Die BAG SELBSTHILFE begrüßt es auch, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales eine Reform der Finanzierungsmodalitäten für die EUTB anstrebt.
Der Kern der EUTB-Beratung besteht in einem Beratungs- und Unterstützungsangebot von Betroffenen für Betroffene im Sinne der Peer-Beratung. Daher sind mit der Umsetzung des Angebots in erster Linie Selbsthilfeorganisationen Betroffener als Träger zu betrauen.
Leider berücksichtigt das mit dem vorliegenden Verordnungsentwurf verfolgte Finanzierungskonzept nur unzureichend die Situation solcher Träger der Selbsthilfe. Teilweise führt das Finanzierungskonzept sogar zu massiven Risiken für diese Träger. Dies widerspricht der politischen Zielsetzung des § 32 SGB IX.
So ist schon fraglich, ob die in § 32 Absatz 6 SGB IX vorgesehene Höhe der Haushaltsmittel und die im Verordnungsentwurf vorgesehene Ausgestaltung der Finanzierung eine gesicherte Gesamtfinanzierung der Angebote sicherstellt. Es fehlt insbesondere an einer Dynamisierung der Mittel für die nächsten Jahre, so dass die Träger absehbar immer mehr mit Eigenmitteln bei der Umsetzung der EUTB belastet werden.
Der im Verordnungsentwurf vorgesehene Schlüssel der Vollzeitäquivalente wirft für dünn besiedelte Bundesländer mit schlechter Infrastruktur und in kleinen Bundesländern Probleme auf. Auch werden unterschiedliche Beratungs -und Unterstützungsmodalitäten (Face-to-Face-Beratung, zugehende Unterstützung, online-Angebote) zu undifferenziert berücksichtigt.
Auch das im Verordnungsentwurf vorgesehene Zuteilungsverfahren bei einem regional bestehenden Überangebot ist aus Sicht der BAG SELBSTHILFE kritisch zu sehen. Folglich besteht vielfältiger Nachbesserungsbedarf an dem Entwurf.
Im Einzelnen ist zu dem vorliegenden Verordnungsentwurf Folgendes auszuführen:
(1) Beratungsangebote, Finanzierung
Grundsätzlich ist es aus Sicht der BAG SELBSTHILFE zu begrüßen, dass mit dem Verordnungsentwurf eine bundeseinheitliche Vorgabe für die finanzielle Ausgestaltung der EUTB gemacht wird.
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt auch ausdrücklich, dass nach § 1 Absatz 3 des Verordnungsentwurfs Leistungserbringer bei der Vergabe von EUTB-Beratungsstellen nur dann zu berücksichtigen sind, wenn dies für eine ausreichende Abdeckung mit regionalen Beratungsangeboten erforderlich ist. Die EUTB-Beratung ist grundsätzlich als Peer-Beratung zu konzipieren.
Geht man aber davon aus, dass vor allem gemeinnützige Betroffenenorganisationen die Träger der EUTB sein sollen, dann muss dies auch zwingend bei der Festlegung der Finanzierungsmodalitäten der EUTB berücksichtigt werden.
Die Umsetzung der EUTB nach § 32 Absatz 7 SGB IX ist eine öffentliche Aufgabe. Die EUTB-Angebote stehen nicht nur den Mitgliedern der Trägerorganisationen offen.
Daher ist es grundsätzlich problematisch, dass von den Trägern erwartet wird, nicht definierte Eigenanteile zur Mitfinanzierung der EUTB aufzubringen.
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE kann die Finanzierung der EUTB daher nicht als „Zuschuss“ im Sinne von § 1 Absatz 2 des Verordnungsentwurfs definiert werden, sondern es ist eine Gesamtfinanzierung erforderlich.
Selbst wenn man unterstellt, dass die EUTB-Angebote zumindest auch der Mitgliedschaft der Träger zugutekommen, müssten Eigenanteile klar definiert und insbesondere auch über ehrenamtlichen Einsatz erbracht werden können.
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es sehr enttäuschend, dass diese Themenstellungen, die dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales seit langem bekannt sind, im Verordnungsentwurf nicht aufgegriffen werden.
Zwar ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass die Finanzierung der EUTB künftig über einen „Anspruch auf Förderung“ geregelt werden soll. Im Detail bleibt aber unklar, wie dieser Anspruch ausgestaltet ist. Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE wäre es beispielsweise sehr hilfreich, wenn in der Verordnung klargestellt würde, dass die EUTB über eine Festbetragsfinanzierung ausgestaltet werden.
Auch dies würde viele Abwicklungsprobleme reduzieren, die aktuell im Verhältnis zwischen den Trägern der EUTB und dem Projektträger der gsub existieren. Die entsprechenden vielfältigen Problemstellungen sind dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales ebenfalls bekannt.
Jenseits dieser grundsätzlichen Nachbesserungsbedarfe ist seitens der BAG SELBSTHILFE aber auch darauf hinzuweisen, dass in dem Finanzierungskonzept, das dem Verordnungsentwurf offenbar zugrunde liegt, Tarif- und Gehaltssteigerungen und Erhöhungen der Kosten für Mieten und notwendige Dienstleistungen nicht berücksichtigt werden. Es ist nicht akzeptabel, dass diese Kostensteigerungen in den kommenden Jahren offenbar an den Trägern hängenbleiben sollen. Damit würden gerade die kleinen Träger überfordert, die das regionale Rückgrat der EUTB bilden sollen und müssen.
(2) Beratung, Unabhängigkeit
Beratungsangebote, die von Leistungserbringern als Träger organisiert werden, werden von der BAG SELBSTHILFE grundsätzlich kritisch betrachtet. Die EUTB müssen wo immer es geht, in Trägerschaft der Selbsthilfe umgesetzt werden. Nur so kann die Unabhängigkeit der Beratung gewährleistet bleiben.
Es ist nachvollziehbar, dass die EUTB keine Rechtsberatung anbieten sollen und dass auch keine Vertretung der Betroffenen in Widerspruchs- und Klageverfahren erfolgen kann.
Gleichwohl ist es aber unabdingbar, dass der rechtliche Rahmen des deutschen Sozialversicherungssystems in der EUTB-Beratung nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben kann. Anderenfalls würde das EUTB-Angebot keinen Sinn ergeben. Ratsuchende umfänglich über die Rechte und Pflichten sowie Leistungen zur Teilhabe aufzuklären sowie Betroffene im Sinne eines situativen Empowerments in Gesamtplan- und Teilhabeplankonferenzen zu unterstützen und zu begleiten, setzt ein hohes Maß an Wissen und Kompetenz voraus.
Dies muss sich auch darin niederschlagen, dass bei der Stellenbewertung der gesamte Rahmen des TVöD ausgeschöpft werden kann.
In der Praxis völlig unberücksichtigt bleibt bislang beispielsweise auch die Problematik, dass ein Träger EUTB-Beratungsstellen auch an verschiedenen Standorten betreiben kann, was besondere Anforderungen an die Koordination der Arbeit, die Organisation von Qualifizierungsmaßnahmen und die Organisation der Buchhaltung stellt. Auch dies muss bei der Stellenbewertung auch über die Entgeltgruppe 12 hinaus berücksichtigt werden können.
(3) Finanzierung der Beratungsangebote, Verteilungsschlüssel
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist die Bemessung der EUTB-Finanzierung nach Vollzeitäquivalenten bezogen auf Bundesländer nachvollziehbar.
Es besteht aber die Gefahr, dass in dünn besiedelten Bundesländern mit schlechter Infrastruktur keine ortsnahe Beratung und Unterstützung gewährleistet werden kann.
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE sollten hier Aufstockungsmöglichkeiten zur Gewährleistung einer zugehenden Beratung und Unterstützung vorgesehen werden.
Auch in kleineren Bundesländern kann die Regelung zu massiven Einschränkungen der Angebote führen. Auch hierfür muss eine Auffangregelung geschaffen werden, um zumindest bestehende Angebote zu erhalten.
Ferner ist aus Sicht der BAG SELBSTHILFE darauf hinzuweisen, dass die Festlegung der Vollzeitäquivalente pro Jahr nur den Status quo der jetzigen EUTB-Beratung reflektiert. Sowohl die Reichweite der Angebote als auch die Komplexität des mit der weiteren BTHG-Umsetzung steigenden Beratungsbedarfs werden aus Sicht der BAG SELBSTHILFE in Zukunft dazu führen, dass die Beratungsnachfrage mit dem aktuell dimensionierten Angebot nicht mehr abgedeckt werden kann. Dem wird dann durch eine Aufstockung der Vollzeitäquivalente Rechnung getragen werden müssen.
(4) Gegenstand und Höhe des Zuschusses pro Vollzeitäquivalent
Wie bereits ausgeführt wurde, hält die BAG SELBSTHILFE eine Gesamtfinanzierung der EUTB für geboten, da eine Zuschussfinanzierung mit Blick auf die Gemeinnützigkeit von Trägern hochproblematisch ist.
Mag die Thematik der Eigenanteile zu Beginn der Finanzierung noch kalkulierbar sein, so führt das im Verordnungsentwurf vorgesehene Finanzierungsregime gerade für kleine Träger zu unabsehbaren, unter Umständen sogar existenzgefährdenden Finanzierungsrisiken:
Es fehlt die Möglichkeit der Dynamisierung der jährlichen Förderbeträge. Tarif- und Gehaltssteigerungen, erhöhte Mietausgaben sowie allgemein ein Inflationsausgleich werden nicht berücksichtigt. Folglich wird die Fördersumme auf 7 Jahre betrachtet wertmäßig stetig sinken. Da der Verordnungsentwurf ein klares Bekenntnis zur Festbetragsfinanzierung vermeidet, wird den Trägern auch die Möglichkeit genommen, in den ersten Jahren der Finanzierung Rücklagen zu bilden.
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE muss zumindest in der Vorordnung vorgesehen werden, dass im Haushaltsjahr nicht verbrauchte Mittel auch in den Folgejahren verbraucht werden können.
(5) Personalausgaben
Wie bereits dargestellt wurde, ist die Limitation auf einen Zuschuss bis zur Entgeltgruppe 12 nicht adäquat und im Übrigen auch mit den Grundsätzen der Festbetragsfinanzierung unvereinbar.
Mit Blick auf die auch dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales bekannten Probleme des Besserstellungsverbots, wenn die übrigen Mitarbeitenden eines Trägers nach TVöD Land oder anderen Tarifsystemen bezahlt werden, wäre es aus Sicht der BAG SELBSTHILFE hilfreich, wenn die Bemessung der Vergütung auch schon in der Verordnung den Trägern ausdrücklich freigestellt würde. Gerade durch das Bemessungsinstrument der Vollzeitäquivalente ist nämlich auch ohne tarifliche Vorgaben bereits eine wirtschaftliche Mittelverwendung sichergestellt.
Unnötige Abwicklungsquerelen mit dem Projektträger könnten so in Zukunft im Sinne einer Entbürokratisierung des Verfahrens vermieden werden.
(6) Sachausgaben
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es zu begrüßen, dass in den Verordnungsentwurf die Kosten für eine Erstausstattung, für regionale Öffentlichkeitsarbeit und GebärdensprachdolmetscherInnen aufgenommen wurden. SchreibdolmetscherInnen und DolmetscherInnen für leichte Sprache wären zu ergänzen.
Nicht praktikabel ist allerdings die in der Verordnungsbegründung vorgesehene Erforderlichkeitsprüfung. Um finanzielle Risiken für die Träger zu vermeiden, würde dies voraussetzen, dass vor einem entsprechenden Beratungsgespräch mit dem Projektträger in ein wochenlanges Prüfverfahren einzusteigen wäre. Es liegt auf der Hand, dass dies für die Betroffenen in den meisten Fällen eine zeitnahe Unterstützung schlichtweg ausschlösse.
Insgesamt ist darauf hinzuweisen, dass die im Verordnungsentwurf hinterlegte Jahrespauschale für Verwaltungsausgaben nicht ausreichend ist und letztlich wiederum zur Konsequenz hat, dass (kleine) Träger Eigenmittel zuschießen müssen.
Schließlich wäre es hilfreich, wenn in der Rechtsverordnung klargestellt werden könnte, dass Gemeinkosten förderfähig sind. Der Verwaltungsaufwand für Lohnbuchhaltung, Mittelabrufe in Tranchen, Verwendungsnachweise, Umwidmungen etc. ist erheblich, andererseits aber auch unabdingbar für eine ordnungsgemäße Mittelverwendung. Gerade für kleine Träger ist es nicht leistbar, dies alles mit Eigenmitteln zu finanzieren.
(7) Zuteilungsverfahren
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist das im Verordnungsentwurf vorgesehene Zuteilungsverfahren grundsätzlich nachvollziehbar. Allerdings müssen dabei gewachsene Strukturen von schon tätigen Beratungsangeboten der EUTB bevorzugt berücksichtigt werden. Ein Losverfahren und damit eine Vergabe nach dem Glücksprinzip ist völlig inadäquat. Im Übrigen fehlt die Klarstellung, dass Angebote von Leistungserbringern bei Losverfahren nicht berücksichtigt werden dürften.
(8) Tätigkeitsnachweis und Qualitätssicherung
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist eine vierteljährliche Berichtspflicht völlig überzogen. Wie auch bei anderen Förderkonstellationen muss eine jährliche Berichterstattung ausreichen.
(9) Übergreifende beeinträchtigungsspezifische Angebote
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE lässt der Verordnungsentwurf übergreifende beeinträchtigungsspezifische Angebote zu Unrecht außer Betracht.
Daher sollte ein gesonderter Passus für die Netzwerkfinanzierung noch eingefügt werden.
Die BAG SELBSTHILFE verweist insofern auf die Stellungnahme des Deutschen Schwerhörigenbundes zum Verordnungsentwurf.