Entwurf eines Gesetzes zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege (Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz – PUEG)

Als Dachverband von 125 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und deren Angehörigen sowie von 13 Landesarbeitsgemeinschaften teilt die BAG SELBSTHILFE zwar das Ziel der Bundesregierung, Pflegebedürftige und ihre Angehörigen zu entlasten und hält die vorgesehenen Maß-nahmen grundsätzlich auch für begrüßenswert; allerdings hält sie sie gleichzeitig in keiner Weise für ausreichend. Betroffene und ihre Angehörige haben in stationären Einrichtungen derzeit mit Kostensteigerungen von teilweise über 500 € zu kämpfen. Gegenüber 2018 sind die Kosten für einen Heimplatz im Schnitt bun-desweit von 1.772 auf 2.411 € gestiegen, ein Plus von 36 Prozent; gegenüber dem letzten Jahr fand eine Erhöhung von 13 Prozent statt. Wie finanziell überlastet die Betroffenen und ihre Angehörigen derzeit sind, zeigt sich auch daran, dass die Zahl der pflegebedürftigen Personen, die in einer stationären Einrichtung auf Sozialhilfe angewiesen sind, steigt und voraussichtlich weiter steigen wird.

Im Koalitionsvertrag wurde festgelegt, dass die Eigenanteile begrenzt und berechenbar gemacht werden sollen; dies ist durch die vorgesehene Maßnahme nicht gewährleistet, vielmehr braucht es für den Bereich der pflegebedingten Kosten in der stationären Pflege dringend den – auch im Antrag der Fraktion DIE LINKE - angesprochenen Sockel-Spitze-Tausch mindestens auf dem Niveau des Vorjahres, eine Übernahme (und Kontrolle) der Investitionskosten durch die Länder und eine bessere Kontrolle der Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Ferner muss auch der Ausgleich der medizinischen Behandlungspflege, der im Koalitionsvertrag vorgesehen wurde, dringend umgesetzt werden, um so mittelbar die Pflegebedürftigen und ihre Familien von Kosten im Bereich der stationären Pflege zu entlasten.

Doch auch im ambulanten Bereich bedarf es dringend entsprechender Erhöhungen über die vorgesehenen Verbesserungen hinaus. Nach wie vor sind pflegende Angehörige der größte Pflegedienst der Nation; sie werden derzeit aber nicht entlastet, sondern eher zusätzlich belastet, etwa durch tariflich bedingte Kostensteigerungen bei den Pflegesachleistungen. Hier benötigen die Pflegebedürftigen und ihre Familien dringend eine Erhöhung um mehr als 5 Prozent. Denn tarifliche Steigerungen und sonstige Erhöhungen aufgrund der Inflation seitens der Pflegedienste führen dazu, dass die Betroffenen immer weniger Leistungen für diese Beträge einkaufen können. Dies ist umso schwieriger, als sie wegen der steigenden Lebenshaltungs- und Energiepreise auch immer weniger eigene Mittel für pflegebedingte Leistungen aufwenden können und so eine private Kompensation der fehlenden Leistungen nicht mehr möglich ist, die in der Vergangenheit vielleicht noch in Einzelfällen gelungen ist. Hier fordert die BAG SELBSTHILFE eine Erhöhung der Leistungen über die 5 Prozent hinaus und ab 2024 eine jährliche Dynamisierung, die sich gemischt an Verbraucherpreisen und tatsächlichen Kostensteigerungen im Bereich der Pflegesachleistungen orientiert.

Eine deutlich stärkere Erhöhung fordert die BAG SELBSTHILFE im Bereich des Pflegegeldes: Bereits Ende 2020 hat die Bundesregierung die Erhöhung des Pflegegeldes um 5 Prozent für notwendig erachtet, eine Umsetzung erfolgte jedoch nicht. Zuletzt wurde das Pflegegeld 2017 angepasst, seitdem hat es Teuerungen unterschiedlichster Art gegeben, zuletzt mit hoher Inflation in dramatischem Ausmaß; insgesamt beinhaltet die Entwicklung der Verbraucherpreise bis heute eine Erhöhung um 17,7 Prozent seit 2017. Hier bedarf es nun endlich – ähnlich der Forderung im Antrag der Fraktion DIE LINKE - einer zeitnahen Erhöhung zum 1. Juli diesen Jahres um 18 Prozent, die diese hohen Belastungen der Betroffenen und ihren Familien ein Stück weit auffängt; dies hätte aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE längst erfolgen müssen und sollten sich bei einer jährlichen Dynamisierung – wie auch die Pflegesachleistungen – an der Verbraucherinflation und den Kostensteigerungen im Bereich der Pflegesachleistungen orientieren.

Ebenfalls kritisch wird die Erhöhung der Beiträge zur Pflegeversicherung von der BAG SELBSTHILFE gesehen, zumal diese nicht dazu dient, die vorhandenen strukturellen Probleme der Pflegeversicherung dauerhaft zu lösen; gleichzeitig dürfte es zu der Erhöhung angesichts des Defizites der Pflegeversicherung und der Maßgaben des Bundesverfassungsgerichtes nur wenig Alternativen geben. Die BAG SELBSTHILFE hält allerdings die vorgesehene zukünftige Anpassung ohne parlamentarische Beteiligung für schwierig. Insgesamt wäre zur Abfederung der enormen Kostensteigerungen dringend ein höherer Steuerzuschuss vorzusehen.

Ausdrücklich und uneingeschränkt zu begrüßen ist hingegen die Errichtung einer Stabsstelle für den Bereich der Pflege und die Schaffung von Transparenz im Qualitätsausschuss. Die Komplexität der verschiedenen Aufgaben und Arbeitsgruppen im Qualitätsausschuss bedarf dringend personeller Unterstützung, wie sie ja auch im Gemeinsamen Bundesausschuss bereits seit 2008 – angesichts der Größe des GBA in deutlich größerem Umfang - zur Verfügung steht. Ebenfalls begrüßt wird die nunmehr vorgesehene Patientenbeteiligung der Verbände nach § 118 beim Kompetenzzentrum für Digitalisierung und Pflege, die im Referentenentwurf noch nicht enthalten war.

Zu den Vorschriften im Einzelnen nimmt die BAG SELBSTHILFE wie folgt Stellung

1. Förderprogramm für digitale und technische Anschaffungen (§ 8 Abs. 8 SGB XI GesE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt es, dass das bereits seit 2019 bestehende Förderprogramm für digitale und technische Anschaffungen in Pflegeeinrichtungen (§ 8 Abs. 8 SGB XI) bis Ende 2030 verlängert und um einen weiteren Zweck erweitert wird: In Zukunft sollen Bewohner*innenzimmer in Pflegeheimen mit Internet- und WLAN-Anschlüssen aus Mitteln des Förderprogramms ausgestattet werden können.

Auch die Förderfähigkeit von Aus-, Fort- und Weiterbildung zu den digitalen Kompetenzen des Pflegepersonals sowie der Bewohner*innen wird positiv gesehen.

Weitergehend setzt sich die BAG SELBSTHILFE aber dafür ein, dass sich Leistungen bei Pflegebedürftigkeit nicht ausschließlich auf die Gewährung von Leistungen nach dem SGB XI beschränken dürfen. Vielmehr ist dem Aspekt der selbstbestimmten

Teilhabe im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention und des SGB IX

mehr Beachtung als bisher zu schenken und die barrierefreie Zugänglichkeit zum Internet und sozialen Medien sicherzustellen. Dies ist derzeit – ebenso wie der förderfähige WLAN Zugang in den allermeisten Pflegeheimen – nicht der Fall.

2. Erweiterung der Beteiligung der Verbände nach § 118 SGB XI, Beteiligung an den Begutachtungsrichtlinien (§ 17 SGB XI GesE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Maßgabe, dass der MD Bund auf schriftliche Positionierungen der Pflegebedürftigenorganisationen, denen er nicht folgt, reagieren und die Gründe mitteilen muss, weswegen er hier anderer Auffassung ist. Dies ist aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ein hilfreiches Instrument, um der Auseinandersetzung mit den Argumenten der Pflegebedürftigenvertretung ein zusätzliches Gewicht zu geben.

Die BAG SELBSTHILFE hält es aber nicht für zielführend, dass für die Erstellung der Dienstleistungsrichtlinien offenbar keine Beratungsbeteiligung der Organisationen nach § 118 SGB XI, sondern nur eine Stellungnahmemöglichkeit vorgesehen ist. Gerade im Bereich des – leider oft ungenügend sensiblen - Umgangs mit Pflegebedürftigen haben die Verbände umfangreiche Erfahrungen und ein ureigenstes Interesse an einer Verbesserung; gerade diese Erfahrungen und mögliche Verbesserungsvorschläge sollten sie im Rahmen einer Beratungsbeteiligung einbringen können; andernfalls besteht das Risiko, dass sich die Richtlinien wiederum im Wesentlichen an den Handlungslogiken der entsprechenden Institutionen orientiert und nicht – wie es an der Stelle besonders offensichtlich ist – notwendigerweise an den Bedarfen der Pflegebedürftigen. Vor diesem Hintergrund wäre hier ein Mitberatungsrecht der Verbände nach § 118 vorzusehen, welches auch die oben angesprochene Maßgabe einer schriftlichen Rückäußerung auf Positionen beinhaltet, denen nicht gefolgt wird. Mindestens sollte die Gelegenheit auch zur mündlichen Stellungnahme eröffnet werden, wie sie auch bei den Beratungen zum Hilfsmittelverzeichnis üblich ist. Zwar haben die Verbände nach § 118 durch ihre Beteiligung im Verwaltungsrat des Medizinischen Dienstes eine stärkere Stellung, allerdings betrifft dies nicht zwingend die Auseinandersetzung mit allen Details einer Stellungnahme.

3. Beauftragung zur Begutachtung, telefonische oder videogestützte Begutachtung (§ 18ff. SGB XI GesE)

Die BAG SELBSTHILFE hält es für sinnvoll, § 18 Abs. 5 zur Verbesserung der Wahlmöglichkeiten der Betroffenen zu erweitern: Sofern die Antragsteller kein Einverständnis in die Begutachtung in seinem Wohnbereich erteilen, aber Ärzte und Pflegekräfte von der Schweigepflicht entbinden, sollte aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE die Möglichkeit eingeräumt werden, dass eine Prüfung unter Beteiligung der behandelnden Ärzte und Pflegedienste bzw. Pflegeeinrichtungen i.S. eines Assessments durchgeführt werden kann.

Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE sollte eine Begutachtung im Wohnbereich zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit im Grundsatz der Regelfall bleiben – wie es auch § 18a zu Recht festlegt; dies sollte uneingeschränkt für Erstbegutachtungen gelten. Wenn es jedoch bei Folgebegutachtungen den Wunsch des Betroffenen und der Angehörigen gibt, sollte es grundsätzlich möglich sein, hier eine telefonische oder videogestützte Form der Begutachtung durchzuführen, jedenfalls außerhalb von (Folge-)Begutachtungen von Kindern, bei seltenen Erkrankungen, bei Krankheiten mit schwer abschätzbaren Verlauf mit der Notwendigkeit persönlichen Augenscheins oder bei der Notwendigkeit der Feststellung eines Hilfsmittel-bedarfes, die sich für diese Form des Verfahrens nicht eignen und bei denen eine Begutachtung vor Ort auch bei Folgebegutachtungen notwendig ist. Der Wunsch des Versicherten sollte jedoch zwingende Voraussetzung für eine solche Abweichung vom Regelfall der persönlichen Begutachtung bei Folgebegutachtungen sein; es sollte zudem sichergestellt sein, dass der Wunsch nach telefonischer bzw. videogestützter Begutachtung von den Betroffenen selbst ohne entsprechende Einflussnahme der Mitarbeiter des Medizinischen Dienstes kommt.

Die Regelungen des § 18c Abs. 2 werden zwar seitens der BAG SELBSTHILFE begrüßt, allerdings noch für ergänzungsbedürftig gehalten: Zum einen sollte das Gutachten in barrierefreier Form übersandt werden; zum anderen sollte § 18 c Abs.2 SGB XI GesE auch eine über die übliche Rechtsbehelfsbelehrung hinausgehende verständliche Belehrung des Antragsstellers über seine Widerspruchsmöglichkeit vorsehen. Ferner sollte aufgenommen werden, dass in der Entscheidung ausführlich und für den Empfänger verständlich dargelegt wird, worauf sich die Entscheidung detailliert stützt (welche Arztunterlagen wurden herbeigezogen etc.).

4. Dynamisierung der Leistungen (§ 30 SGB XI GesE)

Seit der letzten Erhöhung des Pflegegeldes 2017 sind die Verbraucherpreise bis heute um 17,7 Prozent gestiegen; für die Bereiche der Pflegesachleistungen und der stationären Pflege sind zudem tarifliche Erhöhungen dazu gekommen, die für zusätzliche Belastungen der Pflegebedürftigen sorgten, da diese auf die Eigenanteile oder die eigenfinanzierten Pflegeleistungen durchschlugen, wenn sie im Bereich der ambulanten Pflege überhaupt aufgefangen werden konnten. Auch wenn es im Laufe der letzten Jahre leichte Entlastungen insbesondere im Bereich der stationären Pflege und der Pflegesachleistungen gab, sind diese leider durch die erheblichen Kostensteigerungen infolge der Tarifentlohnung mehr als kompensiert worden. Betroffene berichten im Bereich der stationären Pflege über enorme Kostensteigerungen von 500 € und mehr. Ähnliches wird von den Kostensteigerungen in der ambulanten Pflege rückgemeldet, wobei hier die Kostensteigerungen teilweise zu einer zusätzlichen Belastung der pflegenden Angehörigen sorgen, weil diese nicht mehr die gewohnten Leistungen einkaufen können bzw. diese auch nicht selbst finanzieren können.

Insgesamt ist eine Erhöhung von nur 5 Prozent ab 2023 nach der langen Zeit des Verzichts auf Erhöhungen im Bereich des Pflegegeldes und der hohen Inflation deutlich zu spät und zu niedrig bemessen. Zudem steht sie auch nicht im Einklang mit der Erhöhung der Leistungen der hauptamtlichen Pflege, die ja über die Eigenanteile im stationären Bereich bzw. durch erhöhte Eigenfinanzierung der Pflege-sachleistungen im ambulanten Bereich derzeit größtenteils von der Gruppe der Pflegebedürftigen finanziert werden, da die stattgefundenen Tarifanpassungen der Pflegekräfte wegen des fehlenden Sockel-Spitze-Tausches fast ausschließlich auf die Eigenanteile der Pflegebedürftigen durchschlagen bzw. im Bereich der ambulanten Pflege durch erhöhte Eigenbeteiligungen oder Verzicht auf Leistungen.

Auch im Koalitionsvertrag war eine regelhafte Dynamisierung des Pflegegeldes bereits ab 2022 vorgesehen; die Bundesregierung hatte eine Erhöhung des Pflegegeldes bereits 2020 um 5 Prozent für notwendig erachtet, die jedoch bis heute nicht umgesetzt wurde. Dies ist umso ärgerlicher, als diese Erhöhungsempfehlung vor dem Hintergrund einer relativ geringen Inflation erfolgte, die sich heute längst komplett anders darstellt.

Vor diesem Hintergrund ist es völlig unverständlich, dass die Leistungen zum 1.1.2024 nur um überwiegend 5 Prozent erhöht werden sollen, wenn gleichzeitig die Inflation für diesen Zeitraum fast 18 Prozent beträgt und gleichzeitig auch noch Steigerungen hinzukommen, die auf der politisch gewollten Anpassung der Löhne der Pflegekräfte beruhen. Die BAG SELBSTHILFE fordert insoweit zeitnah eine Erhöhung um 18 Prozent, spätestens zum 1.7.2023.

Soweit eine Dynamisierung der Leistungen 2025 und 2028 in § 30 SGB XI GesE angepasst an die „Kerninflationsrate“ vorgesehen ist, hält die BAG SELBSTHILFE eine jährliche Dynamisierung angepasst an die reguläre Inflationsrate und auch tariflich bedingten Erhöhung der Pflegesachleistungen (gemischt) für sachgerechter; es steht zu befürchten, dass die Erhöhung der Kosten der Pflegesachleistungen angesichts des Pflegemangels in Zukunft deutlich über der Inflationsrate liegt, so dass hier eine Einbeziehung der realen Kosten dringend erforderlich ist.

Ferner wird eine jährliche Erhöhung für notwendig gehalten. Denn eine Dynamisierung in längeren Abständen hat für die Betroffenen zur Folge, dass sie den inflationsbedingten Wertverlust in den Jahren selbst kompensieren müssen, in denen keine Erhöhung erfolgt. Dies ist nicht sachgerecht und dürfte auch dazu führen, dass immer mehr Menschen auf Leistungen der Sozialhilfe angewiesen sind. Zudem bildet eine „Kerninflationsrate“ weder vollständig die Steigerungen im Verbraucherbereich noch die voraussichtlich hohen Steigerungen der Pflegesachleistungen ab. Ein Konzept für die Berechnung sollte aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE sehr zeitnah entwickelt werden.

5. Mitaufnahme Pflegebedürftiger (§ 42a SGB XI GesE)

Auch wenn die BAG SELBSTHILFE die neuen Inhalte des § 42a SGB XI inhaltlich begrüßt, kann sie es nicht nachvollziehen, weswegen der noch im Referentenentwurf unter diesem Paragraph enthaltene gemeinsame Jahresbetrag/das Entlastungsbudget aus dem Kabinettsentwurf gestrichen wurde, trotzdem er im Koalitionsvertrag angekündigt war. Diese Regelung hätte für die Betroffenen und ihre Angehörigen eine erhebliche Entlastung gebracht und passgenauere Lösungen für ihre jeweilige Situation ermöglicht. Insoweit fordert sie dringend dazu auf, diese Regelung wieder in das Gesetzgebungsverfahren aufzunehmen.

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt hingegen die nunmehr in § 42a enthaltene Regelung, da hier der Zugang zur Mitaufnahme Pflegebedürftiger erleichtert wird.

Der neue § 42a des Gesetzentwurfs regelt die Voraussetzungen der Mitaufnahme Pflegebedürftiger in eine stationäre Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung, wenn pflegende Angehörige dort entsprechende Leistungen in Anspruch nehmen. Die Mitaufnahme ist dann möglich, wenn vor Ort die Grund- und Behandlungspflege sowie pflegerische Betreuungsmaßnahmen sichergestellt werden können. Pflegebedürftige erhalten ab dem 01. Juli 2024 einen Anspruch auf die Erstattung aller anfallenden Kosten, inklusive Unterkunft und Verpflegung sowie ggf. Fahrtkosten. Für die Dauer der Vorsorge- oder Rehabilitationsmaßnahme ruht der Anspruch auf Pflegegeld (§37 SGB XI) oder anteiliges Pflegegeld (§ 38 SGB XI). Leistungen nach dieser Vorschrift werden nur erbracht, wenn kein Anspruch auf Versorgung des Pflegebedürftigen nach § 40 Absatz 3a Satz 1 SGB V besteht.

6. Finanzielle Entlastung der Pflegebedürftigen in der stationären Pflege
(§ 43c SGB XI GesE)

Wie bereits dargestellt begrüßt die BAG SELBSTHILFE einerseits die Entlastungen von 5-10 Prozent in der stationären Pflege, hält diese jedoch angesichts der dramatisch steigenden Eigenanteile nicht für ausreichend. Aus ihrer Sicht muss zeitnah eine Pflegereform mit Sockel- Spitze- Tausch, Verpflichtung der Länder zur Zahlung (und Kontrolle) der Investitionskosten und eine stärkere Kontrolle der Kosten für Unterkunft und Verpflegung kommen; denn derzeit tragen die Betroffenen sowohl die tariflich gestiegenen Kosten als auch die erhöhten Energiepreise. Ferner scheint es auch in einigen Fällen Mitnahmeeffekte der Erhöhungen in stationären Einrichtungen zu geben.

7. Entlastungsbetrag (§ 45b SGB XI GesE)

Die BAG SELBSTHILFE setzt sich dafür ein, dass die Anforderungen für die Angebote, für die der monatlichen Entlastungsbetrag von 125 € eingesetzt werden kann, niedrigschwellig bundeseinheitlich festgelegt werden. Derzeit gibt es enorme Unterschiede zwischen den Bundesländern mit der häufigen Folge, dass der Entlastungsbetrag nicht für nachbarschaftliche und ehrenamtliche Hilfsangebote eingesetzt wird, sondern dass sich Pflegedienste diesen Betrag abtreten lassen- ohne dass immer klar ist, welche Leistungen dafür erbracht werden. Denn nach wie vor fehlen in vielen Bundesländern die Angebote zur Entlastung bzw. werden zu hohe Anforderungen für die Umsetzung an die Dienste gestellt.

Ferner müsste auch dieser Beitrag nun endlich nach dem Prüfbericht der Bundesregierung von 2020 um mindestens 5 Prozent angepasst werden.

8. Beitragssatzerhöhung (§ 55 SGB XI GesE)

Die Erhöhung der Beiträge sieht die BAG SELBSTHILFE kritisch, zumal diese nicht dazu dient, die vorhandenen strukturellen Probleme der Pflegeversicherung dauerhaft zu lösen; die BAG SELBSTHILFE hält zudem die vorgesehene zukünftige Anpassung ohne parlamentarische Beteiligung für schwierig. Die Begründung, dass der Finanzbedarf ggf. kurzfristig zu decken ist, sollte nicht zu außerparlamentarischen Lösungen führen. Zusätzliche finanzielle Belastungen der Versicherten bedürfen der parlamentarischen Debatte und eines parlamentarischen Konsenses. 

Insgesamt wäre zudem aus ihrer Sicht zur Abfederung der enormen Kostensteigerungen dringend ein höherer Steuerzuschuss vorzusehen. Dies gilt umso mehr, als hier mit diesem Gesetz (und vorangehenden Gesetzen) Strukturaufgaben wie etwa das Kompetenzzentrum Digitalisierung und Pflege auf die Sozialversicherungen verlagert werden, die eigentlich dem steuerlichen Bereich zuzuordnen sind.

Auch ein Ausgleich durch andere Sozialleistungsträger für Aufgaben, die die Pflegeversicherung wahrnimmt, sollte erfolgen, etwa die im Koalitionsvertrag versprochene Erstattung der Behandlungspflege.

9. Übersicht über die bisherigen Leistungen (§ 108 SGB XI GesE)

Die BAG SELBSTHILFE sieht es sehr positiv, dass die Betroffenen in Zukunft eine Übersicht über die von den Pflegebedürftigen in der Vergangenheit bezogenen
Leistungen und deren Kosten von den Pflegekassen künftig einmal je Kalenderhalbjahr übersandt erhalten sollen.

Die BAG SELBSTHILFE hätte insoweit noch drei Punkte, die aus ihrer Sicht aufgenommen werden sollten:

  • Es wird begrüßt, dass nunmehr – gegenüber dem Referentenentwurf - die Regelung aufgenommen wurde, dass der Wunsch nach Übersendung zu einer quasi-automatischen Wiederholung der Übersendung führt. Gleichwohl ist es hierzu notwendig, diesen Wunsch zumindest einmal zu äußern; dies dürfte aber leider nur von einem Bruchteil der Betroffenen gewusst und umgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund würden wir eine automatische Übersendung ohne die erste Anforderung für sinnvoll halten – mit der Möglichkeit zu widersprechen.
  • Zum anderen würde die BAG SELBSTHILFE es auch befürworten, wenn der Restanspruch - etwa nach § 42a – in der Übersicht aufgeführt werden müsste, da dies die Planung für die Betroffenen erleichtern würde. Auch wenn es hier gegenüber dem Referentenentwurf begrüßenswerte Ergänzungen gab (etwa zur Darstellung der Leistungsbestandteile), ist doch der Restanspruch nicht enthalten, sondern muss anhand der übersandten Unterlagen errechnet werden.
  • Die Übersicht sollte in barrierefreier Form übersandt werden müssen.

 

10. Qualitätsausschuss (§ 113b SGB XI GesE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt nachdrücklich, dass nunmehr eine Stabsstelle für die Verbände nach § 118 SGB XI beim Qualitätsausschuss geschaffen werden soll – wie sie auch im Gemeinsamen Bundesausschuss besteht. Zu Recht verweist die Gesetzesbegründung darauf, dass die Komplexität der verschiedenen Aufgaben und Arbeitsgruppen im Qualitätsausschuss personeller Unterstützung der Verbände nach
§ 118 SGB XI, wie sie ja auch im Gemeinsamen Bundesausschuss bereits seit 2008 – angesichts der Größe des GBA in deutlich größerem Umfang - zur Verfügung steht.

Auch die zu schaffende Transparenz durch die Öffentlichkeit der Plenumssitzungen ist ausdrücklich zu begrüßen. Sie entspricht aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE den allgemeinen Transparenzanforderungen, wie sie ja auch für den Gemeinsamen Bundesausschuss gelten; zu Recht muss diese Transparenz hinsichtlich der gesellschaftlich wichtigen Diskussionen zur Pflege gelten. Die Pflegebedürftigenvertretung hatte sich in Vergangenheit für eine stärkere Transparenz des Gremiums eingesetzt, war damals jedoch nicht durchgedrungen.

11. Kompetenzzentrum Pflege und Digitalisierung (§ 125b SGB XI GesE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Errichtung eines Kompetenzzentrums ebenso wie die – gegenüber dem Referentenentwurf – erweiterte Beteiligung der Verbände der Pflegebedürftigen nach § 118 an der Errichtung des Kompetenzzentrums und dessen Beirat. Zu Recht wird dadurch anerkannt, dass ihre Perspektive – ebenso wie etwa in der Gematik – zentral für die Implementierung von Versorgungsrealitäten in entsprechende Entwicklungsprozesse ist.

12. Pflegeunterstützungsgeld (§ 2 PflegeZG)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt, dass nunmehr das Pflegeunterstützungsgeld je pflegebedürftigem nahen Angehörigen nicht mehr – wie bisher - nur einmal für bis zu zehn Arbeitstage gewährt wird, da dies flexiblere Lösungen für Familien ermöglichen kann. Es sollte jedoch geprüft werden, ob nicht auch eine die Anpassung des Pflegezeitgesetzes auf eine längere Dauer möglich ist, da in der Praxis 10 Tage häufig nicht ausreichend sind.

Die Änderung nimmt die BAG SELBSTHILFE zudem zum Anlass, die Umsetzung der im Koalitionsvertrag vorgesehene Lohnersatzleistung anzumahnen.

13. Notwendigkeit einer Überarbeitung des § 43a SGB XI

Die BAG SELBSTHILFE nimmt die Reform zum Anlass, um auf die seit langem anstehende und gleichzeitig dringend erforderliche Überarbeitung des § 43a SGB XI hinzuweisen, auf die auch die Bundesvereinigung Lebenshilfe und der BVKM e.V. aufmerksam machen: Nach der derzeitigen Regelung stehen Bewohner*innen in gemeinschaftlichen Wohnformen der Behindertenhilfe nur maximal 266 Euro pro Monat als Pflegeleistung zur Verfügung – unabhängig von ihrem festgestellten Pflegegrad. Diese Beschränkung ist auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft ein Teilhabe-Hindernis, da bei Klient*innen, die einen Anspruch auf Pflege-leistungen haben, ein Unterschied zwischen häuslicher Pflege und der Pflege in besonderen Wohnformen gemacht wird. Aufgrund dessen können betroffene Bewohner*innen gezwungen sein, ihr vertrautes Lebensumfeld in einer Einrichtung der Behindertenhilfe zu verlassen und in die Langzeitpflege/ Pflegeheim zu ziehen, da dort ein höherer Anspruch auf Pflegeleistungen geltend gemacht werden kann. Dies steht im klaren Widerspruch zum personenzentrierten Ansatz bei der Bedarfsermittlung, wie es das Bundesteilhabegesetz vorsieht.
 

Düsseldorf/ Berlin 08.05.2023

Gesundheitspolitik
Stellungnahme

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