Selbsthilfe und soziale Medien

Kein einfaches Verhältnis

Das Verhältnis vieler Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen zu Facebook, Twitter und Co ist sehr gespalten. Zum einen wird in der Selbsthilfe durchaus registriert, dass Soziale Medien gerade für jüngere Menschen eine zentrale Rolle im Kommunikationsverhalten spielen. (Nach aktuellen Zahlen nutzen über 98% der unter 30jährigen das Internet, soziale Netzwerke wie Facebook werden von 61% der Nutzerinnen und Nutzer mindestens einmal wöchentlich besucht. (Vgl. ARD/ZDF-Onlinestudie2016 http://www.ard-zdf-onlinestudie.de) Chats und Foren ermöglichen den Austausch über den Umgang mit chronischen Erkrankungen und Behinderungen und befinden sich erwiesenermaßen in einer großen thematischen Nähe zu den Austausch- und Informationsangeboten der Selbsthilfe. Schon aus diesem Grund besteht durchaus Einigkeit, dass man in der Selbsthilfearbeit der Zukunft an den Sozialen Medien nicht vorbei kommt.

Diese Medien erscheinen auch deshalb als attraktiv, weil sie eine Möglichkeit eröffnen, Informationen zu Erkrankungen und Behinderungen, aber auch zu Veranstaltungen und Publikationen der Selbsthilfe zu streuen und nicht zuletzt auch neue Mitglieder zu gewinnen. Andererseits fehlt bei vielen Verantwortlichen in der Selbsthilfe noch das Knowhow im Umgang mit den „Neuen Medien“. Außerdem ist es für viele äußerst abschreckend, dass Soziale Medien wie Facebook offenbar gerade keinen gesteigerten Wert auf die Vertraulichkeit von Daten oder die sachliche Richtigkeit von Forumsbeiträgen legen. Ein vertrauensvoller Austausch in einem Umfeld, in dem die Useridentität mit der realen Person nichts zu tun haben muss und in dem sich die Beteiligten jederzeit ein- und ausloggen können, ist mit dem Miteinander in der Selbsthilfe schlichtweg unvereinbar. Die fehlende Barrierefreiheit der meisten Angebote stellt ein weiteres Problem dar.

Vor diesem Hintergrund werden Soziale Medien vielfach sogar als Bedrohung für den Selbsthilfegedanken angesehen. Dies führt nicht selten zu einer Grundhaltung, wonach man über Aufklärungsarbeit zu den Gefahren im Netz einen kritischen Umgang mit den „Neuen Medien“ bei den eigenen Mitgliedern anmahnen muss. Selbsthilfe und Soziale Medien gelangen so geradezu in einen Gegensatz, wenn nicht sogar in erbitterte Gegnerschaft.

Chancen

Gleichwohl sind soziale Netzwerke heute zu einem bedeutenden Bereich der Kommunikation in unserer Gesellschaft geworden. Da die Selbsthilfearbeit im Wesentlichen auf der Kommunikation unter Betroffenen beruht und da Selbsthilfe nur über Kommunikation potentiell Interessierte erreicht, wird die Kommuni-kation über und in sozialen Netzwerken in Zukunft nicht aus der Selbsthilfearbeit wegzudenken sein. Der Fokus liegt daher aktuell vor allem auf der Wissensvermittlung im Umgang mit Facebook und Co. und auf dem Abbau von Berührungsängsten zu den sog. Neuen Medien.

Künftig werden sich aber mehr und mehr Personen in der Selbsthilfe engagieren, die auch privat Soziale Medien nutzen und die daher sowohl die Affinität zum Internet als auch das Knowhow zu sozialen Netzwerken mit in die Selbsthilfearbeit einbringen werden.

Die Chance für die Selbsthilfe besteht darin, in Sozialen Medien auf ihre Arbeit aufmerksam zu machen, aber gleichzeitig darauf zu achten, den Austausch untereinander nicht in die Sozialen Medien zu verlagern, sondern Menschen, die man dort für die Selbsthilfe interessieren kann, ganz gezielt für die eigenen (internetbasierten) Angebote zu gewinnen.

In organisatorischer Hinsicht wird man nicht umhin können, das Social Media Management in den Verbänden fest zu verankern, Redaktionsteams und Webscouts zu qualifizieren und eine Verzahnung mit den traditionellen Selbsthilfeaktivitäten vorzunehmen.

Die Zusammenarbeit der Selbsthilfeorganisationen untereinander birgt perspektivisch eine weitere Chance: Koordiniert man das Auftreten in sozialen Netzwerken, dann kann über gegenseitige Verweissysteme auch die Bedeutung des Themas „Selbsthilfe“ bzw. die Themen der Selbsthilfe erheblich gesteigert werden.

Es bedarf daher künftig einer gemeinsamen Kommunikationsstrategie der Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen im Internet.

Konsequent zu Ende gedacht kann eine solche Entwicklung schließlich zu einem sozialen Netzwerk führen, das die Selbsthilfe selbst nach eigenen Regeln steuert.

Dies ist jedoch ein weiter Weg. Zunächst einmal geht es darum, sich auf einen solchen Weg zu begeben und die bestehenden sozialen Netzwerke konsequent zu nutzen.

Um an diesen Themen konsequent weiterzuarbeiten, hat die BAG SELBSTHILFE ein Netzwerk der Social-Media-Beauftragten der Mitgliedsverbände aufgebaut. Sollten Sie sich sowohl im Bereich der Social Media als auch in der Selbsthilfe engagieren, dann würden wir uns sehr über Ihre Mitarbeit freuen.

Ansprechpartner*innen

Eva Kauenhowen
Tel. 0211-31006-20
E-Mail: eva.kauenhowen@bag-selbsthilfe.de

Marius Schlichting
Tel. 0211-31006-44
E-Mail: marius.schlichting@bag-selbsthilfe.de