlicht nicht existieren und von daher die Ansprüche aus tatsächlicher Sicht nicht wahrgenommen werden können. 
     
  • Die Anforderungen zur sozialen Absicherung für Pflegepersonen nach §§ 19 i.V.m. 44 SGB XI müssen dringend abgesenkt werden, so dass eine Anerkennung als Pflegeperson mit den entsprechenden Absicherungen (insb. im Hinblick auf die Rentenversicherung) auch dann erfolgt, wenn die Pflegetätigkeit in geringerem Umfang durchgeführt wird.  
     
  • Es ist gesetzlich zu normieren, dass nach Beendigung einer Pflegetätigkeit im häuslichen Umfeld die pflegende Person wieder ihre vorherige Stelle nahtlos besetzen kann - dies unabhängig davon, in welcher Weise die Pflegetätigkeit durchgeführt worden ist. 
     
  • Aufgrund der gestiegenen Kosten in den Pflegeeinrichtungen sind die Leistungen für die Kurzzeitpflege etc. deutlich anzuheben. Es muss eine Pflege für mindestens 14 Tage tatsächlich abgedeckt werden können und eine Dynamisierung erfolgen. Ebenso muss die Leistung für Verhinderungspflege sowie der Gemeinsame Jahresbetrag angepasst und deutlich erhöht werden. 
     
  • Der Betrag für monatliche Aufwendungen der Pflegekassen für zum Verbrauch bestimmter Pflegehilfsmittel nach § 40 SGB XI muss auf mindestens 60 Euro mit regelhafter Anpassung, z.B. aufgrund der Inflation, angehoben werden. Alternativ käme eine Anlehnung an die Veränderungsraten nach § 71 Abs.3 SGB V in Betracht. 

Düsseldorf/Berlin, 14. Juli 2024

 

Gesundheitspolitik
Stellungnahme

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