Stellungnahme zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Gesundheit für ein Gesetzes zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digital-Gesetz - DigiG)

Als Dachverband von 125 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 13 Landesarbeitsgemeinschaften teilt die BAG SELBSTHILFE die Einschätzung des Bundesministeriums für Gesundheit, dass die digitale Transformation des Gesundheitswesens und der Pflege ein herausragendes Potential für eine effiziente, qualitativ hochwertige und patientenzentrierte ge-sundheitliche und pflegerische Versorgung hat.

 

Die BAG SELBSTHILFE war an der Anhörung am 15.11.23 anwesend.

 

Die BAG SELBSTHILFE teilt auch die Auffassung, dass der Generierung und Nutzung qualitativ hochwertiger Daten für eine bessere Versorgung und Forschung, der Implementation nutzerorientierter Technologien und Anwendungen sowie der Datensicherheit dabei besondere Bedeutung zukommt.

Leider überschätzt der vorliegende Gesetzentwurf jedoch aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE die technologischen Möglichkeiten, die mit der aktuell verfügbaren elektronischen Patientenakte (ePA) verbunden sind. Derzeit ist die ePA in ihrer jetzigen Form lediglich ein Datenablagesystem mit äußerst beschränktem Nutzen für die Versorgung und Forschung.

Zwar nimmt der Gesetzentwurf wichtige digitale Anwendungen wie das E-Rezept, die DiGA und telemedizinische Anwendung in den Blick. Leider werden die zu diesen Anwendungen vorgesehenen Weiterentwicklungsprozesse viel zu wenig aus der Perspektive der Patienteninnen und Patienten betrachtet. Würde die Digitalisierung des Gesundheitswesens nutzerorientiert und unter Patientenbeteiligung vorangetrieben, dann wäre die weite Verbreitung der ePA und der damit verbundenen digitalen Anwendungen ganz automatisch sichergestellt und die Frage des Opt-Outs oder Opt-Ins wäre obsolet.

Zu begrüßen ist aber aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE, dass der vorliegende Entwurf einen ersten Schritt zur digitalen Weiterentwicklung der DMP vorsieht. Dies betrifft insbesondere die Verknüpfung der DMP mit der ePA, dem elektronischen Medikationsplan und der Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen. Wünschenswert wäre allerdings hinsichtlich der DiGA die Klarstellung, dass vom BfArM zugelassene DiGA für eine DMP-Indikation zwingend in das DMP zu integrieren sind.

Ebenfalls aus Sicht der BAG SELBSTHILFE zu begrüßen ist, dass der Innovationsfonds nach den nun im Gesetzentwurf vorgesehenen Regelungen verstetigt und weiterentwickelt werden soll. Sie sieht jedoch noch Weiterentwicklungsbedarf an einigen Stellen, insbesondere bei den Bewertungskriterien: Hier sollte festgelegt werden, dass Patientenbeteiligung in Projekten ein Qualitätskriterium ist, das zu einer positiveren Bewertung des Projektes führen kann; denn nur eine strukturelle Verankerung der Patientenbeteiligung in Projekten kann sicherstellen, dass die Ausgestaltung der Forschungsfragen und die Studien wirklich im Interesse der PatientInnen erfolgen. Auch deswegen gilt die strukturelle Einbeziehung Patientenorganisationen und PatientInnen international längst als Qualitätskriterium für Studien; auch das Prognos- Gutachten von 2022 hat einen Ausbau der Patientenorientierung des Innovationsausschusses durch angemessene Beteiligungsformen gefordert.

Zum Entwurf positioniert sich die BAG SELBSTHILFE im Einzelnen:

I.  Elektronische Patientenakte (ePA)

Angesichts der aktuell fehlenden Akzeptanz der ePA bei den Versicherten als wesentliches Tool zur Sammlung und Weitergabe medizinischer Informationen und Dokumente im Rahmen von Behandlungspfaden ist es geboten, substanzielle, strukturelle Beteiligungsprozesse unter anderem durch die Einbeziehung der maßgeblichen Patientenorganisationen (§ 140f SGB V) einzuführen. Denn eine bloße vereinzelte Anpassung der Technik ohne Orientierung an den Bedarfen der Versicherten und ohne Informations- bzw. Beratungsangebote wird aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE keine breite Akzeptanz der ePA zur Folge haben.

Als zentrales beratendes Gremium wird im Gesetzesentwurf ein Digitalbeirat der Gesellschaft für Telematik (§ 318a) geschaffen, dem VertreterInnen des BSI und des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit angehören. Bei der weiteren Besetzung sollen insbesondere „medizinische und ethische Perspektiven“ berücksichtigt werden. Es ist unabdingbar, dass auch die maßgeblichen Patientenorganisationen (§ 140f SGB V) sowie VertreterInnen der digitalen Zivilgesellschaft im Digitalbeirat vertreten sind. Dies ist zwar nach dem Wortlaut der Regelung nicht ausgeschlossen, allerdings auch nicht zwingend vorgesehen. Hier sollte es eine Klarstellung geben.

Zudem müssen aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE die Patientenvertretungen an der Evaluation und Weiterentwicklung der ePA beteiligt werden. Denn eine vom Gesetzgeber angestrebte Nutzerfreundlichkeit lässt sich nur herstellen, wenn die NutzerInnen strukturell und mit einem starken Mandat an allen Prozessen strukturell und mitentscheidend beteiligt werden.

Schließlich müssen unabhängige Beratungsstellen für PatientInnen – wie insbesondere auch die der Selbsthilfe - unter angemessener Vergütung für ihre Tätigkeit die Möglichkeit bekommen, zur ePA zu beraten. Die UPD ist ja bereits im Entwurf genannt, die Möglichkeit der Beratung sollte jedoch breiter gedacht werden, damit man die Menschen da abholt, wo sie sind; hier wäre – neben der Selbsthilfe – etwa auch an Pflegestützpunkte zu denken. Denn es ist davon auszugehen, dass Menschen mit geringer digitaler Kompetenz bzw. Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen von der ePA überfordert sein werden und Unterstützung benötigen, um die ePA-Anwendungen sicher bedienen zu können und ihre Rechte wahrzunehmen.

1. Bereitstellung von Informationen zur ePA und Verfahrensregelungen (§§ 343, 344, 350,    350a SGB V GesE)

a) Informationen für die Versicherten (§ 343 SGB V GesE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt es, dass den Versicherten auch eine schriftliche Erläuterung des Nutzens, der Datensicherheit, der Berichtigungsvergabe, der Widerspruchsoptionen u.s.w. vor der Einrichtung der ePA zur Verfügung gestellt werden soll. Insbesondere begrüßt die BAG SELBSTHILFE, dass dies transparent, präzise, in verständlicher, leicht zugänglicher Form, in einer klaren und einfachen Sprache und barrierefrei erfolgen soll (§ 343 Abs. 1a).

Es ist jedoch bereits jetzt absehbar, dass sich viele Nachfragen seitens der Versicherten ergeben werden. Ebenso absehbar ist, dass die Kassen nicht über die Strukturen verfügen, die eine entsprechende weitere mündliche Aufklärung und Erläuterung größeren Umfangs bewältigen können.

Die BAG SELBSTHILFE regt daher an, die entsprechenden Materialien (im Sinne von § 343 Abs. 1a) im Einvernehmen mit den maßgeblichen Patientenorganisationen (§ 140f SGB V) zu erstellen. Zum einen sollten auf diese Weise die in den Patientenorganisationen bereits bekannten Kommunikationsherausforderungen zu einem größeren Teil abgefangen werden. Zum anderen dürfte die darüber hinaus in vielen Fällen wohl notwendige mündliche Erläuterung so auch von den Patientenorganisationen besser unterstützt werden können.

Unklar ist bislang, wie sichergestellt wird, dass auch jeder Versicherte die entsprechende Aufklärung erhalten und zur Kenntnis genommen hat, dessen ePA eingerichtet wird. So steht zu befürchten, dass die ePA gerade bei gesundheitlich eingeschränkten Menschen eingerichtet wird, ohne dass diese überhaupt die Möglichkeiten hatten, über die Konsequenzen und ihren eigenen Wunsch auch nur zu reflektieren. Dies wäre ein Verstoß gegen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

b) Ausübung des Widerspruchsrechtes (§ 344 SGB V GesE)

Für die Ausübung des Widerspruchsrechts der Versicherten ist aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE unklar, wie genau die Versicherten widersprechen können. Zwar ist festgelegt, dass mittels des Endgerätes oder gegenüber der Krankenkasse widersprochen werden kann, allerdings sind hier die Einzelheiten noch nicht klargestellt, etwa in welcher Form hier widersprochen werden kann. Zudem müsste auch geregelt werden, wie schnell und über welche Zugangswege die ePA auch wieder gelöscht wird, für den Fall, dass zunächst der Einrichtung nicht widersprochen wurde und der Widerspruch erst nachträglich erklärt wurde.

Der Widerspruch muss jederzeit und auch mit sofortiger Wirkung über die verschiedenen Kommunikationsmittel ermöglicht werden. Die Verfahren zur Erklärung des Widerspruchs dürfen dabei nicht so komplex sein wie sie derzeit sind, um eine ePA einzurichten. Denn in der Praxis scheitert die Einrichtung einer ePA derzeit auch oft daran, dass etwa der Briefträger kein PostIdent-Verfahren mit dem Versicherten durchführt, obwohl er dazu beauftragt wurde.

Schließlich bleibt unklar, welche Rechte die Betroffenen bei einer verfehlten Umsetzung des Widerspruchsrechtes oder einem zu weitgehenden Zugriff der Krankenkassen auf ihre medizinischen Behandlungsunterlagen haben; angesichts der hohen Sensibilität der Gesundheitsdaten handelt es sich um einen besonders problematischen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung; insoweit sollten hier Sanktionen vorgesehen werden.

c) Zur-Verfügung-Stellen der Abrechnungsdaten (§ 350 SGB V GesE)

Grundsätzlich begrüßt die BAG SELBSTHILFE die Option, dass die Versicherten bei den Kassen über sie vorhandene Daten in die ePA zur Verfügung gestellt bekommen. Dabei dürfte es sich ganz überwiegend um Abrechnungsdaten handeln.

Abrechnungsdaten werden zu anderen Zwecken als zur Speicherung von reellen Gesundheitszuständen, Behandlungsabläufen oder gar zur Bewertung von Behandlungserfolgen erstellt. Abrechnungsdaten verfolgen eine eigene Logik, die den Versicherten in der Regel unbekannt ist.

Daher ist zu erwarten, dass bei Einsicht der Versicherten in die von den Kassen zur Verfügung gestellten Daten bei den Versicherten erhebliche Nachfragen aufkommen werden – insbesondere dann, wenn sie einen Teil der Daten für relevant falsch erachten.

Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE bedarf es hier eines umfassenden Testlaufs dahingehend, mit welchen Daten gerade chronisch Kranke und Menschen mit Behinderung durch das automatische Einstellen der Daten konfrontiert werden, um beispielsweise auf folgende Fragen im großen Maßstab eingehen zu können: Was wird von Versicherten häufig falsch verstanden? Können Hinweise bei der Einstellung helfen? Wenn ja, welche? Wie ist mit fehlerhaften Daten umzugehen? Welche äußerst relevanten Daten sind häufig unvollständig?

Wenn in Abs. 4 des Entwurfes als Voraussetzung für eine Änderung falscher Daten von den Versicherten eine ärztliche Bestätigung darüber gefordert wird, dass bestimmte Daten falsch sind, verkennt die Reglung, dass Versicherte in diesen Fällen auch mit ÄrztInnen darüber streiten könnten, ob Daten zutreffend oder falsch eingetragen wurden. Hinzu kommt, dass manche Eintragungen auch deswegen falsch sein können, weil sie seitens des Arztes bewusst aus abrechnungstechnischen Gründen entsprechend vermerkt wurden. Dass derartige Diskussionen für die Versicherten schwierig sein dürften, liegt auf der Hand. Zudem scheuen sich Versicherte möglicherweise auch deswegen, das Thema evtl. falscher Daten anzusprechen, um den behandelnden ÄrztInnen nicht das Gefühl zu signalisieren, man würde ihnen misstrauen. Dies kann nämlich im Einzelfall dazu führen, dass ÄrztInnen nicht mehr bereit sind, PatientInnen weiter zu behandeln. Und auch wenn die PatientInnen theoretisch die Möglichkeit haben, sich einen neuen Arzt zu suchen, ist dies zu Zeiten des Ärztemangels eine erhebliche Herausforderung.

Insofern bedarf es einer gesonderten unabhängigen und nicht in die eigentliche Behandlung involvierten Stelle, an die sich Versicherte wenden können, um Daten prüfen und ggf. ändern lassen zu können. Die Klärung der Richtigkeit der Daten durch die Krankenkassen ist hier aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE wegen der Sensibilität der Daten keine sinnvolle Option.

d) Einscannen von Papierdokumenten (§ 350a SGB V GesE)

Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ist eine Begrenzung des Umfangs der Digitalisierung von Papierdokumenten zur Einstellung in der ePA auf 2x10 Dokumente oder andere Mengenangaben weder zielführend noch sinnvoll. Dabei muss jedoch sichergestellt sein, dass das Einscannen von Daten nicht zu einer Verfälschung der Werte führt; denn gerade bei einem Einlesen (etwa von Blutwerten) über eine Texterkennung kann Fehler produzieren. Hinzu kommt, dass die Krankenkassen über das Einscannen auch u.U. auch Zugriff auf medizinische Behandlungsdaten der Betroffenen erhalten, obwohl das Medizinsystem eigentlich in der Lage sein müsste, die Daten unmittelbar in die ePA einzustellen. Die fehlende Bereitschaft vieler Ärzte, die Akte zu befüllen, kann insoweit nicht zu Lasten der informationellen Selbstbestimmung der PatientInnen gehen.

Bei der Entscheidung, ob Papierdokumente digital in die ePA eingestellt werden, sollte es ausschließlich darauf ankommen, ob die in den Dokumenten enthaltenen Informationen nicht bereits digital verfügbar sind und ob sie für die (weitere) Behandlung des Versicherten in der Zukunft relevant sein können. Andernfalls besteht überdies das Risiko, dass unvollständige Daten zu Fehleinschätzungen bei den behandelnden ÄrztInnen führen können.

2. Ausgestaltung von Zugriffen und Befüllung (§§ 339, 346 – 349, 352 SGB V GesE)

Die Ausgestaltung der Einsichts- und Zugriffsrechte auf die Opt Out ePA eines einzelnen Versicherten ist aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE so zu gestalten, dass dem erheblich betroffenen Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Versicherten vollumfänglich Rechnung getragen wird.

Echte Selbstbestimmung im Umgang mit Daten muss mindestens beinhalten, dass

  • ich als Versicherte/r zu jedem Zeitpunkt die volle Transparenz und Kontrolle darüber habe, welche Daten für wen sichtbar sind,
  • ich als Versicherte/r meine Daten nur mit von mir ausgewählten ÄrztInnen teilen kann (z.B. zu denen ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht), 
  • ich als Versicherte/r meine Daten jederzeit auf „nur für mich sichtbar“ stellen oder löschen kann,
  • ich als Versicherte/r auswählen kann, dass neu eingestellte Dokumente im Standard zunächst „nur für mich sichtbar“ oder für eine Gruppe von mir ausgewählten LeistungserbringerInnen sichtbar sind,
  • ich als Versicherte/r steuern kann, ob und inwieweit ich meine Daten für Forschungszwecke freigeben möchte,
  • ich als Versicherte/r den Zugriff und Inhalte meines Medikationsplans steuern kann.

Diesen Anforderungen wird der Entwurf bislang an folgenden Stellen nicht gerecht:

a) Ausmaß des Opt-Outs (§§ 339, 346 SGB V RefE)

Nur die Versicherten, die der ePA insgesamt und schon bei der Einrichtung widersprechen, können sicher sein, dass nur ÄrztInnen, ApothekerInnen etc. Daten über sie einsehen können, die sie selbstbestimmt weitergegeben haben. Der Entwurf sieht aktuell vor, dass die Versicherten immer wieder widersprechen müssen und keine Voreinstellung beispielsweise in der Weise vornehmen können, dass zwar der Einrichtung der ePA nicht widersprochen wird, aber der grundsätzlichen Einsichtsbefugnis durch ÄrztInnen und anderen TherapeutInnen.

Versicherte, denen zwar noch das Vertrauen in die ePA insgesamt fehlt, die jedoch die Vorteile einer Medikationsliste erkennen, haben jedenfalls am vertretbaren Aufwand gemessen keine zumutbare Möglichkeit, lediglich die Medikationsliste bzw. ggf. einen Medikationsplan zu nutzen. Vor dem Hintergrund, dass gerade die Einstellung und Überwachung der Medikation für die Behandlung der Versicherten von überragender Bedeutung ist, kann dies nicht nachvollzogen werden.

Insbesondere für chronisch Kranke und Menschen mit Behinderungen ist die komplexe und mit sehr viel Aufwand verbundene Widerspruchsoption bei der Nutzung der ePA unzumutbar und hebelt das informationelle Selbstbestimmungsrecht der Versicherten aus.

Es bedarf eines leicht handhabbaren Verfahrens, bei dem Interessen des Einzelnen vollumfänglich gesichert werden. Ob die von der gematik ausgearbeiteten Funktionalitäten dem entsprechen, ist zunächst in umfassenden Testreihen mit weit mehr als 10.000 freiwilligen Nutzern zu prüfen, bevor das ganze System für mehr als 60.000.000 Menschen ausgerollt wird. Erst ab einer solchen Testgröße ist zu erwarten, dass relevante Mängel überhaupt erkannt werden.

b) Übertragung von Behandlungsdaten in die ePA durch Leistungserbringer
(§ 347 SGB V GesE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt es ausdrücklich, dass nach dem Entwurf die Speicherung von, die Einsicht in bzw. die Forschung mit genetischen Daten von Versicherten stets von einem Opt In des Versicherten getragen sein muss.

Gleiches muss für als bekanntermaßen stigmatisierende Erkrankungen und deren Therapiemaßnahmen gelten; ein besonderer Hinweis auf das Widerspruchsrecht bei diesen Erkrankungen, wie es der Entwurf regelt, reicht aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE nicht aus. Die im Entwurf benannten Beispiele (sexuell übertragbare Infektionen, Schwangerschaftsabbrüche, psychische Erkrankungen) sind dabei aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE auch nicht ausreichend, um diesem Anspruch gerecht zu werden. Zu nennen sind hier z.B. Suchterkrankungen (einschließlich Medikamentenabhängigkeiten) und Krebserkrankungen, die noch aufgenommen werden sollte. Insgesamt sollte der Katalog solcher Erkrankungen im Einvernehmen mit den maßgeblichen Patientenorganisationen nach § 140f SGB V erstellt werden.

c) Übertragung von Behandlungsdaten in die ePA durch zugelassene Krankenhäuser (§ 348 SGB V GesE)

Auch die Anforderung der vollständigen Behandlungsunterlagen im Sinne von § 630g BGB sollte ggf. durch Übersendung eines gesondert abgelegten Konvoluts in die ePA möglich sein, damit die Speicherung weiterer medizinischer Dokumente erleichtert durch den Versicherten in seiner ePA erfolgen kann und auch Zweitmeinungen zu bestimmten Behandlungskontexten eingeholt werden können.

d) Sichtbarkeit von Dokumenten für BetriebsärztInnen (§ 353 Abs. 4 und 5 SGB V GesE)

Der Zugriff der BetriebsärztInnen auf die elektronische PatientInnenakte soll nach dem Entwurf als Opt In mit Zustimmung der Patient*innen möglich sein. Die BAG SELBSTHILFE sieht jedoch schon die Möglichkeit des Zugriffs der BetriebsärztInnen auf die ePA im Wege des Opt-In insgesamt kritisch. Mit Nachdruck wendet sie sich gegen die Idee des Bundesrates, ihnen im Wege des Opt-Outs Zugang zu den Behandlungsdaten der Beschäftigten zu geben.

BetriebsärztInnen haben nicht das Recht, Gesundheitsinformationen zu erhalten, die über die gesundheitliche Eignung, eine Tätigkeit auszuüben, hinausgehen. Einige BetriebsärztInnen neigen jedoch dazu, keine Grenze dabei zu ziehen, welche Informationen für die Ausübung der Tätigkeit notwendig ist und welche nicht. Sie stufen vielmehr jede medizinische Information als potentiell einschränkend anzusehen. Da die betroffenen Versicherten keine freie Wahl des Betriebsarztes haben, ist in keiner Weise verlässlich abzusehen, welche Informationen als im Einzelfall relevant angesehen werden.

Zum Beispiel für Menschen mit HIV stellt das die Gefahr eines Outings im Arbeitskontext dar, das negative Folgen haben kann. Auch bei einem Opt In-Verfahren können Arbeitnehmende unter Druck gesetzt werden, wenn sie den Zugriff ablehnen. Die BetriebsärztInnen könnten unterstellen, dass sie wesentliche Informationen nicht erhalten und eine generelle Gefährdung annehmen.

Zwar gilt grundsätzlich die Schweigepflicht auch für BetriebsärztInnen. Allerdings zeigt die Praxis immer wieder, dass diese „umgangen“ oder ignoriert wird. Im Fall von HIV beispielsweise wird häufig nicht auf Grundlage aktueller medizinischer Erkenntnisse entschieden und die Relevanz der HIV-Infektion für den Arbeitskontext deutlich überschätzt.

Um ein paar Beispiele zu nennen:

  • BetriebsärztInnen sind teilweise der unwissenschaftlichen Meinung, dass bei HIV-positiven Mitarbeitenden in medizinischen Einrichtungen eine Gefahr für die PatientInnen vorliegt. Sie versetzen diese Mitarbeitenden in einen „patientenfernen“ Bereich;
  • bei Einstellungsuntersuchungen durch BetriebsärztInnen wurde keine positiven Tätigkeitsbescheinigungen ausgestellt, z.B. auch nicht bei HIV-positiven Pflegekräften oder Auszubildenden in der Krankenpflege;
  • es wurde eine krankenhausinterne Expertenkommission einberufen, um über die weitere Tätigkeit des/der HIV-positiven Mitarbeitenden zu beraten, gerade in kleinen Krankenhäusern war weder der Datenschutz noch die ärztliche Schweigepflicht gewährleistet;
  • es gab eine Betriebsvereinbarung in einem Krankenhaus, dass bei Bekanntwerden der HIV-Infektion der Betriebsarzt sofort die ärztliche Leitung zu informieren habe. Auch dies verletzt Datenschutzrechte und die ärztliche Schweigepflicht.

Auch wenn die Problematik am Beispiel der HIV-PatientInnen erläutert wird, ist dies keinesfalls der einzige Anwendungsfall, auf den das zutrifft. Es hängt von der jeweiligen Branche ab, welche Erkrankungen besonders anfällig für Diskriminierungen am Arbeitsplatz sind. Daher hält die BAG SELBSTHILFE ein vollständiges Verbot der Einbeziehung der Betriebsärzte in die ePA für notwendig; auf gar keinen Fall darf die bestehende Opt-In Lösung in eine Opt-Out-Lösung umgewandelt werden – wie es etwa der Bundesrat fordert.

e) Umsetzung des EuGH-Urteils vom 26.10.2023 (Az.: C-307/22)

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE muss der Anspruch der Versicherten auf Aushändigung kostenloser Kopien zu den Unterlagen, die in der ePA abgespeichert sind nun auch zwingend im SGB V und im BGB aufgenommen werden. Es fehlen daher im vorliegenden Gesetzentwurf die entsprechenden Vorschriften.

3. Betroffenenrechte und ihre Wahrnehmung (§§ 337, 342, 353 SGB V GesE)

Die genaue Ausgestaltung der Betroffenenrechte sollte nach einer umfangreichen Testung verschiedenster Szenarien im Einvernehmen mit den maßgeblichen Patientenorganisationen in einer gesonderten Regelung ausgestaltet sein.

Gerade in Bezug auf die Herausforderungen mit den neuen Fehlern und Gefahren im Rahmen der Digitalisierung werden Probleme entstehen, die bislang nicht absehbar sind und von Akteuren einer Lösung zugeführt werden sollten, die auch in der Praxis umsetzbar ist.

4. MIOs und nutzbringende Anwendungsfälle (§§ 334, 355- 359 SGB V GesE)

a) Medikationsliste, Medikationsplan und Hinweise auf Medikation

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die Medikation der Versicherten an 4 verschiedenen Orten gespeichert wird. Das führt zwangsläufig zu widersprüchlichen Eintragungen und sollte dringend vermieden werden.

Die Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens wurde vor dem Hintergrund des Lipobay-Skandals 2003 gestartet und sollte eine solche Gefährdung und Schädigung von PatientInnen künftig verhindern. Der Entwurf des Gesetzes wird diesem Ziel nicht gerecht. Weder ist es möglich einzutragen, ob Medikamente überhaupt eingenommen wurden, noch Rückschlüsse auf Veränderungen in der Befindlichkeit der Patienten zu dokumentieren.

Die verschiedenen Arznei-Skandale der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass eine Auswertung von Massendaten gerade nicht dazu geeignet ist, Ursächlichkeiten von überwiegend schädigenden Arzneimitteln auf den Grund zu gehen. Daher ist die Beobachtung des Einzelnen (sei es Patient, Arzt, Apotheker) insoweit besonders wichtig. Die Digitalisierung kann und muss hier entscheidet unterstützen.

Die Medikationsliste, die durch automatische Speicherung der eRezept-Daten generiert werden soll, sollte der einzige Speicherort sein, an dem die Informationen (ggf. in Darstellung eines Medikationsplan) zur Medikation des Patienten zusammenführt. Hier sollte es auch möglich sein zu vermerken, wenn Patienten Medikamente selbstständig abgesetzt, in der Dosis verändert oder aber auch freiverkäufliche Mittel in Apotheke oder Drogerie erworben haben. Unerwünschte Nebenwirkungen oder Therapieerfolge sollten zugeordnet und ggf. an Aufsichtsbehörden automatisiert weitergeleitet werden können.

Da die Medikation Rückschlüsse auch auf stigmatisierende Erkrankungen zulässt, muss auch hier dem Selbstbestimmungsrecht der Versicherten vollumfänglich entsprochen und eine entsprechende detaillierte Verschattung von Einzeleinträgen ermöglicht werden. Dies ist nach unserer Einschätzung bisher noch nicht der Fall. Im Ergebnis kann die fehlende Verschattung jedoch zur Folge haben, dass Menschen, etwa mit einer HIV-Erkrankungen oder anderen stigmatisierenden Erkrankungen insgesamt den Medikationsplan nicht nutzen, weil sie befürchten müssen, dass ihre Erkrankung über die Medikamentenliste auch Leistungserbringern bekannt wird, für die diese Information nicht relevant ist.

b) Grundsätzliche strukturelle Einbindung und Mitbestimmung der maßgeblichen Patientenorganisationen

Bei allen Funktionalitäten der ePA, vor allem bei den MIOs, sollten die maßgeblichen Patientenorganisationen (§ 140f SGB V) strukturell eingebunden werden und auch mitbestimmen. PatientInnen sehen Fehler und unzureichende Ausgestaltungen als erste und können auch einfache Lösungsvorschläge kreativ mitentwickeln. Da sie die Risiken für Ihre Gesundheit tragen müssen, haben sie ein ureigenstes Interesse daran, dass die Funktionalitäten zu einer Verbesserung ihrer Versorgung führen.

II. Fortentwicklung der Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA)

1. Ausweitung der Leistungen bei Schwangerschaft, Erfassung von Medizinprodukten der Risikoklasse IIb, Verbot der Kopplung von DiGA mit bestimmten Hilfsmitteln und Arzneimitteln (§§ 24c, 24e, 33a, § 139e SGB V, §§ 2, 4 und 11a DiGAV

Da bislang noch keine strukturelle Erfassung von Nutzen und Risiken bei der DiGA-Nutzung durch Kassen, PatientInnen bzw. ÄrztInnen erfolgt, sollte nicht vorschnell eine Erweiterung auf andere Risikoklassen erfolgen. Bei einem größeren Schädigungspotential bedarf es aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE zunächst umfassender Forschung unter Einbeziehung der maßgeblichen Patientenorganisationen (§ 140f SGB V).

Begrüßt wird hingegen die Einführung einer Patientenbeteiligung bei der Entwicklung eines Verfahrens zum Nachweis der Indikation für eine DiGA.

2. Erfolgsabhängige Vergütung und anwendungsbegleitende Erfolgsmessung (§§ 134, 139e SGB V GesE)

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt es, dass Vergütungsbestandteile zB für Digitale Gesundheitsanwendungen sich künftig teilweise am Erfolg der Anwendung orientieren sollen. Der Entwurf sieht jedoch bislang vor, dass sich der GKV-SV und die Herstellerverbände über die Ausgestaltung verständigen sollen.

Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es aber nicht zielführend, wenn die eigentlichen NutzerInnen der Anwendungen (PatientInnen, ÄrztInnen) bei der Frage, wann eine Anwendung erfolgreich ist, vollkommen außen vor bleiben. Aus ihrer Sicht bedarf einer umfassenden strukturellen Erfassung der Erfolgsfaktoren im Einvernehmen mit den maßgeblichen Patientenorganisationen (§ 140f SGB V), die leicht nachvollziehbar ist und transparent darlegt, von welchen Entwicklungen die PatientInnen besonders profitieren.

III. Weiterentwicklung der Telemedizin sowie von strukturierten Behandlungsprogrammen

1. Aufhebung der 30-Prozent-Mengengrenze für Videosprechstunden sowie Qualitätsvorgaben für Videosprechstunden (§§ 87, 365f. SGB V GesE)

Einer Anhebung der Mengengrenze steht die BAG SELBSTHILFE grundsätzlich offen gegenüber. Allerdings muss verhindert werden, dass reine telemedizinische Praxen entstehen, die eine Behandlung vor Ort im Notfall nicht abdecken können.

Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass Videosprechstunden stets auch in barrierefreien Formaten angeboten werden müssen. So muss beispielsweise eine gute Untertitelung ermöglicht werden und es muss möglich sein, bei Bedarf Assistenzen wie Schrift- und Gebärdensprachdolmetscher:innen zuzuschalten.

2. Bereitstellung der Versichertenausfertigung der eAU in der ePA (§ 73 SGB V GesE)

Die BAG SELBSTHILFE sieht die Regelung derzeit kritisch. Denn im Moment gibt es durchaus die Konstellation, dass Leistungserbringer zusagen, eine eAU an den AG zu übersenden, aber dann an der Technik scheitern. Leider werden dann auch die Versicherten nicht unbedingt vom Scheitern der Bemühungen benachrichtigt. Versicherte laufen dann in die Gefahr einer Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber, weil auch nicht immer klar ist, ob die Arztpraxis die Krankenkasse von einer technischen Störung benachrichtigt hat. Haben Sie einen entsprechenden Papierausdruck erhalten, ist die entsprechende Diskussion schnell zu bereinigen. Bei einem Verzicht auf eine papiergebundene Form wäre der Nachweis gegenüber dem Arbeitgeber bei einer unzureichenden Übersendung der eAU durch den Arzt jedoch schwieriger; leider steht zu befürchten, dass einzelne Arztpraxen auch in 12 Monaten Probleme mit den Abläufen haben könnten. Vor diesem Hintergrund halten wir eine solche Regelung noch für verfrüht.

3. Strukturierte Behandlungsprogramme mit digitalisierten Versorgungsprozessen (§§ 137f SGB V GesE)

Strukturierte Behandlungsprobleme müssen einheitlich „hybrid gedacht“ werden. Das bedeutet, dass eine Einbeziehung von digitalen Angeboten stets zu prüfen ist und keine gesonderten rein digitalen DMPs in Abgrenzung zu DMPs entwickelt werden sollten.

 

IV. Verbesserung der Interoperabilität und Erhöhung der Cybersicherheit

Das Bewusstsein darüber, dass durch die Digitalisierung eigene Fehler und Gefährdungen geschaffen werden, muss dazu führen, dass sich diesen Herausforderungen gestellt wird und Prozesse bzw. Arbeitsmittel derart angepasst werden, dass diesen Bedrohungen entgegengewirkt wird.

Cyberangriffe zielen z.B. nicht nur darauf ab, Daten abzugreifen oder „nur“ den Zugang insgesamt zu verwehren. Sie haben unter Umständen auch das Ziel, Daten zu verändern. Das bedeutet, dass durch Cyberangriffe beispielsweise über die Veränderung von Allergieangaben in den Patientendaten, Menschenleben und die Gesundheit der Betroffenen erheblich gefährdet sein kann.

Um eine schnelle Prüfung stets zu ermöglichen, sollte es eine zeitgleich geführte Papierdokumentation mit den allerwichtigsten Basisdaten des Versicherten geben, die Veränderungen der Daten schnell erkennen lässt. Dazu existieren bereits Lösungsvorschläge.

V. Verstetigung und Weiterentwicklung des Innovationsfonds

Die geplante Verstetigung und Weiterentwicklung des Innovationsfonds wird von der BAG SELBSTHILFE ausdrücklich begrüßt. Der Innovationsfonds stellt eine wichtige Ergänzung in der Forschungsförderung im Gesundheitswesen dar. Zudem leistet er mit zahlreichen beteiligten Akteuren einen adäquaten Beitrag zur Verbesserung der Versorgung der Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung. Die Verstetigung mit Beibehaltung der Mittelübertragung und begleitender regelmäßiger Evaluation erscheint hierbei sinnvoll.

Der Gesetzesentwurf enthält einige Neuerungen, die einen aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE einen Mehrwert darstellen und daher unterstützenswert sind.

Dazu zählen insbesondere:

  • Die Einführung eines zusätzlichen einstufigen Verfahrens für neue Versorgungsformen mit kurzer Laufzeit (§92a, Absatz 1 Satz 7 ff.)
  • Die Aufhebung der Begrenzung auf 20 Projekte bei den neuen Versorgungsformen (§92a Absatz 1 Streichung Satz 9)
  • Die Aufhebung der Quotierung: max. 20 % des Fördervolumens für die themenoffene Förderung (§92a Absatz 3 Satz 3)
  • Verpflichtende Rückmeldung aller Adressaten zur Umsetzung der Empfehlung innerhalb von 12 Monaten (§92b Absatz 3, nach Satz 6)

Die Einführung eines zusätzlichen einstufigen Verfahrens für neue Versorgungsformen mit kurzer Laufzeit (§92a Absatz 1 Satz 7ff.) ist zu begrüßen, insbesondere auch, da es den themenoffenen Bereich betrifft. Dadurch kann sichergestellt werden, dass auch im Bereich der Neuen Versorgungsformen kleinere, innovative Projekte oder Projekte mit kleinerer Patientenzahl gefördert werden können. Zudem kann die Machbarkeit und Umsetzbarkeit in den Projektvorhaben durch eine kürzere Laufzeit mit kleinerem Volumen erleichtert werden.

Die Begrenzung auf 20 Projekte bei den neuen Versorgungsformen (§92a Absatz 1 Streichung Satz 9) konnte das Ziel, große Projekte in die Durchführungsphase zu bringen, die eine weite Fläche und Patientenzahl erfassen nur bedingt erreichen. Vielmehr hatte die Begrenzung zu künstlich üppig kalkulierten Projekten geführt. Im Ergebnis wurden oft überbordende Finanzforderungen bei der Antragsprüfung der Förderzusage wieder auf ein Normalmaß gekürzt, das deutlich geringer war. Zudem kommen nun so viele gute Projekte in die Förderung, wie Finanzmittel in Folge der Regelungen des Gesetzgebers zur Verfügung stehen und die Begrenzung tritt nicht mehr durch eine diskretionäre Festlegung ein.

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Aufhebung der Begrenzung der jährlich verfügbaren Fördermittel für Vorhaben auf der Grundlage von themenoffenen Förderbekanntmachungen sehr (§ 92a Absatz 3 Satz 3). Seit Bestehen des Innovationsfonds hat sich gezeigt, dass gerade im Bereich der themenoffenen Ausschreibungen sehr kreative und innovative Projektvorhaben, die zu einer Verbesserung der Versorgung von Patientinnen und Patienten führen, eingereicht und gefördert werden konnten, sodass hier mehr Flexibilität bei der Förderentscheidung für solche Projekte möglich wird.

Die BAG Selbsthilfe begrüßt die verpflichtende Rückmeldung aller Adressaten zur Umsetzung der Empfehlung innerhalb von 12 Monaten (§92b Absatz 3, nach Satz 6). Dies schafft mehr Transparenz. In diesem Zusammenhang sollte gewährleistet werden, dass dies systematisch nachvollziehbar dargestellt wird, um damit die Zielerreichung des Innovationsfonds – die Verbesserung der Gesundheitsversorgung der Patientinnen und Patienten in der GKV und der dauerhafte Transfer in die Regelversorgung – überprüfen zu können. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussionen um die Verstetigung des Innovationsfonds spricht sich die Patientenvertretung ausdrücklich für diese aus. Die Vielfalt der innovativen Projekte, die bereits über den Innovationsfonds gefördert wurden, trägt zur Verbesserung der Versorgung bei und erste Ergebnisse sind im Kollektivvertrag aufgenommen.

Die BAG SELBSTHILFE sieht jedoch auch Weiterentwicklungsbedarfe, die durch klarstellende bzw. weitergehende gesetzliche Regelungen angegangen werden können und müssen:

  • Patientenbeteiligung
  • Sektorenübergreifende Versorgung
  • Finanzierung
  • Evaluation

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE vernachlässigt der Gesetzentwurf die weiterhin notwendige Stärkung der Patientenbeteiligung, die auch im Prognos-Gutachten aufgegriffen wurde. „Es wird empfohlen die Patientenorientierung des Innovationsfonds weiter zu stärken und zu beobachten. Patientenorientierung bzw. -beteiligung sollte in angemessener Form in den Förderprojekten sichergestellt werden.“ (Vollmer, et al., 2022, S. 187)

In § 92a Abs.1 Satz 4 sind bisher nur 7 verpflichtende Bewertungskriterien festgeschrieben, hier muss die Patientenbeteiligung aufgenommen werden, um internationalen Standards zu entsprechen. ◦ Die Aufnahme der Patientenbeteiligung in die Förderausschreibungen zeigte bereits erste positive Effekte. So heißt es im Prognos-Gutachten:

„Patientenorganisationen sind in rund einem Viertel aller Projektkonsortien vertreten. Insgesamt hat sich die Einbindung von Patientenorganisationen bzw. der Patientenperspektive im weiteren Sinne seit der Anfangsphase des Innovationsfonds deutlich verbessert. Konkreten Vorgaben für die Ausgestaltung der Beteiligung, wie sie teilweise von Stakeholdern gefordert werden, steht die große Vielfalt der Projekte entgegen. Die Patientenorientierung des Innovationsfonds sollte weiter beobachtet und mithilfe angemessener Beteiligungsformen bestmöglich sichergestellt und weiter ausgebaut werden.“ 

Projekte, die Patientenbeteiligung ernst nehmen sollen über ein verpflichtendes Bewertungskriterium dafür nun auch honoriert werden. Alternativ käme aber auch eine Soll-Vorschrift für die Hinzuziehung von Patientenorganisationen zu den antragstellenden Konsortien in Betracht.

Das originäre Ziel des Innovationsfonds – der Verbesserung der sektorenübergreifenden Versorgung kann noch deutlich ausgebaut werden. Hier sind dringend gesetzliche Mechanismen vorzusehen, wie beispielsweise andere Bereiche z.B. SGB IX, SGB XI etc. welche auch direkter Bestandteil des Versorgungskontinuums darstellen stärker eingebunden werden können. Freiwillige Beteiligungen haben sich in der bisherigen Erfahrung als nicht ausreichen adäquat erwiesen. Nur durch eine derartige Einbindung über Sozialgesetzbücher hinweg, kann das eigentliche Ziel des Innovationsfonds vollends erreicht und alle Potenziale ausgeschöpft werden. Eine zukunftsorientierte und effiziente Gesundheitsversorgung muss über den gesamten Behandlungsweg hinweg gedacht und umgesetzt werden.

Prinzipiell ist eine regelmäßige – alle 4 Jahre durchgeführte - wissenschaftliche Evaluation des Innovationsfonds zu begrüßen. Es sollte gerade bei der Verstetigung – und vor dem Hintergrund der Verwendung von Versichertengeldern - gewährleistet sein, dass die Zielerreichung und Wirkung auf die Versorgung des Innovationsfonds kontinuierlich überprüft wird und sich an die sich verändernden Bedarfe und Erkenntnisse aus der Praxis anpasst.

Düsseldorf/ Berlin 13.11.2023

 

 

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