Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es zwar zutreffend, dass der Steuerung der Hilfesuchenden durch die komplexen Strukturen eine große Bedeutung zukommt. Damit die Autonomie der Patientinnen und Patienten auch in Notfallsituationen gewahrt bleiben kann, muss der Akzent der geplanten Maßnahmen jedoch deutlich stärker auf eine Verbesserung der navigationalen Gesundheitskompetenz gelegt werden- auch durch eine stärkere Transparenz des Systems im Sinne einer organisationalen Gesundheitskompetenz.
Dabei ist aber auch die gesellschaftliche Entwicklung zu berücksichtigen: Viele Menschen kommen aus Versorgungssystemen zu uns, die keine ausgeprägte ambulante Notfallversorgung kennen. Der vorliegende Gesetzentwurf verkennt insoweit die große Bedeutung von Maßnahmen der Aufklärung und der Schaffung von Transparenz hinsichtlich der Zuständigkeitsbereiche.
Eher zweifelhaft ist daher auch, ob die Übernahme der bisherigen Aufgaben der Terminservicestellen im Bereich der Akutvermittlung durch eine neue Akutleitstelle der Kassenärztlichen Vereinigungen einen Fortschritt bringen wird. Zumindest für eine Übergangszeit sollten auch sonntags beide Stellen noch parallel zur Verfügung stehen, da zu erwarten steht, dass es am Anfang noch zu Problemen kommen kann.
Auch die Funktion und Aufgabenstellung der neuen Integrierten Notfallzentralen müssen der Bevölkerung durch anschauliche und laienverständliche Informationen nähergebracht werden. Hier fehlt es an einem Aufklärungskonzept, das flankierend zu Strukturveränderungen aufgelegt werden muss.
Sehr positiv wird seitens der BAG SELBSTHILFE gesehen, dass nunmehr ein Anspruch auf medizinische Notfallrettung als Sachleistung der Gesetzlichen Krankenkassen statuiert werden soll. Dies mildert das Risiko der Betroffenen ab, für einen Rettungseinsatz nachträglich finanziell zur Verantwortung gezogen zu werden, was in den letzten Jahren zunehmend der Fall war. Gleichwohl gibt es weiterhin aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE rechtliche Unsicherheiten, die zum Nachteil der Patient*innen ausgelegt werden könnten.
Im Einzelnen ist zum vorliegendem Gesetzentwurf folgendes auszuführen:
1. Einführung eines Anspruchs auf medizinische Notfallrettung (§ 30 SGB V RefE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die Einführung eines Anspruchs auf medizinische Notfallrettung sehr. Sie hat jedoch Sorge, dass Betroffene weiterhin mit Rechnungen für Rettungsdienstleistungen konfrontiert sein könnten, auch wenn der Gesetzestext und die Begründung dieses Risiko sicherlich minimiert. Zu begrüßen ist in diesem Sinne etwa die Festlegung in der Begründung, dass Leistungen, die im rettungsdienstlichen Notfall erbracht werden, nicht nach dem EBM abgerechnet werden können und die Feststellung in der Einleitung, dass die medizinische Notfallrettung als Sachleistung in der Gesetzlichen Krankenversicherung verankert wird.
Hinsichtlich der eingeführten Legaldefinition besteht jedoch die Gefahr, dass die gewählten Formulierungen wie „aus objektiver Sicht“ und „hinreichende Anhaltspunkte“ und „unverzüglich“ zu Rechtsunsicherheiten führen. Bereits in der Legaldefinition - und nicht erst im Begründungstext - ist daher aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE aufzunehmen, dass ausschließlich eine ex ante Betrachtung maßgeblich ist; zum anderen ist zu definieren, auf wessen objektivierbare Einschätzung abzustellen ist. Nach der Gesetzesbegründung soll „auf einen gut ausgebildeten Durchschnittsdisponent, -notarzt oder -notfallsanitäter in der konkreten Situation“ abzustellen sein. Diese Formulierung ist zu vage und nicht ausreichend. Hier ist damit zu rechnen, dass im Rahmen einer von der Krankenkasse später durchgeführten Überprüfung mit einer Neueinschätzung zu rechnen ist. Dies führt zu einem rechtlichen Risiko, welches dann gerichtlich geklärt werden muss und zu Lasten der betroffenen Patienten ausgetragen werden kann. Dies hält die BAG SELBSTHILFE nicht für akzeptabel. Seitens der Mitgliedsverbände und aus den Ländern hat die BAG SELBSTHILFE leider – nach der derzeitigen Rechtslage - entsprechende Meldungen erhalten, dass es zunehmend große Diskussionen um die Kostenübernahme von Notfalleinsätzen gibt.[1] Der Referentenentwurf sieht zwar entsprechende Definitionen vor, aber die Auslegungen der Kostenträger sind aber oft eine andere Sache. Angehörige oder Anwesende können nicht immer einschätzen, ob und wann ein bedrohlicher Gesundheitszustand ein Notfall ist. Wird die Notfallrettung gerufen und die Ärzte sehen keine Notwendigkeit ihres Einsatzes oder die Pauschalen der Krankenkassen sind zu niedrig veranschlagt, erhalten derzeit die Patienten Rechnungen in Höhe bis zu 3.000,- €, die von den Krankenkassen nicht erstattet werden. Insoweit sollte klargestellt werden, dass eine Fehleinschätzung der Erforderlichkeit eines Rettungseinsatzes nicht zu Lasten der Patient*innen gehen kann und ein Rückgriff ausgeschlossen ist. Die Gesetzesformulierungen müssten dabei auch für Laien und Patienten verständlich, transparent und nachvollziehbar sein. Die Klärung, ob eine notdienstliche Akutversorgung notwendig ist, darf und sollte nicht auf Kosten der Patienten getroffen werden.
Bedenken bestehen auch im Hinblick auf § 30 Abs. 5 SGB V n.F., soweit der Notfalltransport ausschließlich einen Transport in die „grundsätzlich nächste geeignete Versorgungseinrichtung“ umfasst. Hier ist sicherzustellen, dass neben rein medizinischen Gesichtspunkten auch der Patientenwille Berücksichtigung finden muss im Hinblick auch auf die Versorgung durch Angehörige. Dies ist umso notwendiger, als nach Berichten aus der Praxis die Angehörigen im Krankenhaus schon teilweise pflegerische Aufgaben wie Waschen übernehmen.
Transporte gehen bereits heute schon vielfach in die nächstmögliche geeignete Versorgungseinrichtung, die überhaupt Kapazitäten hat. Hier wird Regressen Tür und Tor geöffnet und wird letztlich auf dem Rücken auch der Patienten ausgetragen. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, durch eine rechtssichere Gesetzgebung derartige Rechtsstreitigkeiten bereits im Vorfeld auszuräumen. Dem entspricht diese Regelung nicht.
Auch hinsichtlich der neu geschaffenen Regelungen zur digitalen Vernetzung der Leistungserbringer der medizinischen Notfallrettung haben wir Bedenken. Es handelt sich um komplexe Regelungen, die zum einen in der Umsetzung weiteres Personal binden werden, aber auch in der praktischen Umsetzung äußert komplex erscheinen. Im Hinblick auf die bereits bestehenden Erfahrungen mit der ePA möchten wir darauf hinweisen, dass die Gewährleistung des Datenschutzes zu jedem Zeitpunkt gesichert sein muss.
Auch sollte von einer Zuzahlung nach § 30 Abs.6 SGB V abgesehen werden. Die Regelung nach § 30 Abs.6 S.3 SGB V (einmalige zuzahlungspflichtige Leistung) ist zu unpräzise. Das Wort „unmittelbar“ sollte hier gestrichen werden.
2. Fahrtkosten, Krankentransporte, Krankenfahrten (§ 60 SGB V RefE)
Die BAG SELBSTHILFE nimmt zu den einzelnen inhaltlichen Änderungen in diesem Bereich Stellung:
a.) Fahrten im Rahmen des Entlassmanagements (Absatz 2 Nr. 2b)
Bei der Verlegung zur Behandlung im Rahmen des Entlassmanagements nach § 39 Abs. 1a SGB V ist aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE unklar, was genau ein nächsthöheres Krankenhaus ist (Bezugnahme auf § 135d Abs. 4?) und welche „Behandlung“ hier gemeint ist. Denn das Entlassmanagement ist zwar von der Krankenhausbehandlung umfasst, aber grundsätzlich geht es hier doch vielmehr auch um die Einleitung einer nahtlosen Versorgung im ambulanten Bereich. Und auch eine stationäre Anschlussversorgung ist ja keine Behandlung im Rahmen des Entlassmanagements, sondern nach wie vor eine stationäre Versorgung, die nur im Zuge der perspektivischen Umsetzung des Entlassmanagements in die Wege geleitet wird.
Soweit es hier ggf. um das Assessment des Bedarfs gehen soll im Sinne von § 3 Absatz 2 der Rahmenvereinbarung zum Entlassmanagements, kann es ja nicht Ziel sein, dass Patienten nur dafür verlegt werden, sondern der Rahmenvertrag zum Entlassmanagement weist darauf hin, dass dieses Assessment frühestmöglich im Zusammenhang mit dem Entlassplan erfolgen soll, siehe die entsprechenden Regelungen des Rahmenvertrages (https://www.gkv-spitzenverband.de/media/dokumente/krankenversicherung_1/amb_stat_vers/entlassmanagement/KH_Rahmenvertrag_Entlassmanagement_Lesefassung_i_d_F_2._AendVb_12.12.2018.pdf).
Insgesamt birgt die Regelung aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE zudem die Gefahr, dass eine zu frühzeitige Verlegung angestrebt wird und insoweit für die Patient*innen und ihre Angehörigen eine belastende Verlegungsserie startet; hinzukommt, dass in diesen Fällen dann auch ein eingeleitetes Entlassmanagement in einem Krankenhaus abgebrochen bzw. erst gar nicht eingeleitet wird; das Entlassmanagement des 2. Krankenhauses wiederum kann dann etwa eine Reha nur zu spät einleiten.
Praktisch besteht aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE besteht bei der Verlegung zum Entlassmanagement das Risiko, dass Patient*innen in die Geriatrie oder nach Level 1i verlegt werden und damit die gesamte Verantwortung an diese verlagert wird. So unterbleibt dann u.U. auch eine frühzeitige Mobilisierung im Ursprungskrankenhaus, weil ja andere für die Überleitung in die ambulante Versorgung zuständig sein sollen. Angesichts der immer noch unzureichenden Digitalisierung besteht zudem das Risiko, dass medizinische Informationen aus der eigentlichen behandelnden Klinik verloren gehen.
Ein QS-Verfahren Entlassmanagement, wie es etwa die Patientenvertretung beantragt hat, dürfte damit endgültig nicht mehr durchführbar sein, da unklar ist, wem dann die schlechte Qualität zugeschrieben werden soll.
b.) Fahrten zu einer ambulanten Operation (Absatz 2 Nr. 3 c)
Hier übernimmt das BMG aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE eine Regelung, die bereits in der G-BA KT-RL steht (Beschluss vom 21.09.2017) und die eigentlich abgeändert werden sollte.
Denn dadurch übernimmt das BMG leider auch die entsprechende Voraussetzung „wenn dadurch ein aus medizinischen Gründen erforderlicher vollstationäre oder teilstationäre KH-Behandlung im Sinne von § 39 Abs. 1 vermieden werden kann.“ Die Regelung wurde damals aufgrund der Rechtsprechung eingeführt und betrifft leider nur die echte stationsersetzende Behandlung. Sie hat im Ergebnis zu Folge: Wenn die Krankenhaus-Behandlung nach § 39 Absatz 1 gar nicht erforderlich ist, weil die OP eben ambulant durchgeführt werden kann, vermeidet der Patient auch keine Krankenhaus-Behandlung und hat kein Anspruch auf Krankenfahrt. Voraussetzung für eine ambulante OP ist aber, dass sie ambulant durchführbar ist. Im Ergebnis hat der Patient dann – entgegen des Gesetzeswortlauts – eben regelmäßig keinen Anspruch auf Kostenersatz.
c.) Fahrt zur ambulanten Behandlung bei zwingender medizinischer Erforderlichkeit (Absatz 2 Nr. 4a)
Sehr zu begrüßen ist die Neuregelung nach Absatz 3 Nr. 4a hinsichtlich des Gesetzestextes, allerdings nicht hinsichtlich der Begründung: Nach dem Wortlaut des Gesetzestexts müssen a) und b) nicht kumulativ („oder“) vorliegen, sondern es reicht die zwingende Erforderlichkeit allein. § 8 Abs. 1 S. 1 KT-RL verlangt ja aktuell beides: Eine zwingende medizinische Erforderlichkeit sowie einen besonderen Ausnahmefall.
Die Gesetzesbegründung ist dazu ist jedoch nicht ganz eindeutig. Einerseits wird ausgeführt, dass eben nicht an die Vermeidung von stationärer Behandlung angeknüpft werden soll. Andererseits steht dann weiter, dass an die Ausnahmetatbestände der G-BA-RL eben doch angeknüpft werden soll – eventuell soll sich dies aber auch auf 4b beziehen; dies wird aber in der Begründung nicht ganz klar. Eine Einbeziehung der Passage der Ausnahmetatbestände auf 4a würde dem Gesetzeswortlaut mit der „oder“-Verknüpfung widersprechen, weswegen um Klarstellung gebeten wird.
d.) Fahrten zur Versorgung im INZ nach digitaler Abfrage (Abs. 2 Nr. 5)
Soweit nach Ziffer 5 neu eingeführt werden soll, dass die Kosten für Fahrten zur Versorgung im INZ übernommen werden, sofern die Entscheidung auf Grundlage des Gesundheitsleitsystems durch digitale Abfrage erfolgt ist, ist dies grundsätzlich zu begrüßen. Allerdings wird in der Gesetzesbegründung an dieser Stelle thematisiert, dass hier disponiert werden kann und auch Fahrten übernommen werden können, bei denen kein rettungsdienstlicher Notfall vorliegt, aber ein Transport geboten ist und dabei auch berücksichtigt werden könne, ob der Patient sich in der Öffentlichkeit befinde, Wetterbedingungen ausgesetzt sei oder Fahrten von Dritten übernommen werden könnten und insoweit Kooperationen möglich seien. Bereits aus Gründen der Transparenz und Rechtssicherheit erscheint es befremdlich, diese Möglichkeiten ausschließlich im Begründungstext aufzuführen. Nicht abzuschätzen vermögen wir aktuell die Auswirkungen dieser Dispositionsmöglichkeiten auf die betroffenen Patienten. Soweit das Ersteinschätzungsverfahren im Gesundheitsleitsystem verbindlich die ärztliche Entscheidung ersetzt, bestehen grundsätzlich Bedenken. Zwar kann hierdurch u.U. bürokratischer Aufwand vermieden werden, jedoch darf dies nie zu Lasten der Patienten(-sicherheit) gehen.
e.) Zuzahlungen
Aus diesseitiger Sicht sollten die Regelungen zur Übernahme von Fahrkosten grundlegend geändert werden und hier gerade für chronisch kranke Menschen keinerlei Zuzahlungen anfallen. Die Fahrkosten sollten für diesen Personenkreis vollständig von der GKV übernommen werden. Hier ist zu berücksichtigen, dass die bestehenden und nunmehr geänderten Regelungen derart komplex sind und einen sehr hohen Bürokratieraufwand darstellen, wodurch – nicht vorhandenes Personal – gebunden wird. Hier sind erhebliche Einsparpotenziale durch Reduzierung der Bürokratiekosten auch in den Krankenversicherungen zur Gegenfinanzierung zu erzielen.
3. Sicherstellungsauftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen (§ 75 SGB V RefE)
Aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE erscheint die Konkretisierung des Sicherstellungsauftrages der KVen grundsätzlich sinnvoll. Bedenken bestehen jedoch im Hinblick auf den Fachkräftemangel und die Sicherstellung der Regelversorgung im ländlichen Bereich, insbesondere mit Blick auf Erfahrungen hinsichtlich der Qualifizierung der eingesetzten Personen. Aktuell ist nicht sichergestellt, dass eine hinreichende Qualifizierung durchgängig vorhanden ist - sowohl hinsichtlich des Alters als auch hinsichtlich der bestehenden Sprachkompetenz.
Sofern eine 24/7 aufsuchende Versorgung insbesondere für immobile/pflegebedürftige Patienten angestrebt wird, begrüßt die BAG SELBSTHILFE dies sehr. Risiken sehen wir jedoch hier weiterhin bezüglich der Ermöglichung, den aufsuchenden Dienst durch die Einbindung von nichtärztlichem Personal und dem Rettungsdienst sicherzustellen und die ärztliche Kompetenz durch eine telemedizinische Anbindung zu gewährleisten – gerade beim aufsuchenden Dienst ist die ärztliche und kommunikative Kompetenz oftmals sehr gefordert. Zudem bleibt unklar, welche Berufe oder Kompetenzen in Betracht kommen sollen.
Da die Einzelheiten hierzu im Rahmen der Delegations-Vereinbarung noch festgelegt werden sollen, sind die Regelungen an dieser Stelle zu unspezifisch. Eine Stärkung sowie der Ausbau der Regelversorgung wären hier vorrangig zu prüfen und umzusetzen. Die übliche Übertragung an die Selbstverwaltung führt erneut zu massiven Unterschieden zwischen einzelnen KV-Bereichen und zu einem bundesweiten Flickenteppich hinsichtlich der Qualität. Hier muss stärker reguliert werden, um ein gleichwertiges Niveau des Angebots zu garantieren. Eine Evaluation ist ebenfalls dringend nötig und festzuschreiben. Ebenfalls hält die BAG SELBSTHILFE eine Patientenbeteiligung an den Beratungen der Partner des Bundesmantelvertrages für geboten.
a.) Verringerung des Angebotes der Terminservicestellen (§ 75 Absatz 1a SGB V)
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE hält es für schwierig, dass die Terminservicestellen in Zukunft nicht mehr am Sonntag zur Verfügung stehen sollen. Dies wird unter Verweis auf die Schaffung der Akutleitstellen begründet; erfahrungsgemäß führen derartige Strukturänderungen jedoch anfangs zu erheblichen Schwierigkeiten, weswegen ein Gleichlauf beider Angebote – zumindest für die Anfangszeit – befürwortet wird. Zudem dürfte es dazu auch erheblichen Aufklärungsbedarf bei der Bevölkerung geben (s.u.).
b.) Konkretisierung des Sicherstellungsauftrages der Kassenärztlichen Vereinigungen bei der Akutversorgung (§§ 75 Absatz 1b ff. SGB V)
Die geschilderte Neuregelung wird seitens der BAG SELBSTHILFE grundsätzlich begrüßt. Allerdings fehlen im Gesetzentwurf Maßgaben, die sicherstellen, dass Qualität der telemedizinischen notdienstlichen Versorgung nicht hinter der notdienstlichen Präsenzversorgung zurückbleibt.
Entsprechendes gilt für die geplante Neuregelung, dass den Kassenärztlichen Vereinigungen ermöglicht werden soll den aufsuchenden Dienst durch die Einbindung von qualifiziertem nichtärztlichem Personal oder durch Kooperationen mit dem Rettungsdienst zu entlasten und für das telemedizinische Angebot Kooperationen untereinander und mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung einzugehen.
Auch bleibt abzuwarten, wie der neu formulierte Sicherstellungsauftrag tatsächlich nachhaltig flächendeckend umgesetzt wird.
c.) Akutleitstelle (§ 75 Abs. 1c SGB V)
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist es zwar nachvollziehbar, dass die allgemeinen Aufgaben der Terminservicestellen und die Notfallsteuerung unterschiedliche Anforderungen mit sich bringen. Sollen nun aber die entsprechenden Rufnummern voneinander entkoppelt werden, dann ruft dies einen intensiven Aufklärungsbedarf der Bevölkerung hervor. Der vorliegende Gesetzentwurf lässt Maßnahmen vermissen, die diesen Bedarf abdecken sollen.
Ferner räumt der Gesetzentwurf selbst in seiner Begründung ein, dass es zu Überlastungen der telefonischen Akutleitstelle (Prozentzahlen zur unmittelbaren Erreichbarkeit) kommen kann. Dies ist höchst bedenklich und im Hinblick auf die Patientensicherheit inakzeptabel.
4. Ergänzung der erweiterten Landesausschüsse und Erweiterung des Aufgabenspektrums (§ 90 SGB V RefE)
Die BAG SELBSTHILFE begrüßt die vorgesehene Ergänzung der erweiterten Landesausschüsse um Vertreter*innen der Länder, der Landeskrankenhausgesellschaften und ggf. der Rettungsdienste und die Erweiterung des Aufgabenspektrum auf die Einrichtung der Integrierten Notfallzentren. Sie hält es für sinnvoll und sachgerecht, dass teilweise die Aufgaben zur Ausgestaltung des § 123 SGB V von einem Gremium übernommen werden, in dem Patientenbeteiligung vorgesehen ist und für das im Grundsatz auch eine hinreichende Unterstützungsstruktur gesetzlich vorgesehen ist. Gleichzeitig ist jedoch zu bedenken, dass große Teile der Schaffung der Zusammenarbeit der Notdienstpraxen mit den INZ durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen festgelegt werden, an denen keine Patientenbeteiligung besteht (§ 123a Abs. 4 SGB V RefE). Hier sollte Patientenbeteiligung oder zumindest ein Stellungnahmerecht der Patientenvertretung bzw. eine Beteiligung an der Schiedsstelle nach § 89a Abs. 2 vorgesehen werden.
Da dort jedoch die Anzahl der Vertreter*innen der Leistungserbringer nicht mehr der Anzahl der Vertreter*innen der Krankenkassen entsprechen soll und die Stimmen der Krankenkassenvertreter*innen doppelt zählen sollen, tritt die BAG SELBSTHILFE auch für eine Erhöhung der Sitze der Patientenvertretung nach § 140 f SGB V ein.
5. Integrierte Notfallzentren – Grundsätzliches (§ 123 SGB V RefE)
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE ist grundsätzlich gegenüber der Schaffung einer sektorübergreifenden neuen Notfallversorgungsstruktur nichts einzuwenden.
Erhebliche Bedenken bestehen jedoch hinsichtlich der Idee, dass die Ersteinschätzung ohne ärztliche Kompetenz bzw. nur mit Beratungsärzten im Hintergrund erfolgen soll. Ohne umfangreiche, mehrjährige Erfahrung mit Patienten mit teilweise multiplen Krankheitsbildern ist eine qualitativ hochwertige Versorgung und Ersteinschätzung unseres Erachtens nicht durchführbar. Bedenken bestehen bezüglich der Umsetzung der Verzahnung der verschiedenen Zweige und der Weiterbehandlung nach Einschätzung der Ersteinschätzungsstelle. Diesseits halten wir es für dringend notwendig, dass auch die Patienten eingebunden werden, u.a. durch Einbeziehung der Selbsthilfe nach § 140f SGB V der einschlägigen Indikationen.
Klargestellt werden sollte zudem hinsichtlich der Weiterverweisung an die verschiedenen Ebenen, dass auch an Kliniken angeschlossene Ambulanzen, z.B. MS-, Rare-Diseases, Onko-Ambulanzen, als Kooperationspraxen in Frage kommen. Sofern nämlich der Verdacht auf derartige Diagnosen besteht und die Zentren ebenfalls 24 Stunden bzw. 12 Stunden 7 Tage verfügbar sind, wäre eine schnelle Weiterleitung sogar eher wünschenswert, um die Diagnostik zu beschleunigen. Dies sollte jedoch in der Begründung noch erwähnt werden.
Soweit die Verantwortung für die Einrichtung der zentralen Ersteinschätzungsstelle grundsätzlich dem Krankenhaus obliegt, abweichende Vereinbarungen jedoch möglich sind, sieht die BAG SELBSTHILFE dies kritisch. Dies kann zu einem Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen in den Versorgungsregionen führen, der für Patienten intransparent ist. Soweit Kooperationsmöglichkeiten vorgesehen sind, haben wir Bedenken. Die Vorgaben zur „Weiterbehandlung“ nach der Ersteinschätzung sind zudem unpräzise und es besteht die Gefahr, dass der Patient letztlich zwischen die verzahnten Strukturen gerät und die Zeit zur Weiterbehandlung sich verlängert.
Aufgabenstellungen und Versorgungspfade müssen den Bürgerinnen und Bürgern aber transparent gemacht werden. Hierzu fehlen im vorliegenden Gesetzentwurf die notwendigen Maßgaben für die Aufklärung der Bevölkerung.
Risikobehaftet ist allerdings, dass der Gesetzentwurf die Schaffung von zentralen Ersteinschätzungsstellen in den integrierten Notfallzentren ohne eine vorherige Erprobung vorsieht.
Wie bereits dargestellt ist dabei fraglich, ob in diesen Einschätzungsstellen tatsächlich vollumfänglich die notwendige interdisziplinäre Expertise zur Ersteinschätzung vorhanden ist. Insbesondere die besonderen Belange von Menschen mit Behinderungen (§ 2a SGB V) werden schwerlich adäquat berücksichtigt werden können.
Vor diesem Hintergrund hält die BAG SELBSTHILFE es auch für utopisch, digitale Ersteinschätzungsinstrumente als künftiges Kernelement der Versorgungssteuerung in den Ersteinschätzungsstellen anzusehen.
Ohnehin muss der Aspekt der Pateientenautonomie auch und gerade in Notfallsituationen gewahrt bleiben.
Die Möglichkeit der Abgabe von Arzneimittel sowie Krankschreibungen durch die Notaufnahme/Notdienstpraxis eines INZ/KINZ ist positiv, da es den Patienten weitere Wege erspart.
6. Standortdichte der Integrierten Notfallzentren (§ 123 Abs. 1 SGB V RefE)
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass die neu zu schaffende Integrierten Notfallzentren für mindestens 95 % der Bevölkerung innerhalb von 30 Fahrzeitminuten in einer Planungsregion erreichbar sein sollen. Die BAG SELBSTHILFE ruft in Erinnerung, dass es vorliegend um die Notfallversorgung geht, so dass ein Zeitverzug allein für die Erreichung des Zentrums von 30 Fahrminuten schon inakzeptabel ist.
Zu fragen ist aber auch, was denn mit den 5 % der Bevölkerung geschehen soll, für die ein Notfallzentrum nicht einmal innerhalb von 30 Fahrminuten erreichbar ist.
Eine ambulante organisierte Auffangstruktur ist hier unabdingbar. Fraglich ist, ob die so genannte Akutleitstellen hier für eine zeitnahe Versorgung durch die notdienstliche Akutversorgung sorgen können.
7. Digitales Ersteinschätzungsprogramm (§§ 123 Absatz 2 S. 3, 123c SGB V)
Im Grundsatz ist es zu begrüßen, dass das digitale Ersteinschätzungsprogramm mit Patientenbeteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss erstellt werden soll. Sehr positiv wird auch gesehen, dass die Bedarfe von Kindern, Menschen mit Behinderung und psychisch Erkrankten in der Richtlinie zu berücksichtigen sind.
Allerdings stellt sich die Frage, ob der Gemeinsame Bundesausschuss hier im Bereich der digitalen Instrumente über die notwendigen Erfahrungen verfügt; zumindest eine Mitwirkung des BfArM sollte vorgesehen werden.
8. Akutleitstelle und Integriertes Notfallzentrum (§ 123 Abs. 2 Satz 7 SGB V RefE)
Der vorliegende Gesetzentwurf sieht vor, dass Hilfesuchende, die das Integrierte Notfallzentrum im Rahmen einer telefonischen Vermittlung durch die Akutleitstelle aufsuchen, dort vorrangig bei gleicher Behandlungsdringlichkeit zu behandeln sind.
Aus Sicht der BAG SELBSTHILFE öffnet diese Vorschrift der Willkür vor Ort Tür und Tor, da sie an nicht klar nachprüfbare Sachverhalte anknüpft. Eine Triage unter Sympathiegesichtspunkten darf es aber nicht geben.
Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass es nicht die Schuld der Bürgerinnen und Bürger sein kann, wenn keine Transparenz hinsichtlich der Patient Pathways in der Notfallversorgung besteht.
Intensive Aufklärungsmaßnahmen sind erforderlich, insbesondere für Menschen, in deren Heimat es gar keine ausgeprägte ambulante Versorgung gibt. Die Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen könnten hier – bei entsprechender Finanzierung – äußerst hilfreiche Informations- und Beratungsangebote bereitstellen. Dies wäre im Endeffekt weitaus kostengünstiger.
9. Gesundheitsleitsystem (§§ 133 a- c SGB V RefE)
Die BAG SELBSTHILFE hat die Besorgnis, dass für normierten digitalen Kooperationsmöglichkeiten sehr komplex, intransparent und vor dem Hintergrund der Datensicherheit risikobehaftet erscheinen. Es stellt sich insgesamt die Frage, ob die Schaffung einer Akutleistelle der KV im Rahmen der Akutfallvermittlung neben der Terminservicestellen grundsätzlich dazu geeignet ist, einer Fehlsteuerung entgegenzuwirken. Eine Verzahnung/Zusammenführung aller bereits vorhandenen Strukturen würde aus diesseitiger Sicht vielmehr Sinn machen. Dies allerdings nur dann, wenn hier technisch und organisatorisch tatsächlich alles aufeinander abgestimmt wird. Der Personalproblematik (mangelndes Fachpersonal) wird damit aber in Spitzenzeiten wegen akuten Ausfällen unseres Erachtens nicht abgeholfen.
Hinsichtlich des Gremiums in § 133b fordert die BAG SELBSTHILFE Patientenbeteiligung, da es sich um ein zentrales Thema der Patientensteuerung handelt und hier praktische Erfahrungen aus der Patientenvertretung wichtig und notwendig sind.
Düsseldorf, 4. Dezember 2025
[1] Siehe auch entsprechende Zeitungsberichte: https://www.wa.de/lokales/boenen/rettungsfahrten-krankenkassen-kuerzen-zahlungen-patienten-sollen-1000-euro-vorstrecken-94065553.html; https://www.bz-berlin.de/brandenburg/rettungseinsatz-kosten