Stellungnahme zum Entwurf zur überarbeiteten Gemeinsamen Empfehlung „Sozialdienste“ nach § 26 Abs. 2 Nr. 10 SGB IX mit Stand 10.12.2021

Als Dachverband von 117 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 13 Landesarbeitsgemeinschaften misst die BAG SELBSTHILFE der Auskunfts- und Beratungstätigkeit der Sozialdienste und vergleichbarer Stellen größte Bedeutung bei.

Zu dem Entwurf der Gemeinsamen Empfehlung „Sozialdienste“ vom 10.12.2021 möchten wir daher wie folgt Stellung nehmen:

I. Zur Präambel

a. In der Präambel muss es wohl in Abs. 2 § 26 (statt § 13) Abs. 2 Nr. 10 heißen.

b. Es fehlt in der Präambel – oder anderswo - ein Hinweis, dass die Sozialdienste  nach § 34 Abs. 2 SGB IX gesetzlich verpflichtet sind, volljährigen Personen oder ihren bestellten Betreuern eine Beratungsstelle für Rehabilitation oder eine ärztliche Beratung über geeignete Leistungen zur Teilhabe zu empfehlen, wenn sie Behinderungen wahrnehmen.
 

II. Zu § 1

a. In Abs 1 wird die These vertreten, dass in Sozialdiensten MitarbeiterInnen arbeiten, die über fundierte Kenntnisse im Bereich der Rehabilitation und Teilhabe, des Sozialrechts … verfügen. Sozialdienste sind jedoch häufig nicht primär mit Belangen von Menschen mit Behinderungen vertraut und verfügen insbesondere häufig nicht über fundierte Kenntnisse im Bereich der Rehabilitation etc. Dies kann man allenfalls bei Sozialdiensten voraussetzen, die im Bereich der Gesundheitsversorgung oder im System der Rehabilitation selbst verankert sind. Jedoch mangelt es z.B. in den Sozialdiensten der Krankenhäuser nicht selten an Kenntnissen zur sozialen Rehabilitation, bzgl. Leistungen zur Bildung usw., je nachdem, ob dort solche Kenntnisse häufig benötigt werden. Die Voraussetzung umfassender Kompetenz im Reharecht gilt jedoch vielfach  z.B. für die Lebens- und Familienberatungsstellen der kirchlichen und kommunalen Träger nicht, z.B. für die Schulsozialarbeit oder den allgemeinen Sozialdienst der Kommunen (ASD)  zumindest nicht durchgängig. Auch die Ausbildung im Bereich der sozialen Arbeit umfasst nicht regelhaft das Rehabilitationsrecht oder etwa die Nutzung der ICF. Diese Einschränkungen beziehen sich nicht auf die sonstigen genannten Kompetenzen.
Genau hier liegt ein Problem: Es gibt Sozialdienste, bei denen die Kompetenzen zur Erkennung von Behinderungen, eines möglichen Bedarfes an Leistungen zur Teilhabe, zur umfassenden, alle Lebensbereiche und alle Bereiche der Rehabilitation berücksichtigenden Bedarfsermittlung sowie zur Mitwirkung an der Teilhabeplanung nicht oder nicht hinreichend vorhanden sind. So kann man aus Schilderungen Betroffener entnehmen, dass ein Krankenhaussozialarbeiter noch nie sich mit der Frage der persönlichen Assistenz im Rahmen der Eingliederungshilfe befasst hat.

Insofern muss der erste Satz geändert werden. Ferner sollte eine Passage über notwendige Qualifizierungsmaßnahmen aufgenommen werden. Da nicht jeder im Sozialdienst Tätige hinreichend im Reharecht und in der Rehapraxis umfassend kompetent sein kann, muss sichergestellt sein, dass wenigstens der gesetzliche Anspruch, s.o. I b. erfüllt wird, dass also Beeinträchtigungen und ihre Bedeutung für die Teilhabe zumindest wahrgenommen werden und geprüft wird, ob eine Behinderung vorliegt oder vorliegen könnte, und dass dann die Vorstellung bei einer kompetenten Stelle empfohlen, besser veranlasst wird.

b. In Abs. 4 werden die Sozialdienste als bedeutsamer Kooperationspartner für alle am Rehaprozess beteiligten Institutionen und Akteure bezeichnet. Zwar wird auf die Gemeinsame Empfehlungen Rehaprozess verwiesen: Hier wäre es sinnvoll, die Bestandteile des Rehaprozesses zu benennen, da gerade bei der Bedarfserkennung, die vor einem Leistungsantrag liegt, und bei der Bedarfsermittlung Sozialdienste eine bedeutsame Rolle spielen können.
Ferner wäre darauf hinzuweisen, dass die Sozialdienste in ihrer klärenden und unterstützenden neutralen Position gerade für die betroffenen Menschen eine große Bedeutung haben können: Diese unter den Begriff der „Akteure“ zu fassen wird der Rolle der Sozialdienste nicht gerecht.

c. In Abs. 5 wird zutreffend auf die Bedeutung des biopsychosozialen Modells und der ICF hingewiesen.  Hier mangelt es jedoch bereits in der Ausbildung und zudem auch in der beruflichen Praxis häufig an entsprechenden Kenntnissen, wie der vielfach artikulierte Fortbildungsbedarf, auch seitens der Rehaträger, zu dieser Thematik indiziert. Die Rehaträger sollten deshalb die Kompetenzerweiterung der Sozialdienste fördern und unterstützen.

 

III. Zu § 2

a. In Absatz 1 fehlt der Hinweis darauf, dass Sozialdienste die Aufgabe haben, Behinderungen und ggf. einen möglichen Bedarf an Leistungen zu erkennen. Hieran mangelt es häufig. Erst dann kann frühzeitig angeregt und koordiniert werden.

b. Ferner sollte ein Hinweis vor den folgenden Abschnitten darauf gegeben werden, dass einige Soziale Dienste sich nicht auf einzelne Leistungsgruppen oder Subsysteme, die im Folgenden dargestellt werden, beschränken sondern übergreifend tätig sind. Das gilt z.B. für den ASD, manche Beratungsstellen von Selbsthilfeorganisationen oder die allgemeinen Beratungsstellen kirchlicher Träger.

c. In Absatz 2 wäre noch konkreter auf die soziale Beratung in Pflegestützpunkten und für spezifische Behinderungen, z.B. für Hör- und Sehbehinderte, hinzuweisen. An Sozialpädiatrische Zentren (SPZ) existieren keine Beratungsstellen sondern häufig, nicht immer, soziale Dienste. Dies gilt auch für die MZEB, die bei der Aufzählung nicht fehlen sollten. Sozialdienste gibt es ferner auch an Tageskliniken.

Ferner sollte das Aufgabenspektrum nicht nur Teilhabe am Arbeitsleben oder Bildung, sondern auch die soziale Teilhabe berücksichtigen.

Die fachliche Beratung sollte nicht nur medizinische Leistungen (letzter Satz) umfassen, sondern zumindest auch das BEM, stufenweise Wiedereingliederung und evtl. andere Beispiele enthalten, um die hohe Bedeutung der Sozialdienste für die Teilhabesicherung plastisch werden zu lassen. Es ist verwirrrend und unzulänglich, wenn z.B. das Thema BEM erst bei Sozialdiensten angesprochen wird, die an spezifischen Rehaeinrichtungen (vgl. Abs. 3) angegliedert sind.

d. In Abs. 5 sind noch Beratungsstellen der Selbsthilfeorganisationen zu ergänzen

e. Es fehlt ein Hinweis auf die EUTB. Diese übernehmen wichtige Beratungsfunktionen, erfüllen jedoch nicht regelhaft die Anforderungen an einen Sozialen Dienst im Sinne dieser Gemeinsamen Empfehlungen. Dennoch sollte auf diese hingewiesen werden.

f. Unklar bleibt, warum die Integrationsfachdienste nicht erwähnt werden.

 

IV. Zu § 3

a. In Abs. 2 fehlt ein Hinweis darauf, dass diese Unterstützung und Begleitung je nach Möglichkeiten des Sozialen Dienstes auch ein Fallmanagement oder zumindest Elemente davon beinhalten kann. S. dazu auch Abs. 3. Auch besteht die Möglichkeit der Beauftragung von Sozialen Diensten durch die Rehaträger zur Durchführung von fall- und fachspezifischen Unterstützungsleistungen bis hin zum Fallmanagement. Dies sollte zumindest Erwähnung finden.

b. In Abs. 4 sollte die Bedarfserkennung als eigener Punkt behandelt werden: Denn zunächst muss der mögliche Bedarf dem Grunde nach erkannt werden. Erst dann folgen weitere Maßnahmen, die der Vorbereitung der Bedarfsermittlung dienen. Ist die ausführliche Sozialanamnese tatsächlich der Bedarfserkennung zuzuordnen?

Es sollte zudem klargestellt werden, dass als Ergebnis ein Leistungsantrag aber auch die Anforderung der Einleitung einer Bedarfsermittlung durch den zuständigen Rehaträger, deren Ergebnis dann ein Leistungsantrag sein kann, möglich ist.

Im 2. Spiegelstrich müsste es wahrscheinlich statt Bedarfsfeststellung Bedarfsermittlung heißen, da die Feststellung den Verwaltungsakt bezeichnet.

Die Beteiligung der Sozialdienste ist nicht nur bei einer Teilhabekonferenz sinnvoll, sondern auch im Rahmen der Teilhabeplanung.

Bei den Ausführungen zum Ende der Leistungen, ist ein Verweis auf die Mitwirkung beim Entlassmanagement sinnvoll.

Der Sozialdienst sollte erkannte mögliche Leistungsbedarfe dem zuständigen Leistungsträger mit Einverständnis des Betroffenen  mitteilen, damit dieser die gesetzlich vorgesehenen Schritte, z.B. eine weitergehende Bedarfsermittlung, vornehmen kann, um zumindest den Patienten sowie den weiterbehandelnden Arzt über mögliche Leistungen zu informieren. Insofern ist die Aussage, dass Sozialdienste mit allen zusammenarbeiten zu konkretisieren. In der jetzigen Formulierung bleiben die Gemeinsamen Empfehlungen zu unkonkret und unverbindlich.

Die Knüpfung der Beratung zur Schwerbehinderung an mögliche Leistungen der Integrationsämter ist zu eng, zumal dieser Fall relativ selten ist. Die Anerkennung eines GdB bzw. einer Schwerbehinderteneigenschaft kann z.B. auch am Arbeitsplatz aber auch in anderen Lebensbereichen eine hohe Bedeutung haben. Deshalb sollte die Beratung und Unterstützung bei der Beantragung ein eigener Punkt sein und allgemeiner gefasst werden.

 

V. Zu § 4

a. Die Bekundung der Bereitschaft zur Zusammenarbeit in Abs. 1 ist positiv zu bewerten. Dabei ist stets das Einverständnis der betroffenen Person einzuholen, sofern es um personbezogene Sachverhalte geht. Dies sollte auch hier klargestellt werden, um der zentralen und bestimmenden Rolle der betroffenen Menschen gerecht zu werden. Hier geht es nicht allein um Datenschutz.

In der Praxis wird aber das Problem berichtet, dass die Rehaträger Schriftsätze von Sozialdiensten nicht oder nicht hinreichend berücksichtigen. Dies zeigt sich z.B. an der mangelnden Berücksichtigung bei Antragsablehnungen oder in Widerspruchsbescheiden. Insbesondere aus der Eingliederungshilfe wird berichtet, dass die Mitwirkung von Sozialdiensten bei der Bedarfsermittlung oder Teilhabeplanung ausdrücklich abgelehnt oder bekundet wird, dass dessen Ausführungen keine Berücksichtigung finden können, da die Bedarfsermittlung und Teilhabeplanung ausschließlich Sache des Trägers sei.

Diese Berichte verweisen auf ein grundsätzliches Problem: Welche Bedeutung bzw. welcher Status kommt Berichten oder Stellungnahmen von Sozialdiensten im Rehaprozess in rechtlicher Hinsicht eigentlich zu? Lässt sich der Rehaträger beraten? Das dürfte im individuellen Einzelfall nur mit Einverständnis der betroffenen Person möglich sein. Oder sind sie Bestandteil einer gesetzlichen Regelung, z.B. beim Entlassmanagement, für das der behandelnde Arzt bzw. das Krankenhaus die Verantwortung trägt?

In der Regel wird man solche Berichte, jedenfalls wenn sie über die unmittelbaren Erfordernisse des Entlassmanagements oder der sozialmedizinischen Beurteilung nach stationärer Rehabilitation hinausgehen, eher als Sachvortrag der betroffenen Person zu werten haben! Voraussetzung hierfür ist, dass die betroffene Person den Sozialdienst mit einer solchen Stellungnahme beauftragt hat und diese mitträgt.

Hier wäre eine Klarstellung in der Gemeinsamen Empfehlung sinnvoll: Stellungnahmen und Berichte von Sozialdiensten werden als Sachvortrag der betroffenen Personen behandelt, die u.a. zur Tatsachenermittlung, zur Bedarfsermittlung, zur Teilhabeplanung etc. einbezogen werden müssen.

Ohne eine solche Klarstellung geht die Bekundung enger Kooperation ins Leere.

b. Zu Absatz 3 wäre wünschenswert, wenn die Rehaträger den Sozialdiensten jeweils aktuelle Informationen nicht nur zu den Rehaangeboten und -leistungen übermitteln, sondern auch zu wichtigen gesetzlichen Regelungen aus ihrem Aufgabenbereich sowie über Änderungen in Verwaltungsverfahren. Ferner wäre die Benennung von Ansprechpersonen für bestimmte Fragestellungen hilfreich.

Düsseldorf, 08.02.22

Stellungnahme

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