Stellungnahme zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung

Stellungnahme der BAG SELBSTHILFE zu den Änderungsanträgen der Fraktionen

 

CDU/ CSU und SPD zum Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG), dem Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN „Die Pflegeversicherung verlässlich und solidarisch gestalten – Die doppelte Pflegegarantie umsetzen“ und dem Antrag der Fraktion DIE LINKE „Solidarische Pflegevollversicherung umsetzen“

 

-Anhörung im Ausschuss für Gesundheit des Deutschen Bundestages am 7. Juni 2021 -

 

Als Dachverband von 117 Bundesorganisationen der Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen und von 12 Landesarbeitsgemeinschaften begrüßt die BAG SELBSTHILFE zwar die Zielsetzung der Anträge, die kontinuierliche Steigerung der Eigenanteile der Pflegebedürftigen für die Pflegekosten eines Pflegeheimplatzes abzumildern. Gleichzeitig bedauert sie nachdrücklich, dass die vorgesehene Lösung nicht zu einer wirklichen Entkoppelung der der sinnvollen tariflichen Erhöhungen und der Eigenanteile der Pflegebedürftigen kommt und die vorgesehenen Erleichterungen nur zu einem geringen Teil ab dem ersten Jahr gelten. Ob eine Entlastung von 5 Prozent wirklich geeignet ist, die möglichen Tarifsteigerungen, die unmittelbar auf die Eigenanteile der Betroffenen durchschlagen, aufzufangen, dürfte höchst zweifelhaft sein. Diese Frage lässt sich aber auch deswegen nicht beantworten, weil derzeit unklar ist, ob die Regelung zur tariflichen Bezahlung der Pflegekräfte wirklich relevante Auswirkungen auf die die Mehrzahl der Pflegekräfte hat. Denn in vielen Fällen dürften Pflegekräfte zumindest aufgrund eines Haustarifvertrages beschäftigt sein oder ein solcher wird möglicherweise dann geschlossen; ob dieser dann auch wirklich ein entsprechend gewünschtes Lohnniveau sichert, dürfte die andere Frage sein. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig einzuschätzen, ob die Regelung überhaupt geeignet ist, die gewünschten Lohnsteigerungen zu erzeugen; andererseits wird diesseits befürchtet, dass auch bei fehlenden Lohnsteigerungen der Pflegekräfte Erhöhungen der Eigenanteile vorgenommen werden und so die Entlastungen eher in der Rendite der Pflegeheime landen als bei den Pflegekräfte. So wurden bei der letzten großen Pflegereform zur Aufnahme der Menschen mit kognitiven Einschränkungen in die Pflegeversicherung vielerorts Erhöhungen beobachtet, die an sich nicht wirklich mit den Neuregelungen begründbar waren. Hier sollten mindestens Vorkehrungen gegen solche Strategien getroffen werden, etwa über Renditebegrenzungen für Pflegeheimbetreiber oder stärkere Kontrollen.

Insgesamt bleiben die vorgesehenen Regelungen leider weit hinter der notwendigen Reform der Pflege zurück, die im stationären Bereich

  1. eine Pflegevollversicherungen bzgl. der pflegebedingten Eigenanteile enthalten sollte; in einem Zwischenschritt sollte eine Entkoppelung der Löhne der Pflegekräfte von den Eigenanteilen der Betroffenen durch einem festen gedeckelten Betrag stattfinden, der ja schon im sog. Eckpunktepapier und den Anträgen der Fraktionen BÜNDNIS 90// DIE GRÜNEN und DIE LINKE vorgesehen war bzw. ist
  2. eine stärkere Kontrolle der Kosten für Unterkunft und Verpflegung enthalten sollte, da diese Kosten nicht immer nachvollziehbar bzw. durch echte Kostensteigerung zu begründen sind
  3. eine vollständige Übernahme der Investitionskosten durch die Länder enthalten sollte, in einem Zwischenschritt eine schrittweise Übernahme mit entsprechender Kontrolle der Berechnung der Investitionskosten

Für den ambulanten Bereich sollte eine echte Pflegereform neben einer kommunalen Anbindung der Pflege eine kontinuierliche Dynamisierierung der Leistungen enthalten; diese ist jedoch im vorliegenden Entwurf nur in Form der Erhöhung der Leistungsbeträge bzgl. der Pflegesachleistungen und der Tagespflege um 5 bzw. 10 Prozent, nicht jedoch bzgl. des Pflegegeldes enthalten. Die Erhöhung ist zwar sehr zu begrüßen, beinhaltet aber keine längerfristige Dynamisierung der Leistungen, die eigentlich notwendig wäre, um Inflation und Kostensteigerungen abzufangen.

Damit beinhaltet die vorgesehene Reform auch das Risiko, dass den Pflegebedürftigen im ambulanten Bereich durch tarifliche Erhöhungen nach dem Aufbrauchen der 5/ 10 Prozent Erhöhung bzgl. der Pflegesachleistungen und der Tagespflege immer weniger Leistungen zur Verfügung stehen und sich dadurch die ohnehin dort bestehende Unterversorgung weiter verschärft. Hier wäre es dringend erforderlich, eine kontinuierliche Dynamisierung der Leistungen vorzusehen, wie sie ja auch bereits im Eckpunktepapier vorgesehen war, um ein Ausbrennen der pflegenden Angehörigen zu vermeiden. Zu ihrer Entlastung sollten zudem Flexibilisierung der verschiedenen Leistungsangebote im Sinne eines Pflegebudgets vorgesehen werden; explizit abgelehnt werden jedoch die in einem früheren Arbeitsentwurf enthaltenen, nun aber offenbar aufgegebenen faktischen Kürzungen dieser Entlastungsangebote. Die für die pflegenden Angehörigen extrem wichtigen Angebote der Tages- und Verhinderungspflege dürfen insoweit nicht angetastet werden.

Auch das Thema Investitionskosten wurde leider im Entwurf – im Gegensatz zum Eckpunktepapier zur Pflegereform und dem Antrag der Fraktion DIE LINKE – nicht berücksichtigt. Dies ist umso unverständlicher, als die Übernahme der Investitionskosten zu Beginn des Aufbaus der Pflegeversicherung wegen der Entlastung der Sozialhilfe klar von den Ländern übernommen werden sollte. Dies ist nie wirklich geschehen, vielmehr übernehmen derzeit kaum noch Länder Beiträge zur Investitionskostenfinanzierung mit der Folge, dass die Betroffenen auch diese Kosten übernehmen müssen, obwohl diese an sich als Kosten der Daseinsvorsorge von den Ländern zu übernehmen sind. Im Grunde bezahlen die Pflegebedürftigen zwei Mal die Investitionskosten- einmal über ihre Steuern und das andere Mal direkt an das Pflegeheim; im Übrigen ist dies ähnlich wie bei der – unzureichenden - Investitionskostenfinanzierung der Länder bei den Krankenhäusern. Hier hätte die Übernahme eines Teils der Kosten durch die Länder für die Investitionskosten der Pflegeheime zumindest ein Einstieg in die an sich gebotene vollständige Übernahme der Kosten durch die Länder sein können.

Dabei darf zudem nicht aus dem Blick geraten, dass die Betroffenen nach wie vor die Kosten für Unterkunft und Verpflegung weiterhin zusätzlich zu den Pflegekosten im engeren Sinne und den Investitionskosten schultern. Hier wären aus der Sicht der BAG SELBSTHILFE zumindest Kontrollmechanismen durch unabhängige Stellen einzuführen, da oft der Eindruck besteht, dass diese Kosten oft nicht mehr wirklich durch die tatsächlich anfallenden Kosten erklärbar sind.

Insgesamt hält die BAG SELBSTHILFE die vorgesehenen Maßnahmen zur Entlastung der Pflegebedürftigen und Verbesserung der Personalausstattung in Pflegeheimen zwar größtenteils für sehr sinnvoll und begrüßenswert; sie bleiben jedoch weit hinter der Notwendigkeit einer echten Pflegereform zurück, wie sie im Eckpunktepapier und in den Oppositionsanträgen skizziert ist.

Die Stellungenahme zu den Regelungen im Einzelnen entnehmen Sie bitte der Anlage.

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