Stellungnahme zum Entwurf einer Formulierungshilfe für einen Änderungsantrag zum Transfusionsgesetz zur Umsetzung der Vereinbarung im Koalitionsvertrag zur Abschaffung des Blutspende-Verbots für Männer, die Sex mit Männern haben, und Trans-Personen

Als Dachverband von 123 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und deren Angehörigen sowie von 12 Landesarbeitsgemeinschaften teilt die BAG SELBSTHILFE die Einschätzung der Bundesregierung, dass es wichtig ist Diskriminierungen aufgrund von sexuellen Orientierungen zu vermeiden. Hinzu kommt, dass man im Grundsatz über die diskriminierungsfreie Zulassung auch die Anzahl der Spender*innen erhöht, die die dringend benötigten Blutprodukte wie Vollblut und Plasma liefern können.

Gleichzeitig ist es für die BAG SELBSTHILFE zentral, dass die Sicherheit und Qualität der Blutprodukte erhalten bleibt. Der sog. Bluter-Skandal in den 80er Jahren hat gezeigt, wie bedrückend die Folgen sein können, wenn diese nicht gewährleistet ist; viele Betroffene sind deswegen gestorben. Insbesondere hat damals – neben unzureichenden Testungen und Virusinaktivierungen - das Versäumnis, Risikospender von der Blut- und Plasmaspende auszuschließen, zur massenhaften Verbreitung von HIV und Hepatitis C durch Blut und Blutprodukte beigetragen.

Infolgedessen gibt es in der entsprechenden Richtlinie der Bundesärztekammer eine umfangreiche Anzahl von Ausschlüssen und Rückstellungen wie etwa, dass Menschen nicht spenden dürfen, die aufgrund eines längeren Aufenthalts in Großbritannien zu einem bestimmten Zeitraum ein Risiko haben, an BSE/TSE zu erkranken. Zwar werden Blutspenden werden vor der Verwendung seither grundsätzlich auf HIV und andere Infektionen untersucht. Da aber die entsprechenden Erreger/Antikörper erst nach einer gewissen Zeit nachweisbar sind, die vom Testverfahren abhängt („diagnostisches Fenster“), können dabei Infektionen übersehen werden. Darum werden potenzielle Spender*innen zusätzlich nach ihrem infektionsrelevanten Verhalten befragt, also zum Beispiel nach sexuellen Kontakten unter Männern. Menschen mit erhöhtem Risiko einer unerkannten Infektion sollen so ausgeschlossen werden. Diese Ausschlüsse werden von der Bundesärztekammer aufgrund der vorliegenden Evidenz nach medizinischen Maßgaben erarbeitet; dies soll ja nach dem Entwurf zwar im Grundsatz beibehalten bleiben. Gleichzeitig schränkt der Entwurf jedoch die Entscheidungsfreiheit der BÄK aufgrund bestimmter gesetzlicher Maßgaben und der Möglichkeit der Ersatzvornahme ein.

Ein Teil unserer Verbände lehnt wegen der Gefahren für die Sicherheit der Blutprodukte deswegen die vorgesehenen gesetzlichen Änderungen ab; dies betrifft insbesondere Verbände aus dem Bereich Hämophilie, aber auch zum Teil aus dem onkologischen Bereich. Sie halten es für gefährlich, die viermonatige Rückstellfrist für MSM mit einem neuen Sexualpartner oder mehreren Sexualpartnern zu streichen und dadurch die gegenwärtigen Sicherheitsstandards herabzusetzen. Die Bundesärztekammer sei auf der Basis der aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Daten zu dem Ergebnis gekommen, dass MSM mit einem neuen Sexualpartner oder mehreren Sexualpartnern ein erhöhtes Risiko der Übertragung von Infektionskrankheiten aufwiesen und habe deswegen eine viermonatige Rückstellfrist für diese Personengruppe vorgesehen. Für MSM mit einem festen Partner gelte diese Regelung ausdrücklich nicht.

Diese Verbände warnen insoweit ausdrücklich vor Lockerungen, die die Sicherheit der aus Blut und Plasma gewonnenen Medikamente gefährden könnten. So weisen sie darauf hin, dass viele andere Personengruppen wie beispielsweise Menschen mit einer Alkoholerkrankung, Drogenkonsumenten, Menschen, die Sexarbeit ausüben, ehemalige Häftlinge oder Menschen, die sich längere Zeit in Großbritannien oder einem Malaria-Gebiet aufgehalten haben, ebenfalls von der Blutspende ausgeschlossen oder rückgestellt würden. Es gehe dabei nicht um Diskriminierung, sondern um wissenschaftlich begründete Risikobewertung von bestimmten Personengruppen. Bei der Erstellung der Richtlinie Hämotherapie müsse es auf aktuelle Evidenz ankommen, nicht auf politischen Willen; ein „Recht auf Blutspende“ könne es nicht geben. Auch Hämophile seien von der Blutspende ausgeschlossen, führt ein Verband aus, der selbst Menschen mit einer Hämophilie-Erkrankung vertritt.

Ein anderer Teil unserer Verbände begrüßt die vorgesehenen Änderungen. Auch sie anerkennen, dass Männer, die Sex mit Männern haben, in Deutschland nach wie vor die am stärksten von HIV betroffene Gruppe sind; sie hätten also statistisch ein höheres Risiko, sich mit HIV zu infizieren. Das individuelle Risiko variiere, sei jedoch leider in Befragungen nicht zuverlässig feststellbar. Der derzeitige Ausschluss diene also einerseits der Sicherheit der Spenden, andererseits schließe das bisherige Verfahren Männer, die Sex mit Männern haben, viel zu pauschal aus.

Es sei nach wie vor nicht ausreichend begründet, warum in der Richtlinie der Bundesärztekammer eine Ausschlussfrist von vier Monaten gelte. Die verfügbaren Testverfahren seien in der Lage, Infektionen früher auszuschließen, wenn sie optimal eingesetzt werden. Aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes und dem Transfusionsgesetz ergebe sich die Verpflichtung, technische Möglichkeiten zur Vermeidung von Risiken voll auszuschöpfen: Dieser hätte 2015 geurteilt, dass ein Ausschluss besonders stark von HIV betroffener Gruppen nur gerechtfertigt sein könne, wenn sich Übertragungsrisiken nicht auf anderen Wegen reduzieren ließen. Diese Wege könnten in verbesserten Testverfahren oder einer völlig neuen Weise der Risikoeinschätzung liegen, in der zum Beispiel sexuelle Praktiken eine Rolle spielen und nicht das Geschlecht der Partner*innen.

Düsseldorf/ Berlin, 20. 1.2023

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