Stellungnahme zum Referentenentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze

Als Dachverband von 119 Bundesverbänden der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen sowie deren Angehörigen sowie von 13 Landesarbeitsgemeinschaften begrüßt die BAG SELBSTHILFE die Möglichkeit, zum vorliegenden Referentenentwurf Stellung zu nehmen. Allerdings war es uns nicht möglich, die hierzu erforderlichen innerverbandlichen und fachlichen Abstimmungsprozesse innerhalb der viel zu knapp bemessenen Frist umzusetzen.

Entsprechend des Partizipationsgebots der UN-Behindertenrechtskonvention gehen wir davon aus, dass unsere Stellungnahme trotz der geringfügigen Fristüberschreitung Berücksichtigung findet. 

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es grundsätzlich zu begrüßen, dass mit vorliegendem Gesetzentwurf eine gesetzliche Grundlage für das Fallmanagement in der Rehabilitation geschaffen werden soll. Allerdings ist der Anwendungsbereich der vorgesehenen Regelungen eindeutig zu stark limitiert.

Die BAG SELBSTHILFE begrüßt grundsätzlich auch die Schaffung erweiterter Möglichkeiten, um die Einhaltung von Meldepflichten der Arbeitgeber zu prüfen sowie den Datenaustausch im System der Rehabilitation zu verbessern. Soweit Daten von Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen dabei verarbeitet werden, weist die BAG SELBSTHILFE aber auf die erhöhten Anforderungen an Datensicherheit und Datenschutz hin. Eine sichere Datenaustauschinfrastruktur ist hierfür unabdingbar.

In Einzelnen ist zu dem vorliegenden Referentenentwurf folgendes auszuführen:

1. Fallmanagement, § 13a SGB VI u.F

a) Dass Menschen mit Behinderungen trotz der seit dem 1.7.2001 geltenden rechtskreisübergreifenden Bestimmungen des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) häufig Brüche im Rehabilitationsprozess erleben, ist durch wissenschaftliche Studien, insbesondere die „Studie zur Implementierung von Instrumenten der Bedarfsermittlung, Forschungsbericht 540 des BMAS, Dezember 2019“ nachdrücklich belegt. 

Der Forschungsbericht 540 zeigt, dass nicht nur „Versicherte“ (der Rentenversicherung) mit komplexen und langanhaltenden Unterstützungsbedarfen, sondern Menschen mit Behinderungen unabhängig von der Dauer ihrer Behinderung oder einer besonders ausgeprägten Behinderung von diesen Brüchen im Rehabilitationsverfahren betroffen sind. Die für die Betroffenen mit diesen Brüchen verbundenen Probleme bestehen nicht nur im Zusammenhang mit der Förderung der Teilhabe am Erwerbsleben, sondern auch bei anderen Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und damit weiterhin mehr oder weniger mit allen Rehabilitationsträgern im gegliederten System und nicht nur im Bereich der Träger der Rentenversicherung.

Das ebenfalls durch das vom BMAS geförderte, in der Zeit von 2020 bis 06/2025 durchgeführte Projekt „Koordination individueller Teilhabe (KIT)“, auf dem die Initiative zum Fallmanagement im Koalitionsvertrag offensichtlich beruht, beschränkte sich demgegenüber auf das Rehabilitationsverfahren „zur beruflichen Teilhabe“ der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung und die davon erfassten Menschen mit Behinderung.  Die in diesem Projekt gewonnen Erkenntnisse erfassen mithin nicht alle Problemstellungen die Menschen mit Behinderungen bei der Geltendmachung und Durchführung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben haben, sondern nur die im Zusammenhang mit den Verfahren der Rentenversicherung gesehenen. Selbst Probleme bei Verfahren der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben anderer für diese Leistungen auch zuständiger Träger (u.a. Bundesagentur für Arbeit, Unfallversicherungsträger, Träger des sozialen Entschädigungsrechts usw.) werden nicht in den Blick genommen.

Der Forschungsbericht 540 zeigt, dass die Brüche im Rehabilitationsprozess weitgehend durch Koordinations- und Kooperationsdefizite zwischen den im gegliederten System beteiligten Rehabilitationsträgern – mithin durch Schnittstellenprobleme -, aber auch durch die Nichtbeachtung der zur Vermeidung dieser Probleme im SGB XI verankerten Bestimmungen zur Zusammenarbeit, insbesondere die zur Kooperation und Koordination verursacht werden.

Nach dem Ergebnis der Studie hat die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger insbesondere auch auf der regionalen Ebene durch das BTHG eine noch größere Bedeutung als zuvor erfahren (S. 112).

Gerade auf der regionalen Ebene wird aber beklagt, dass die Organisationsstrukturen und Arbeitsabläufe der verschiedenen Träger untereinander weitgehend unbekannt sind und es nur selten möglich ist, in einer bestimmten Situation (z.B. einem Beratungsgespräch) bei einem anderen Träger einen fachkompetenten Ansprechpartner zu erreichen (S. 106/107). Obwohl von den regional tätigen Mitarbeitern der Rehabilitationsträger eine trägerübergreifende Austauschplattform und ein regelmäßiger systematischer Erfahrungsaustausch in Arbeitsgruppen auf regionaler Ebene gefordert wird, sind die dazu schon seit 1.7.2001 in § 25 Abs. 2 SGB IX vorgesehenen regionalen Arbeitsgemeinschaften in keinem Bundesland eingerichtet worden.

Im Rahmen des Forschungsprojektes wurde zudem erhoben, dass viele regional tätigen Beschäftigten der Träger die Notwendigkeit der regionalen Zusammenarbeit leben wollen, deren Träger dies aber durch Verweis auf Kosten und angeblich mangelnde Rechtsgrundlage aber bremsen oder gar ablehnen. Gleichwohl gibt es vereinzelt regionale Koordination und Kooperation auf der Basis privater Initiative von Mitarbeitern.

Die Studie enthält zur Lösung von Schnittstellenproblemen des Rehabilitationsverfahrens u.a. Vorschläge zur Verbesserung der Zusammenarbeit und Abstimmung im Einzelfall, der Gestaltung der Zusammenarbeit im regionalen Raum, der Klärung von Abgrenzungsfragen im Einzelfall, aber auch bei vergleichbaren Fällen in der Region, Beratung im Einzelfall und Abstimmung der Beratungsinhalte sowie der Gewährleistung eines jeweils aktuellen Wissensstands über die jeweiligen Arbeitsablauforganisationen, das Verwaltungsverfahren und Rechtspraktiken der Träger in einer Region (S. 112). 

Danach ist der gesetzgeberische Handlungsbedarf zur Weiterentwicklung der gesetzlichen Vorschriften zur Gewährleistung individuell bedarfsgerechter, wirksamer Leistungen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderung wissenschaftlich belegt und besteht zweifelsfrei. Insoweit sind die Initiative im Koalitionsvertrag und der vorgelegte Referentenentwurf einer gesetzlichen Regelung zum Fallmanagement nachdrücklich zu begrüßen.

b) Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die um vorgeschlagene Formulierung des § 13a SGB VI zu eng gefasst ist:

aa) Einbezogener Personenkreis

Das Fallmanagement der Rentenversicherung orientiert sich an der Aufgabenstellung der Rentenversicherung und reduziert sich deshalb auf den Personenkreis, der nach § 11 Abs. 1 und 2 SGB VI Anspruch auf Teilhabeleistungen gegen einen Träger der Rentenversicherung hat.

Bezieher einer Erwerbsminderungsrente bzw. einer befristeten Erwerbsminderungsrente sollen nicht anspruchsberechtigt sein. Gerade bei Beziehern einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung könnte ein Fallmanagement während des Rentenbezugs jedoch zur Wiedereingliederung in das Erwerbsleben führen.

Leistungsberechtigte Kinder iSv § 15a SGB VI sollen ebenfalls nicht anspruchsberechtigt sein, obwohl das Ziel der Kinderrehabilitation darin besteht, gesundheitlich eingeschränkten und behinderten Kinder den Zugang zum Erwerbsleben zu fördern, wobei das Fallmanagement gerade mit komplexem und langandauernden Hilfebedarf wirksam wäre.

bb) Nicht erfasster Personenkreis

Abgesehen von der damit verbundenen weiteren Auseinanderentwicklung des rechtskreis- und trägerübergreifenden Rehabilitations- und Teilhaberechts, steht allen Menschen mit Behinderung, die keine Leistungsansprüche gegen einen Träger der Rentenversicherung geltend machen können, ein vergleichbar qualifiziertes Fallmanagement nicht zur Verfügung.

Damit wird für Menschen mit Behinderung ein Betreuungs- und Unterstützungsrecht unterschiedlicher Güte und Qualität, mithin ein „Zwei-Klassen-Recht“ eingeführt.

Da das Fallmanagement mit spezifischen Anforderungen (Abs. 5) als neue Teilhabeleistung eigener Art definiert wird (sie S. 50), dass nur den Berechtigten der Rentenversicherung verfügbar ist, wird nicht nur das Verwaltungsverfahrens- sondern auch das Teilhabeleistungsrecht weiter auseinanderentwickelt. 

Dass Menschen mit einer Behinderung bei exakt identischer Beeinträchtigung ihrer Teilhabe, gleichen Teilhabezielen und individuell gleichem Förder- und Leistungsbedarf nur deswegen unterschiedlich behandelt werden, weil sie durch das gegliederte System unterschiedlichen Sozialleistungsträgern zugeordnet sind, erscheint verfassungsrechtlich bedenklich.

c) Die vorgeschlagene Fassung des § 13a SGB VI wirft aber auch Fragen der Praktikabilität auf:

Die Begründung des Gesetzentwurfs geht u.a. von einer proaktiven Kontaktaufnahme oder einer solchen im Rahmen einer bestehenden Kommunikationsbeziehung aus (S. 48). Beides setzt voraus, dass ein Kontakt besteht oder bereits zustande gekommen ist.

Unstreitig dürfte sein, dass ein betroffener Mensch wesentlich früher und zT auch schon länger Kontakt mit einem anderen Rehabilitationsträger iSd § 6 SGB IX hat, bevor – wenn überhaupt – ein Kontakt zur Rentenversicherung zustande kommt. Danach dürfte sich die Inanspruchnahme des Fallmanagements – gemessen an der Gesamtzahl der Rehabilitations- und Teilhabeverfahren oder auch nur der Verfahren zur Teilhabe am Arbeitsleben – auf eine relativ kleine Zahl beschränken.

Das drücken auch die zur Kalkulation des Erfüllungsaufwandes zugrunde liegenden Zahlen aus (S. 36,37,43 des Entwurfs). Zudem ist den einzelnen Trägern der Rentenversicherung noch ein weitgehendes Ermessen eingeräumt, ob und in welchem Umfang sie das Fallmanagement durchführen wollen (S. 50). 

Danach ist zu erwarten, dass („in Abhängigkeit vom organisatorischen Rahmen“ S. 50) selbst innerhalb der Rentenversicherung mit Blick auf das interne Benchmarking der Verwaltungskostenentwicklung keine einheitliche Rechtsgestaltung und -praxis gewährleistet ist.

d) Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE wäre es vorzugswürdig, dass Ziel der Schaffung einer Rechtsgrundlage für das Fallmanagement in der Rehabilitation direkt im SGB IX, und zwar für alle Rehabilitationsträger verbindlich zu regeln.

Leider belässt es der vorliegende Gesetzentwurf nur bei einem Hinweis in der Gesetzbegründung zu § 13a Abs. 3 SGB VI, wonach im SGB IX noch eine Regelung zu Kooperationsvereinbarungen bei der Zusammenarbeit beim Fallmanagement getroffen werden soll. Dies ist zwar notwendig, aber zu wenig.

Daher wird seitens der BAG SELBSTHILFE vorgeschlagen eine dem § 13a entsprechende Regelung in das Kapitel 6, Abschnitt 2 Beratung als § 32a in das SGB IX einzuführen. Bezüglich der Erarbeitung des erforderlichen Rahmenkonzepts sollte die Aufgabenstellung der Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) in § 39 Abs. 2 SGB IX erweitert werden.

Zu Gewährleistung einer rechtskreisübergreifenden einheitlichen Rechtsanwendung und -praxis könnten die Träger der gesetzlichen Rentenversicherung beauftragt werden, das Fallmanagement für alle Rehabilitationsträger als Auftragsverwaltung durchzuführen. Zur Regelung der Kostenbeteiligung bei Auftragsverwaltung gibt im Sozialrecht hinreichend Beispiele.

2. KI-Nutzung (§ 28p Abs. 8 SGB V) und Datenübermittlungen (§§ 95c SGB VI, 95c SGB IV)

Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist die Ergänzung der KI-Nutzung zur Überprüfung von Meldepflichten sowie ein optimierter Datenaustausch unter Sozialversicherungsträger durchaus zu begrüßen. 

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass gerade die Daten chronisch kranker und behinderter Menschen besonders sensibel sind und dass der Diskriminierungsschutz nur unzureichend ausgestaltet ist. 

Daher ist dem Gesetzentwurf dringend die Schaffung einer sicheren Datenaustauschinfrastruktur vorzusehen, um Datenverluste bzw. die zweckwidrige Datenverwendung durch Dritte auszuschließen.

Düsseldorf, den 20.08.2025

Stellungnahme

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