Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (Bearbeitungsstand: 14.11.2022)

Für die Möglichkeit zur Stellungnahme zu dem o.g. Referentenentwurf möchte die BAG SELBSTHILFE herzlich danken. Als Dachverband von 123 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 12 Landesarbeitsgemeinschaften nehmen wir zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes wie folgt Stellung:

1. Zielsetzung des Entwurfes:

Mit diesem Referentenentwurf soll für Menschen mit Behinderungen eine gleichberechtigte und selbstbestimmte Teilhabe am Arbeitsleben garantiert werden, insbesondere auch vor dem Hintergrund, dass für eine inklusive Gesellschaft Arbeit eine zentrale Rolle spielt. Ziel dieses Entwurfes ist insoweit die Bildung eines offenen Arbeitsmarktes, in welchem Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt sowie selbstbestimmt am Arbeitsleben teilhaben können und jegliche Form einer Diskriminierung aufgrund einer Behinderung im Zusammenhang mit einer Beschäftigung abgebaut werden muss.

Dieser Referentenentwurf beinhaltet insbesondere folgende Regelungen:

  • die Aufhebung der Deckelung für den Lohnkostenzuschuss beim Budget für Arbeit,
  • die Neuausrichtung des Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizinische Begutachtung
  • erhöhte Ausgleichsabgabe für Arbeitgeber, welche trotz Beschäftigungspflicht keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen („vierte Staffel für sog. Nullbeschäftiger“)
  • Konzentration der Mittel aus der Ausgleichsabgabe auf die Förderung der Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
  • Genehmigungsfiktion für Anspruchsleistungen des Integrationsamtes.

2. Forderungen und Nachbesserungsbedarfe der BAG SELBSTHILFE:

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist die Zielsetzung des Gesetzentwurfs sehr zu begrüßen, konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben zu ergreifen.

Ganz grundsätzlich ist aber anzumerken, dass eigentlich ein umfassender Strategieansatz im Sinne eines Aktionsplans für einen inklusiven Arbeitsmarkt erforderlich wäre, um die Zielsetzung konsequent umzusetzen.

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt insbesondere aber das Vorhaben, eine vierte Staffel der Ausgleichsabgabe zu schaffen und die Verwendung der Mittel aus der Ausgleichsabgabe auf die Förderung der Beschäftigung der Menschen mit Behinderung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu konzentrieren.

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE kann aber eine Weiterentwicklung der Werkstattkonzepte durchaus auch in Zukunft einen Beitrag dazu leisten, Menschen mit Behinderung den Weg in den ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen.

Im Weiteren wird von der BAG SELBSTHILFE grundsätzlich auch die im Gesetzesentwurf vorgesehene Genehmigungsfiktion für Anspruchsleistungen der Integrationsämter sowie die Weiterentwicklung des Budgets für Arbeit begrüßt.

Hinsichtlich der Neuausrichtung der Gremienstrukturen und gesetzlichen Vorgaben des Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizinische Begutachtung sieht die BAG SELBSTHILFE allerdings noch erheblichen Änderungsbedarf.

Im Einzelnen ist zu dem vorliegenden Referentenentwurf folgendes auszuführen:

A. Einführung einer vierten Staffel bei der Ausgleichsabgabe (§ 160 Abs. 2
SGB IX):

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt grundsätzlich die Einführung sowie Umsetzung der vierten Stufe der Ausgleichsabgabe, welche für die betreffenden Arbeitgeber (sog. „Nullbeschäftiger“) von derzeit 360 € auf 720 € verdoppelt werden soll.

Mit dieser Einführung einer vierten Staffel soll nicht nur die Antriebsfunktion auf Seiten der beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber verstärkt werden, sondern mit dieser neu einzuführenden Erhöhung der Ausgleichsabgabe soll insbesondere auch der Sanktionscharakter deutlich gemacht und für Unternehmen ein Anstoß dahingehend gegeben werden, Vorbehalte gegenüber der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen aufzugeben und größere Anstrengungen bei der behindertengerechten Planung sowie Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsbedingungen anzustreben.

Darüber hinaus fordert die BAG SELBSTHILFE jedoch, dass die steuerliche Absetzbarkeit der Ausgleichsabgabe als Betriebsausgabe zukünftig abgeschafft wird. Mit der Streichung der steuerlichen Vorteile für Unternehmen ist ein wirkungsvolles Instrument aus unserer Sicht gegeben, um diese zukünftig dazu anzuhalten, einen wesentlichen Beitrag für einen inklusiven Arbeitsmarkt zu leisten.

Obwohl die Erhöhung der Sätze sowie die Einführung einer 4. Staffel bei der Ausgleichsabgabe grundsätzlich begrüßenswert sind, kann aber nach Ansicht des Mitgliedsverbandes der Deutschen Gesellschaft der Hörbehinderten - Selbsthilfe und Fachverbände e.V. ein solcher Ansatz nur eine Übergangslösung für die Herstellung eines inklusiven Arbeitsmarktes sein. Es sind darüber hinaus gehende Maßnahmen erforderlich, um den ersten Arbeitsmarkt inklusiv zu gestalten.

Ziel muss es sein, dass Unternehmen bzw. Betriebe die Beschäftigungsquoten auch tatsächlich erfüllen. In der Arbeitswelt und damit in den Unternehmen/Betrieben muss sich daher eine Änderung des Bewusstseins in der Weise vollziehen, dass gerade auch Menschen mit Beeinträchtigungen in der Regel über eine hohe fachliche Qualifikation sowie Ausbildung verfügen und sie insoweit auch  unverzichtbarer Bestandteil bzw. Motor für Wohlstand und Wachstum in der Gesellschaft insgesamt bedeuten und zwar unabhängig von dem auch derzeit in Deutschland bestehenden massiven Fachkräftemangel.

B) Veränderungen hinsichtlich der Mittelverwendung der Ausgleichsabgabe bzgl. der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen–Artikel 9-Änderung der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung:

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE hat sich in den vergangenen Jahren vielfach ein Verständnis der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen (WfbM) in der Weise gebildet, welches sich darauf beschränkt, Menschen mit Behinderungen in einem Sonderbereich des Arbeitsmarktes zu belassen. Zielsetzung der Förderung in den Werkstätten muss es jedoch sein, Wege für alle Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu eröffnen. Hierzu ist es erforderlich, innovative Konzepte zu entwickeln, welche den Weg von den Werkstätten in den allgemeinen Arbeitsmarkt bahnen.

Daher sieht die BAG SELBSTHILFE die nun in dem Gesetzesentwurf vorgesehene Streichung der Förderung von Vorhaben zu Werkstätten für behinderte Menschen aus Mitteln der Ausgleichsabgabe eher kritisch.

Vorzugswürdig wäre eine Konkretisierung des Förderzieles dahingehend, dass Vorhaben gefördert werden sollten, die ganz gezielt die Ermöglichung eines Zuganges von Werkstattbeschäftigten für eine nachhaltige Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt zum Gegenstand haben. Es dürfte unstrittig sein, dass gerade WfbM- Träger eine besondere Expertise in der Anpassung von Arbeitsprozessen sowie der Gestaltung von Arbeitsplätzen haben, um eine Teilhabe am Arbeitsleben zu ermöglichen. Bereits jetzt erfüllen die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen verschiedene Aufgaben, wie das Bereitstellen von unterstützten Arbeitsplätzen, Unterstützung bei der Arbeit, Berufliche Rehabilitation, Bildung und Soziale Teilhabe. Diese vorhandene Expertise sollte auch zukünftig genutzt werden. Die Schaffung eines inklusiven Arbeitsmarktes sollte somit als einen weiteren Baustein auch zum Ziel haben, die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen zu Kompetenzzentren zur Teilhabe am Arbeitsleben weiterzuentwickeln und insoweit auch als Orte des Überganges von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt zu sehen.

Auch der Koalitionsvertrag sieht vor, die Angebote der Werkstätten für behinderte Menschen stärker auf die Begleitung von Übergängen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt auszurichten. Mit dieser Neuausrichtung der Werkstätten für Menschen mit Behinderungen würde Deutschland auch der Kritik des UN-Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen begegnen, die WfbM würden den Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt nur unzureichend fördern.

C) Ausgleichsfonds zur Förderung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen (§ 161 Abs. 2 SGB IX):

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt grundsätzlich, dass im vorliegenden Referentenentwurf vorgesehen ist, dass Vorhaben zur Förderung der Ausbildung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zukünftig auch dann über den Ausgleichsfonds förderfähig sein sollen, wenn diese Zielgruppe über keine anerkannte Schwerbehinderung verfügt, jedoch Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhält. Modellvorhaben zur Förderung der Ausbildung können gerade für diese Personengruppe tatsächlich einen wesentlichen Beitrag zur nachhaltigen Inklusion in den allgemeinen Arbeitsmarkt leisten.

Auch anlässlich des diesjährigen Internationalen Tages der Menschen mit Behinderungen am 03.12.2022 haben sich Bundestagsabgeordnete der jetzigen Ampel-Koalition dementsprechend wiederholt ausdrücklich dafür ausgesprochen, dass die geplante Ausbildungsgarantie ebenfalls inklusiv auszugestalten ist; Ziel muss sein, dass tatsächlich alle Jugendlichen diskriminierungsfreien Zugang zu einer anerkannten, qualifizierenden Berufsausbildung erhalten.

D) Deckung von Administrationskosten durch Mittel der Ausgleichsabgabe:

Die BAG SELBSTHILFE sieht es äußerst kritisch, dass bei Vorhaben, die aus dem Ausgleichsfonds gefördert werden, auch die beim BMAS bzw. dessen Projektträger anfallenden Administrationskosten aus Mitteln der Ausgleichsabgabe finanziert werden sollen. Dies sind originäre Verwaltungsaufgaben, die das Budget des Ausgleichsfonds nicht schmälern dürfen. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn ganz gezielt und überwiegend Menschen mit Behinderung mit der Umsetzung der Administrationsaufgaben betraut würden.

E) Aufhebung der Bußgeldvorschrift des § 238 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX:

Was die Streichung der Bußgeldvorschrift des § 238 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX angeht, so teilt die BAG SELBSTHILFE nicht die Ansicht, dass diese Vorschrift für sog. „Nullbeschäftiger“ künftig nicht mehr anzuwenden sei mit dem Argument, die Nichtbeschäftigung neben einer erhöhten Ausgleichsabgabe zusätzlich auch noch mit einem Bußgeld zu sanktionieren, sei nicht mehr angemessen. Im Gegenteil, die BAG SELBSTHILFE ist nach wie vor der Ansicht, dass gerade aufgrund der Signalwirkung des Ordnungswidrigkeitenrechts auch die Bußgeldvorschrift des § 238 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX für solche Arbeitgeber, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, weiterhin anzuwenden ist.

F) Genehmigungsfiktion für Anspruchsleistungen des Integrationsamtes (§ 185 IX SGB IX):

Die Einführung einer Genehmigungsfiktion nach Ablauf von sechs Wochen für Anspruchsleistungen (Arbeitsassistenz und Berufsbegleitung im Rahmen der unterstützten Beschäftigung) des Integrationsamtes ist nach unserem Dafürhalten grundsätzlich zu begrüßen. Eine ergänzende Vorschrift ist aus Sicht der BAG SELBSTHILFE deshalb angezeigt, weil die Vorschrift des § 18 Abs. 3 S. 1 SGB IX auf die Integrationsämter grundsätzlich nicht anwendbar ist, da diese kein Rehabilitationsträger sind bzw. als solche gelten (vgl. § 6 SGB IX). Anders als für die §§ 14, 15 Abs. 1, 16 und 17 SGB IX war auch durch § 185 VI S. 1 SGB IX in der Vergangenheit keine sinngemäße Anwendung vorgesehen gewesen. Bei der Genehmigungsfiktion handelt es sich jedoch ausschließlich um ein Hilfsinstrument zur Erlangung der begehrten Leistung zugunsten der Betroffenen.

Allerdings stellt sich in diesem Kontext die Frage, welche Konsequenz an eine solche Fiktion geknüpft wird. Aus Sicht der Menschen mit Behinderungen kommt es darauf an, dass die Kostentragungspflicht in solchen Fällen klar geregelt ist. Weder ein Anspruch auf Kostenerstattung noch ein Kostenrisiko der Arbeitgeber sind hier hilfreich. Vielmehr muss klargestellt werden, dass die Leistungen in jedem Fall vom zuständigen Träger zu finanzieren sind.

Ferner muss klargestellt werden, dass es nicht ausreicht, die Genehmigungsfiktion schon durch eine „Äußerung“ abzuwenden. Gefordert ist eine unverzügliche Bescheidung.

Schließlich darf die Genehmigungsfiktion nicht allein auf die Situationen beschränkt bleiben, in denen die beantragte Leistung „nach Art und Umfang genau bezeichnet“ ist. Gerade bei Neuantritt eines Arbeitsplatzes können die Bedarfe nicht von Anfang an präzise beziffert werden. Gerade hier ist aber die Genehmigungsfiktion besonders wichtig.

G) Aufhebung der Deckelung beim Budget für Arbeit (§ 61 SGB IX):

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt, dass die bisherige Deckelung, d. h. der bisher vom Leistungsträger zu erstattende Lohnkostenzuschuss in Höhe von 40 %, abgeschafft wird mit der Folge, dass zukünftig bundesweit der maximale Lohnkostenzuschuss in Höhe von 75% gewährt werden kann.

In diesem Zusammenhang ist ergänzend zu konstatieren, dass die Anfang 2018 eingeführte Teilhabeleistung des Budgets für Arbeit, welche Menschen mit Behinderungen bei der Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unterstützen soll, jedoch bisher in der Praxis nicht so in Anspruch genommen wird und sich insoweit ein durchschlagender Erfolg dieser eingeführten Teilhabeleistung bisher nicht eingestellt hat.  

Mit der geplanten Abschaffung der Deckelung beim Budget für Arbeit bleibt daher zu hoffen, dass diese Teilhabeleistung zukünftig verstärkt in Anspruch genommen wird, damit Menschen mit Behinderungen solange und inklusiv wie möglich am Arbeitsleben teilhaben können, wie es die jetzige Bundesregierung auch in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben hat. Zum anderen ist jedoch nach unserem Dafürhalten festzuhalten, dass das Budget für Arbeit zukünftig auch nur dann vermehrt in Anspruch genommen wird, wenn die anspruchsberechtigten Menschen mit Behinderung eine kompetente, ausreichende Unterstützung bei der Suche und beim Abschluss eines Arbeitsvertrages erhalten, gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass in § 61 V SGB IX keine ausdrückliche Verpflichtung der Leistungsträger verankert ist, die Menschen mit Behinderung bei der Erlangung eines Arbeitsvertrages mit einem öffentlichen oder privaten Anbieter zu unterstützen. Die Teilhabeleistung des Budgets für Arbeit kann somit als ein „spezielles Matching“ von Bewerbern und Arbeitgebern betrachtet werden.

H) Neuausrichtung des Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizin (§ 153a SGB IX neu) einschließlich Änderung der Versorgungsmedizin-Verordnung:

Nach dem vorliegenden Referentenentwurf soll eine Neuausrichtung des Sachverständigenbeirates Versorgungsmedizin erfolgen, d. h. nach der neu einzufügenden Vorschrift des § 153a SGB IX soll der bisherige „Ärztliche Sachverständigenbeirat Versorgungsmedizin“ zu einem „Sachverständigenbeirat Versorgungmedizinische Begutachtung“ weiterentwickelt und explizit im SGB IX geregelt werden.

Dieser neu zu bildende Sachverständigenbeirat Versorgungmedizinische Begutachtung soll nach § 153a I SGB IX zum einen das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu allen versorgungsärztlichen Angelegenheiten beraten und im Weiteren die Fortentwicklung der in der Versorgungsmedizin-Verordnung enthaltenen versorgungsmedizinischen Grundsätze vorbereiten, die bei der Begutachtung im Schwerbehindertenrecht und im sozialen Entschädigungsrecht verbindlich anzuwenden sind.  

Des Weiteren soll mit der Neuausrichtung des jetzigen Sachverständigenbeirates nicht mehr ein rein medizinisch orientiertes Verständnis von Behinderung vorhanden sein, sondern vielmehr soll mit der Neubesetzung des Sachverständigenbeirates ein teilhabeorientierter und ganzheitlicher Ansatz laut des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales verwirklicht werden.

Der Beirat soll gem. § 153a II SGB IX zudem aus Vertretern der Länder, des Deutschen Behindertenrates und des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales bestehen mit jeweils sieben Mitgliedern, allerdings unter der Prämisse, dass darunter jeweils mindestens vier Ärztinnen oder Ärzte in den Beirat benannt werden müssen, die versorgungmedizinisch oder wissenschaftlich besonders qualifiziert sind.

Grundsätzlich begrüßt die BAG SELBSTHILFE eine Neuausrichtung inklusive einer neuen Zusammensetzung eines solchen Beirates.

Allerdings repräsentieren die in einem solchen Beirat tätigen Personen stets die Institutionen, die sie dorthin entsandt haben. Dies muss auch für die Vertreterinnen und Vertreter des Deutschen Behindertenrates dort gelten. Anders als bisher muss daher klargestellt werden, dass die vom Deutschen Behindertenrat entsandten Personen jeweils auch eine fachliche Rückbindung beim Deutschen Behindertenrat einholen können.

Darüber hinaus ist zur Realisierung eines sog. „teilhabeorientierten Ansatzes“ aus Sicht der BAG SELBSTHILFE zu kritisieren, dass jeweils vier Ärztinnen oder Ärzte in diesen Beirat zukünftig auch vom Deutschen Behindertenrat und damit den maßgeblichen Verbänden der Menschen mit Behinderung berufen werden müssen. Gerade bei der Beteiligung von Menschen mit Behinderungen steht nicht die Profession im Vordergrund, sondern einzig und allein die Erfahrungen der behinderten Menschen, denn nur die Betroffenen selbst sind Experten bzw. Expertinnen in eigener Sache.

Zum Weiteren hat die Benennung von jeweils 4 Ärzten bzw. Ärztinnen zur Folge, dass wiederum mehrheitlich Mediziner diesem Beirat beiwohnen, welche zudem „versorgungsmedizinisch oder wissenschaftlich“ besonders qualifiziert sein sollen und welche „sich am aktuellen Stand der medizinischen Wissenschaft und der Medizintechnik unter Berücksichtigung versorgungsmedizinischer Erfordernisse“ zu orientieren haben.

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE steht eine solche Engführung einer Teilhabeorientierung diametral entgegen. Bezeichnenderweise wird auch von den Medizinerinnen und Medizinern keine Kompetenz in den Feldern der medizinischen, beruflichen und sozialen Rehabilitation und der teilhabeorientierten Pflege erwartet.

Dringend konkretisierungsbedürftig ist auch, wie genau der Beirat die Fortentwicklung der in der Versorgungsmedizin-Verordnung enthaltenen versorgungsmedizinischen Grundsätze vorbereiten soll. So sollte auch die gemäß § 153a Abs. 3 SGB IX zu erstellender Geschäftsordnung von Seiten des Beirates durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales genehmigt werden. Dies sollte auch im Gesetz ausdrücklich verankert werden.

Ferner ist nach § 153a Abs. 4 SGB IX nicht eindeutig geregelt, welche weiteren „externen Sachverständigen“ konkret zu den Beratungen des Beirates hinzugezogen werden können und wie sich insbesondere auch die zukünftige Arbeitsweise der zu bildenden „Arbeitsgruppen“ ausgestalten soll. Auch zu diesen Punkten besteht unseres Erachtens Ergänzungsbedarf.

Jedenfalls ist in diesem Kontext grundsätzlich anzumerken, dass auch die Arbeitsgruppen sowie sonstige mögliche Unter-Arbeitsgruppen, Redaktionsgruppen etc. einem teilhabeorientierten Ansatz folgen müssen. Insbesondere die Erfahrungen der Vergangenheit - so der Mitgliedsverband der Deutschen Cochlea Implantat Gesellschaft e.V.  – haben gezeigt, dass die eigentlich wichtige Arbeit des Beirates in den zu bildenden Arbeitsgruppen und etwaigen Unter-Arbeitsgruppen stattfindet. Darum wäre es für die BAG SELBSTHILFE und ihre Mitgliedsverbände grundsätzlich von Wichtigkeit, dass der partizipative Ansatz, auch Vertreter:innen, die vom DBR benannt werden, in den Beitrat zu holen, auch auf Ebene der Arbeitsgruppen UND etwaiger Untergruppen fortgesetzt wird. Denn der Beirat kann noch so „teilhabeorientiert“ sein, wenn die Beschlussvorlagen in Gremien erarbeitet wurden, in denen die Stellvertreter:innen nicht drin sind, dann kann auch ein teilhabeorientierter Beirat nicht mehr viel bewirken. 

Die Ankündigung, dass die zu erarbeitenden Begutachtungskriterien von Seiten des Beirates einschließlich der versorgungsmedizinischen Grundsätze durch eine Rechtsverordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX (VersMedV) verbindlich festzulegen sind und auch in diesem Zusammenhang GdB und GdS entsprechend dem teilhabeorientierten Verständnis von Behinderung das Ausmaß der Teilhabebeeinträchtigung abbilden, ist grundsätzlich zu begrüßen, allerdings möchten wir in diesem Kontext Folgendes zwecks Klarstellung anmerken:  

Zustimmungswürdig ist grundsätzlich, dass bei der Feststellung des Grades der Behinderung (GdB) bzw. des Grades der Schädigungsfolgen (GdS) im Interesse aller Beteiligten typisierende Regelungen erforderlich sind, welche an einem „typischen Durchschnittsfall“ anknüpfen, damit die Feststellung der Behinderung auf der Grundlage der eingereichten ärztlichen Behandlungsunterlagen sowie weitere Untersuchungen oder Tatsachenermittlungen zügig möglich ist. Des Weiteren ist grundsätzlich zu befürworten, dass neben der Gesundheitsstörung individuell bestehende Barrieren oder Ressourcen (z.B.: das Fehlen oder Vorhandensein medizinischer Hilfsmittel oder technischer Hilfen, eine Arbeitsassistenz oder Schulbegleitung oder barrierefreier Wohn- oder Arbeitsplatz) im Einzelfall für die Ermittlung eines GdB bzw. eines GdS nicht nur einen unverhältnismäßig hohen Aufwand nach sich ziehen würden, sondern für die abstrakte GdB- bzw. GdS - Feststellung solche komplexen Feststellungen zudem auch nicht sachgerecht sein würden.

Solche Kontextfaktoren zu vorhandenen bzw. erforderlichen Hilfsmitteln oder zu vorhandenen oder erforderlichen Assistenzleistungen für die Kompensation eines Funktionsverlustes müssen zwar zur Gewährung individueller Teilhabeleistungen ermittelt werden, aber für die GdB- bzw. die GdS-Bemessung sind sie nicht sachgerecht. Es wird insoweit von Seiten der BAG SELBSTHILFE mit Nachdruck appelliert, bei der GdB- bzw. GdS- Bemessung in der Versorgungs-Medizinverordnung auf eine regelhafte Berücksichtigung einer „bestmöglichen Hilfsmittelversorgung“ zu verzichten.

I) Änderung VersMedV-Art. 8, Teil C der Anlage zu § 2 zu Nrn. 3.4.4 und 3.4.5:

Nach diesen neu einzufügenden Nummern soll der ursächliche Zusammenhang kraft Gesetzes bei einer psychischen Gesundheitsstörung, die nach einer der international anerkannten Klassifikationen unter Verwendung der dortigen Bezeichnungen auf der Grundlage des aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstandes diagnostiziert wurde, vermutet werden, wenn die Vermutung nicht durch einen anderen Kausalverlauf widerlegt wird (§ 4 Abs. 5 SGB XIV). Damit soll laut Begründung dieses Referentenentwurfes der Gesetzgeber angemessen sowie ausreichend im Sinne eines besseren Opferschutzes auf die bei psychischen Störungen vorliegenden Besonderheiten reagiert haben, indem er eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelte Beweiserleichterung für psychische Gesundheitsstörungen in § 4 Abs. 5 SGB XIV aufgenommen und damit das Anerkennungsverfahren vereinfacht hat. Gemäß Nr. 3.4.5 soll allerdings die Beweiserleichterung dann nicht greifen, wenn Art und Schwere des Ereignisses nicht geeignet sind, eine psychische Gesundheitsstörung als Schädigungsfolge hervorzurufen, so insbesondere bei Demenzerkrankungen oder Intelligenzstörungen. Solche psychischen Gesundheitsstörungen sollen nach dem aktuellen medizinischen Kenntnisstand nicht durch auf die Psyche einwirkende schädigende Ereignisse entstehen; bei diesen gesundheitlichen Störungen kommt nach Prüfung der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs jedoch eine Anerkennung der Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung in Betracht.

Nach unserem Dafürhalten sind diese neu in der Versorgungs-Medizinverordnung (VersMedV) eingefügten Regelungen im Sinne einer Beweiserleichterung, konkret einer Kausalitätsvermutung zwischen psychischer Gesundheitsstörung und (schädigendem) Ereignis für die betroffenen Menschen im Ergebnis nicht zielführend, bereits geschuldet der Tatsache, dass letztlich in jedem einzelnen Fall durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens eines Mediziners der entsprechenden Fachrichtung zu prüfen ist, ob zwischen der eingetretenen psychischen Störung und dem zugrunde liegenden Ereignis mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein ursächlicher Zusammenhang gegeben ist oder nicht.  

Des Weiteren ist nach unserem Dafürhalten auch nicht nachvollziehbar, warum eine solche nun eingeführte Beweiserleichterung gerade für Demenzerkrankungen und Intelligenzstörungen nicht gelten soll, mit der Begründung, nach dem aktuellen medizinischen Kenntnisstand würden solche psychischen gesundheitlichen Störungen regelhaft nicht durch auf die Psyche einwirkende schädigende Ereignisse entstehen. Auch dieses angeführte Statement beinhaltet nur eine pauschale Aussage. Schließlich überzeugt auch nicht das Argument, dass bei diesen gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund einer Demenzerkrankung sowie einer Intelligenzstörung eine Anerkennung der Schädigungsfolge im Sinne einer Verschlimmerung in Betracht kommen würde. Auch eine solche Anerkennung der Schädigungsfolge kann einzelfallbezogen nur durch einen medizinischen Sachverständigen erfolgen.

J) Änderung der Werkstätten-Mitwirkungsverordnung (§ 39a VI WMVO):

Mit Einfügung eines weiteren Absatzes 6 – welcher lediglich der Klarstellung dient, da bereits eine Finanzierungspflicht zugunsten des Netzwerkes der Frauenbeauftragten besteht - sollen die Frauenbeauftragten, welche bereits zum Ende des Jahres 2016 mit dem Bundesteilhabegesetz in den Werkstätten für behinderte Menschen eingeführt wurden und auf der Bundesebene durch Starke.Frauen.Machen e.V. vertreten werden, nun durch dasselbe Verfahren und in gleicher Höhe finanziert werden wie die Bundesvertretung der Werkstatträte (Werkstatträte Deutschland e.V.). Diese Angleichung ist nach Ansicht der BAG SELBSTHILFE zu begrüßen.

Die Frauenbeauftragten erfüllen nach wie vor eine wichtige Aufgabe in Einrichtungen der Behindertenhilfe, so auch in Werkstätten für behinderte Menschen, weil sie nicht nur „Ansprechpartnerinnen“ für Frauen mit Behinderungen sind, die sehr häufig Gewalt erfahren, sondern sie vertreten auch die Interessen der dort beschäftigten Frauen in den Bereichen Gleichstellung von Männern und Frauen, Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Schutz vor körperlicher, sexueller und psychischer Gewalt. Durch die Institutionalisierung von Frauenbeauftragten soll insoweit den spezifischen Belastungen von Frauen in Einrichtungen durch körperliche, sexuelle und psychische Gewalt sowie durch strukturelle Diskriminierung entgegengewirkt werden.

K) Aufgabenschärfung Inklusionsbetriebe - § 216 S.1 SGB IX:

Um eine Aufgabenschärfung der Inklusionsbetriebe i.S. der §§ 215-218 SGB IX zu erreichen, ist es grundsätzlich auch zu begrüßen, dass in § 216 S. 1 SGB IX die Wörter „und Unterstützung bei der Vermittlung in eine sonstige Beschäftigung in einem Betrieb oder einer Dienststelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt“ gestrichen werden. Wie es in der Begründung zu dem Referentenentwurf richtigerweise heißt, sind Inklusionsbetriebe selbst Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes, welche sich auch wie andere Unternehmen am Markt behaupten müssen. Neben dem angeführten Argument, dass sie deshalb nicht länger dazu verpflichtet sein können, ihre eigenen Beschäftigten an andere Unternehmen des allgemeinen Arbeitsmarktes zu vermitteln, ist hinzuzufügen, dass eine Unterstützung bei der Vermittlung in eine sonstige Beschäftigung bereits deshalb nicht erforderlich ist, weil dafür in der Regel ein Integrationsfachdienst zur Verfügung steht.

L) Digitale Pflegeanwendungen

Grundsätzlich begrüßt die BAG SELBSTHILFE, dass digitale Pflegeanwendungen in den Leistungskatalog aufgenommen werden sollen. Allerdings weist die BAG SELBSTHILFE darauf hin, dass dies einen evidenzbasierten Nutzennachweis erfordern sollte und dass die Anwendungen zwingend barrierefrei sein müssen. Dies ist bislang leider oftmals nicht der Fall.

3. Fazit:

Die in dem vorliegenden Referentenentwurf geplanten Maßnahmen eines Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes sind aus Sicht der BAG SELBSTHILFE grundsätzlich zu begrüßen, gerade mit dem Ziel, mehr Menschen mit Behinderungen nicht nur in eine reguläre Arbeit zu bringen, sondern auch auf lange Sicht in Arbeit zu halten. Dies auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass insbesondere in den letzten knapp 3 Jahren – auch bedingt durch die Corona-Pandemie - die Zahl der arbeitslosen schwerbehinderten Menschen überdurchschnittlich angestiegen ist. Deutschland ist somit noch weit entfernt von dem Ziel eines inklusiven Arbeitsmarktes. Das von der jetzigen Ampelregierung beschlossene Maßnahmenbündel zur Gestaltung eines inklusiven Arbeitsmarktes bedarf insoweit nicht nur in einigen Punkten der Korrektur sowie Ergänzung, sondern es muss darüber hinaus auch endlich zeitnah umgesetzt werden.

Auch weitere Reformvorhaben - wie beispielsweise eine Neuausrichtung der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) – einschließlich einer Novellierung der Werkstattentgelte – müssen zur Verwirklichung einer inklusiven Arbeitswelt zeitnah erfolgen. Anzuknüpfen ist in diesem Zusammenhang auch insbesondere an Art. 27 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), wonach seit deren Ratifizierung im März 2009 auch für Deutschland die staatliche Pflicht gilt, durch geeignete Schritte das Recht behinderter Menschen auf Arbeit auf der Grundlage der Gleichberechtigung mit anderen zu sichern und zu fördern. Dieser Regelungsgehalt wird auch bekräftigt durch die entsprechenden Regelungen in Art. 11 der UN-Frauenrechtskonvention sowie in Art. 23 Nr. 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

Abschließend möchten wir uns den Hinweis erlauben, dass nicht nur das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, sondern auch weitere Ressorts sehr oft den Betroffenenverbänden zu kurze Stellungnahmefristen zu Gesetzesentwürfen setzen, mit der Konsequenz, dass ein breit angelegter Beteiligungsprozess der Zivilgesellschaft zur Einholung von Einschätzungen bereits infolge der zeitlichen Komponente nicht möglich ist.

Dieser wichtige Aspekt möge zukünftig bitte Berücksichtigung finden. Auch sind wir mit einer Veröffentlichung unserer Stellungnahme einverstanden.

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