Stellungnahme zum KHAG

Als Dachverband von 121 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und deren Angehörigen mit rund 1 Million Mitgliedern sowie von 13 Landesarbeitsgemeinschaften begrüßt es die BAG SELBSTHILFE, dass mit dem vorliegenden Gesetzentwurf einige notwendige Anpassungen vorgenommen werden sollen, um das System der Leistungsgruppen zu optimieren.

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es aber wichtig zu betonen, dass dieses System nur ein Baustein unter vielen ist, um die Qualität der stationären Versorgung abzusichern und dass dieses System in einem engen Zusammenhang mit einer verantwortungsvollen Krankenhausplanung durch die Bundesländer steht.

Auf keinen Fall darf die Qualität der Versorgung als Entscheidungskriterium in den Hintergrund treten, wenn es um die Frage der künftigen Strukturen der stationären Versorgung geht.

In diesem Licht sind auch die im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen zur Flexibilisierung der Anwendung von Leistungsgruppenkriterien zu sehen:

Generell kann die BAG SELBSTHILFE das Bedürfnis nach Flexibilisierungen („Ausnahmen“) und Entbürokratisierungen zwar grundsätzlich nachvollziehen. 

Andererseits erscheint der Umfang der im Gesetzentwurf nun vorgesehenen Flexibilisierungen geeignet, dazu beizutragen, dass die Qualitätskriterien in der Umsetzung eine immer geringere Bedeutung erhalten. Dies ist umso bedenklicher, als es sich ja nur um basale Kriterien handelt, die für eine gute Versorgungsqualität der Ergänzung durch andere Instrumente wie Festlegung der Anzahl der Pflegefachkräfte bedürfen. Es wird angeregt im Gesetz klarzustellen, dass es sich um basale Kriterien handelt, die der Ergänzung durch andere Qualitätssicherungsinstrumente bedürfen.

Dies gilt insbesondere für die Pflegepersonaluntergrenzen; diese haben zumindest zu einer Festlegung der absoluten Untergrenzen geführt, bei deren Nichteinhaltung eine Patientengefährdung anzunehmen ist, und tragen damit zur Sicherstellung der Patientensicherheit bei. Eine solche Grenze nicht mehr zu kontrollieren, ist aus Sicht der BAG SELBSTHILFE keine Entbürokratisierung, sondern die faktische Aufgabe der Umsetzungsverpflichtung. Die BAG SELBSTHILFE fordert daher dringend, die Kontrollen durch die Medizinischen Dienste weiterhin aufrechtzuerhalten.

Die Definition der Kriterien für die Leistungsgruppen muss als lernendes System ausgestaltet werden. Hier spielt der sogenannte Leistungsgruppenausschuss eine wichtige Rolle. Daher begrüßt die BAG SELBSTHILFE sehr, dass die Mitwirkung der Patientenvertretung nach § 140 f SGB V im Leistungsgruppenausschuss nun im vorgelegten Gesetzentwurf auch klarstellend geregelt wird.

Zu den Regelungen im Einzelnen:

1) Ausnahmeregelung: Mögliche Versorgungsaufträge für Krankenhäuser, welche die für die Leistungsgruppen maßgeblichen Qualitätskriterien nicht erfüllen (§ 109 Absatz 3a Satz 4 und 5 SGB V RefE; § 6a Absatz 4 KHG RefE)

Die BAG SELBSTHILFE kann zwar, wie bereits ausgeführt, einerseits den Bedarf an Flexibilisierung nachvollziehen, sieht aber den Umfang der vorgesehenen Regelungen und Aufweichungen der Verbindlichkeit der Qualitätskriterien kritisch: Die Krankenhausplanungsbehörden der Bundesländer sollen nunmehr die Möglichkeit erhalten, einem Krankenhaus im Benehmen mit den Krankenkassen Leistungsgruppen zuzuweisen, auch wenn es die Qualitätskriterien nicht erfüllt – jedenfalls wenn dies zur Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung zwingend erforderlich ist. Der Entwurf streicht die ursprüngliche Konkretisierung von 30 bzw. 40 Minuten Entfernungen und überlässt die Beurteilung der zwingenden Erforderlichkeit den Bundesländern (§ 6a Abs. 4 KHG). Planungsbehörden können über die Frage, welche die zumutbare Entfernung ist oder ob ein anderes Krankenhaus die Versorgung übernehmen kann, nach eigenem Ermessen entscheiden. Der (bereits möglichen) Ausnahme von den Qualitätskriterien für Leistungsgruppen (max. 3 Jahre) wird eine zusätzliche Ausnahme von weiteren 3 Jahren hinzugefügt – im Einvernehmen mit den Krankenkassen. Für bedarfsnotwendige Krankenhäuser bleiben unbefristete Ausnahmen möglich. Krankenkassen können auf dieser Basis Versorgungsverträge abschließen (§ 109 SGB V).

Dies alles sind sehr weitgehende Ausnahmeregelungen.

Ausgehend davon, dass § 135e SGB V i. V. m. Anlage 1 (Leistungsgruppen) Mindestanforderungen an die Qualität der Krankenhausbehandlung festlegt, stellt sich aus Sicht der BAG SELBSTHILFE die Frage, wie in diesen Krankenhäusern das Qualitätsgebot des § 2 SGB V zur Erfüllung der Leistungsansprüche von Versicherten sichergestellt werden soll.

Mindestens sollte die Umsetzung engmaschig kontrolliert werden, damit nicht einfach mehr Geld für die Transformation ins System geleitet wird, ohne dass ein Mehr an qualitativ guter Patientenversorgung stattfindet und die Patientinnen weiterhin in für ihre Erkrankung ungeeigneten Krankenhäusern landen. 

Zudem müsste dann mindestens Transparenz für die Patientinnen und Patienten dahingehend hergestellt werden, dass die Einrichtungen, in denen sie behandelt werden, die nach den Leistungsgruppen erforderlichen Qualitätsstandards nicht erfüllen. Daher fordert die BAG SELBSTHILFE die Schaffung eines Transparenzregisters für Ausnahmefälle, das für die Bürgerinnen und Bürger einsehbar sein soll.

2. Streichung von vier Leistungsgruppen

Die BAG SELBSTHILFE lehnt die Streichung von vier ursprünglich geplanten Leistungsgruppen ab, darunter Notfallmedizin, Infektiologie, spezielle Kinder- und Jugendmedizin sowie spezielle Kinder- und Jugendchirurgie. Offenbar wurden diese hochkomplexen Leistungen nur aufgrund der Groupersystematik des DRG-Systems den allgemeinen Leistungsgruppen zugeordnet.

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist dies nicht sachgerecht: Es besteht die Gefahr einer Unterfinanzierung von komplexen und anspruchsvollen Leistungen und eine Patientengefährdung durch die Erbringung durch nicht spezialisierte Einrichtungen. In besonderem Maße gilt dies für die Kinder- und Jugendmedizin, die traditionell oft querfinanziert werden musste. Eine Versorgung von Kindern und Jugendlichen durch nicht hinreichend qualifizierte Behandlerinnen und Behandler ist nicht ausreichend und mit dem Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V nicht vereinbar.

Eine Streichung der Leistungsgruppe der Infektiologie ist angesichts der Erfahrungen der Pandemie ebenfalls nicht nachzuvollziehen, zumal der Klimawandel neue Erkrankungsrisiken für Patient*innen mit sich bringen wird (z. B. stärkere Verbreitung bestimmter Mückenarten). Auch der demografische Wandel in der Bevölkerung spricht eher für eine zunehmende Bedeutung der infektiologischen Versorgung. Zu Recht wird von Infektiologen zudem darauf hingewiesen, dass infektiologische Fachexpertise nachweislich Kosten bei besserer Qualität spart, indem sich bei der Behandlung schwerer und komplexer Infektionen das klinische Outcome verbessert, die Liegezeiten verkürzt und der Antibiotikaeinsatz reduziert wird.

Die BAG SELBSTHILFE tritt dafür ein, dass die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vorgegebene zahlenmäßige Limitierung der Anzahl der Leistungsgruppen aufgegeben wird. Eine solche Begrenzung ist in medizinischer Hinsicht nicht zu rechtfertigen. Beispielsweise sollte für die Schmerzmedizin unbedingt auch eine eigenständige Leistungsgruppe gebildet werden.

3. Konkretisierung der Beteiligungsrechte PatV im LGA (§ 135e Abs. 3 Satz 7 RefE)

Wie bereits dargestellt begrüßt die BAG SELBSTHILFE die Konkretisierung und Angleichung der Beteiligungsrechte der Patientenvertreter*innen im Leistungsgruppenausschuss an diejenigen im Gemeinsamen Bundesausschuss sehr, da es deren Arbeit erheblich erleichtert.

4. Mindestmenge nach § 40 KHG für onkochirurgische Leistungen und Ausnahmen durch den G-BA (§§ 136c Absatz 2 SGB V RefE, 40 Absatz 2 Satz 2 und 3 KHG RefE)

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE wirft die Neugestaltung der Mindestmengenregelung grundlegende rechtssystematische Fragen auf und sollte insoweit noch angepasst werden: Der Gemeinsame Bundesausschuss soll nach dem vorliegenden Entwurf die Möglichkeit bekommen, „zur Aufrechterhaltung einer patienten- und bedarfsgerechten flächendeckenden stationären Versorgung“ von der Mindestfallzahl, die über § 40 KHG für onkochirurgische Leistungen gesetzt wird, nach unten hin abzuweichen.

Die entscheidende rechtssystematische Frage stellt sich im Zusammenhang mit dem Aufgabenbereich des G-BA gem. § 136b SGB V zur Festlegung evidenzbasierter Mindestmengen. Die vom G-BA festgelegten Höhen der Mindestmengen berücksichtigen gemäß der höchstrichterlichen Rechtsprechung nach durchgeführtem Abwägungsprozess den Qualitätsgewinn, die schutzwürdigen Interessen der Patient*innen einschließlich der Verlängerung von Wegen sowie die schutzwürdigen Interessen der Krankenhäuser. Inwieweit jedoch die Höhe der Mindestmenge im Einzelfall aufgrund regionaler Besonderheiten die Sicherstellung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung dennoch gefährden könnte, obliegt der Prüfung der Krankenhausplanungsbehörden (§ 136b Absatz 5a SGB V). Es bleibt unklar, in welchem Verhältnis die Normen zueinander stehen. 

Aus rechtssystematischen Gründen sollte die Regelung daher gestrichen oder zumindest wie folgt angepasst werden:

  • Soweit dem G-BA gemäß § 136c Absatz 2 SGB V RefE die Möglichkeit eingeräumt werden soll, für bestimmte Indikationsbereiche Abweichungen von der in § 40 KHG festgelegten Prozentzahl von 15 % festzulegen, kann hierbei nicht das Ziel der Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung im Vordergrund stehen, sondern der gesamte Prüfungsmaßstab für die Festlegung von Mindestmengen nach § 136b SGB V.

  • § 40 KHG könnte dahingehend angepasst werden, dass, soweit der G-BA bereits gemäß § 136b SGB V eine Mindestmenge im Bereich der Onkochirurgie festgelegt hat, das InEK selbst bereits die entsprechende Prozentzahl anpasst, ohne dass hierzu ein weiteres Verfahren im Sinne von § 136c Absatz 2 SGB V idF des Referentenentwurfs erforderlich ist.

5. Wegfall Personaluntergrenzen (Anforderungsbereich „Sonstige Struktur- und Prozessvoraussetzungen“)

Die BAG SELBSTHILFE lehnt die Aufgabe der Prüfung der Pflegepersonaluntergrenzen durch die Medizinischen Dienste ab. Faktisch dürfte dies bedeuten, dass die PpUgV von vielen Krankenhäusern nicht mehr eingehalten wird, auch wenn die Verpflichtung weiterhin besteht; insbesondere die Krankenhäuser, bei denen die Patientensicherheit nicht oberste Priorität hat, dürften diese nicht mehr einhalten, obwohl gerade bei Ihnen diese Grenze hoch sinnvoll ist. Eine solche Aufgabe nicht mehr zu kontrollieren, ist aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE keine Entbürokratisierung, sondern eine faktische Aufgabe der Umsetzungsverpflichtung zu Lasten von vulnerablen Patientengruppen. Sie fordert daher dringend, die Kontrollen durch die Medizinischen Dienste weiterhin aufrecht zu erhalten. 

6. Mindestanforderungen an die Qualität der Krankenhausbehandlung 
(§ 135e SGB V)

Wie bereits eingangs dargestellt, hält es die BAG SELBSTHILFE für sinnvoll, im Gesetz zu verdeutlichen, dass die Qualitätskriterien der Leistungsgruppen nicht generell die Anforderungen an eine „gute Qualität“ darstellen. Auch wenn dies in der Überschrift und der Formulierung „Mindestanforderungen“ bereits andeutungsweise zum Ausdruck kommt, wäre eine Aufnahme in den Gesetzestext aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE zur Klarstellung sinnvoll: Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist eine noch deutlichere Formulierung im Gesetz angezeigt.

Daher sollte in § 135e Absatz 1 und Nr. 2 SGB V vor dem Wort „Qualitätskriterien“ aus Sicht der BAG SELBSTHILFE zur Klarstellung zusätzlich das Wort „basale“ eingefügt werden.

7. Richtlinienumsetzung des Medizinischen Dienstes, § 283 RefE

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die vorgesehene Regelung zur Umsetzung der Richtlinien des MD Bund, da dies eine Grundlage für eine homogenere Umsetzung der Richtlinien sein kann.

 

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