Menschen mit Migrationshintergrund für den Austausch in der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe erreichen

Laufzeit: August 2022 – Februar 2024
Förderung: BARMER

Projektbeschreibung

Jeder vierte in Deutschland lebende Mensch hat einen Migrationshintergrund - in der Selbsthilfe sind aber bislang nur wenige davon aktiv. Wie kann die Selbsthilfe es schaffen, diese potentielle Zielgruppe zu erreichen und durch eine interkulturelle Selbsthilfearbeit als aktive Mitglieder in die Organisationen zu integrieren?
Das Leben in Deutschland ist zunehmend durch verschiedene Kulturen, Vielfalt und Vielsprachigkeit geprägt. Unabhängig von Alter und Geschlecht, religiösen, weltanschaulichen, ethnischen und kulturellen Orientierungen und Wertvorstellungen gehören alle Menschen mit oder ohne Behinderung zur deutschen Gesellschaft und machen diese gemeinsam stark. In den letzten Jahrzehnten ist die Diversität innerhalb unserer Gesellschaft durch den demographischen Wandel, Zuwanderungen und die Globalisierung gestiegen. Nach den Erhebungen des Mikrozensus aus dem Jahr 2020 gibt das Statistische Bundesamt an, dass ca. 21,9 Millionen und damit 26,7 % der in Deutschland lebenden Menschen einen Migrationshintergrund haben.

Grundsätzlich sind Menschen mit Migrationshintergrund eher jünger als der Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Allerdings haben die Spätaussiedelnden und die ehemaligen Gastarbeitenden ein relativ hohes Durchschnittsalter und der Anteil der über 60-jährigen Menschen mit Migrationshintergrund wird sich in den kommenden Jahren enorm erhöhen. Bezüglich des Gesundheitszustandes haben verschiedene Studien gezeigt, dass dieser bei Menschen mit Migrationshintergrund im jungen Alter wenig Unterschiede zu dem der übrigen Bevölkerung aufzeigt. Bestimmte chronische Erkrankungen, wie Diabetes mellitus Typ 2, treten aber früher und häufiger auf. Mit zunehmendem Alter verschlechtert sich in dieser Bevölkerungsgruppe das subjektive Gesundheitsempfinden und die Anzahl der Erkrankungen nimmt signifikant im Vergleich mit der deutschen Mehrheitsgesellschaft zu. Der Austausch in der Selbsthilfe und deren Angebote haben daher prinzipiell ein großes Potential gerade für diese Bevölkerungsgruppe. Andererseits haben die Ergebnisse der Projekte „Aktive Mitglieder gesucht“ und „Selbsthilfe der Zukunft“, die die BAG SELBSTHILFE in den Jahren 2016 bis 2021 umgesetzt hat, gezeigt, dass es sich bei Menschen mit Migrationsgeschichte um eine heterogene Gruppe mit ganz unterschiedlichen Bedarfen und Herausforderungen handelt. Die Selbsthilfe ist überdies in vielen Kulturkreisen nicht bekannt und es ist für die Betroffenen oftmals schlicht nicht vorstellbar, sich mit anderen Gleichbetroffenen über sensible Themen, wie eine chronische Erkrankung oder Behinderung, auszutauschen.

Auch bei den Selbsthilfeorganisationen fehlt es oftmals an der notwendigen Bereitschaft, sich auf Menschen mit Migrationshintergrund einzulassen. Gespräche mit den Verbänden, Interviews mit Fachpersonen und Betroffenen und die Analyse von Best Practice Beispielen haben ergeben, dass die Angebote der Selbsthilfe idealerweise Bottom Up gemeinsam mit der Zielgruppe entwickelt bzw. angepasst werden sollten. Beispielsweise ist es je nach Generation wichtig, muttersprachliche Angebote zu ermöglichen. Jüngere Generationen müssen aufgrund ihrer Vertrautheit mit der deutschen Sprache hingegen nicht zwingend über einen mehrsprachigen Flyer erreicht werden. Selbsthilfe, das ist auch die politische Interessensvertretung und das kollektive Agieren für gemeinsame Ziele und Verbesserungen. Während Menschen mit Migrationshintergrund rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung stellen, sind sie als Mitglieder in den Selbsthilfeverbänden, insbesondere in den Gremien der Patientenvertretung, stark unterrepräsentiert. Mit Blick auf die Vielfalt unserer Gesellschaft ist von hoher Relevanz, dass diese Bevölkerungsgruppe mit einer eigenen Stimme in der Interessensvertretung spricht und sich dort einbringt.

Im Rahmen des Projekts „Selbsthilfe der Zukunft“ konnte herausgearbeitet werden, dass Menschen mit Migrationshintergrund oftmals doppelt von Diskriminierungserfahrungen betroffen sind: Als Menschen mit Migrationshintergrund und als Menschen mit einer chronischen Erkrankung/Behinderung. Hierauf gehen die meisten
Selbsthilfeorganisationen in ihrer Arbeit bislang gar nicht ein. Auf der anderen Seite stehen Themen wie „Erkrankung“ und „Behinderung“ oftmals nicht im Fokus der Arbeit von Migrationsorganisationen. Hier gilt es, der Zielgruppe deutlich zu vermitteln, dass die verbandliche Selbsthilfe eine Interessensvertretung im Gesundheitswesen ermöglicht und so einen Zugang zu einer Verbesserung für die Beteiligten ebnet. Die Selbsthilfe ist prinzipiell offen für alle. Die Aktiven sind geübt darin, mit verschiedenen Menschen zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig dabei zu helfen, kompetent und selbstbewusst mit der eigenen Krankheit umzugehen. Es bedarf aber noch einer interkulturellen Öffnung der Arbeit von Selbsthilfeorganisationen, damit deren Potential zur Stärkung der Gesundheitskompetenz und der Selbstmanagement-Fähigkeiten von chronisch kranken und behinderten Menschen auch auf die Gruppe der Menschen mit Migrationshintergrund voll erschlossen werden kann. Daher ist es erforderlich, die Kommunikationsprozesse, die Arbeitsformen und die Angebote der Selbsthilfe interkulturell weiterzuentwickeln, damit auch die Bevölkerungsgruppe der Menschen mit Migrationshintergrund den Austausch in der Selbsthilfe verstärkt bereichern kann.

Das Projekt „Selbsthilfe interkulturell – Menschen mit Migrationsgeschichte in der Selbsthilfe stärken“ setzt hier an und hat zum Ziel, die Angebote der Selbsthilfe für chronisch kranke und behinderte Menschen mit Migrationshintergrund nutzbar zu machen und die Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen in die Lage zu versetzen, ihre eigenen Strukturen und Angebote für eine interkulturelle Selbsthilfearbeit zu öffnen und anzupassen.

Workshop-Reihe „Empowerment in der Selbsthilfe für Menschen mit Migrationsgeschichte“

Im Rahmen des Projekts „Menschen mit Migrationshintergrund für den Austausch in der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe erreichen“ wurde eine Online-Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen, die im ersten Quartal 2024 stattfindet. Es handelt sich hierbei um vier separate Kurse, die sich mit unterschiedlichen Themen befassen. Im Zentrum aller Kurse steht aber das Empowerment von Menschen mit Migrationsgeschichte.

Die vier Online-Kurse finden jeweils am späten Nachmittag statt und richten sich ausschließlich an Menschen mit Migrationsgeschichte, wobei alle Kurse kostenlos sind.

15. Januar 2024: Women´s Empowerment Kurs („WenDo“) (16:00 – 20:00)
„WenDo“ basiert auf der Idee, dass sich Frauen und Mädchen Ihrer eigenen Stärke bewusst sind und diese nutzen, um sich selbst zu verteidigen. Es beinhaltet sowohl physische Techniken zur Abwehr von Angriffen als auch mentale Schulungen, die darauf abzielen, das Bewusstsein für potenzielle Gefahren zu schärfen und die Fähigkeit zu stärken, in gefährlichen Situationen angemessen zu reagieren.

Da Frauen generell und Frauen mit Migrationshintergrund besonders, leider immer noch häufig Opfer von verschieden Formen von Gewalt werden, möchten wir hier einen Safe-Space anbieten, in welchem Techniken erlernt werden können sich gegen physische Übergriffe aber auch gegen jegliche Form von Diskriminierung zu Wehr zu setzen.

Der Kurs wurde von zwei Trainerinnen geleitet, die auf dem Gebiet sehr erfahren sind und sich gezielt auf die Bedarfe unserer Zielgruppe vorbereitet haben.

Dieser Kurs richtete sich ausschließlich an Frauen und Mädchen mit Migrationsgeschichte. 

 

29. Januar 2024: Freies Sprechen und sicheres Auftreten (17:00 – 19:30)
In verschiedenen Projekten hat sich herausgestellt, dass viele Selbsthilfeaktive, im speziellen aber Menschen mit Migrationsgeschichte häufig Probleme damit haben im Arbeitskontext gehört zu werden bzw. sich Gehör zu verschaffen. Das kann natürlich viele Gründe haben. Ein ganz zentrales Problem ist aber das fehlende Selbstvertrauen der Betroffenen.

Deshalb bieten wir am 28. Januar einen Kurs für „Freies Sprechen und sicheres Auftreten“ für Menschen mit Migrationsgeschichte an. Hier wird eine erfahrene Trainerin verschiedene, einfache Techniken vermitteln, wie das eigene Auftreten verbessert werden und der Druck vor wichtigen Gesprächen oder Vorträgen abgebaut werden kann.

Häufig ist es nämlich ganz einfach, die eigenen Ängste und Sorgen abzulegen. Auch etwaige sprachliche Barrieren müssen kein Grund für Unsicherheiten sein.

 

07. Februar 2024: Die Patient*innenvertretung in Deutschland (17:00 – 19:30)
Die Selbstvertretung von Patient*innen ist ein wichtiger Bestandteil der gesundheitsbezogenen Selbsthilfe. Diese sind als Expert*innen in eigener Sache zu betrachten und sind so extrem wichtig bei verschiedenen Fragen, die das deutsche Gesundheitswesen betreffen.

Da aber oft gar nicht klar ist, auf welchen Wegen Patient*innen sich überhaupt selber vertreten können, wollen wir im Rahmen des Projekts hier für etwas mehr Aufklärung sorgen.

Hierfür haben wir eine Referentin eingeladen, die selber nach Deutschland immigriert ist und für einige Jahre Mitglied des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) war. Sie wird neben inhaltlichen Themen auch zeigen, welche Hürden es für sie, als Person mit Migrationsgeschichte gab, sich im deutschen Gesundheitssystem zurecht zu finden und natürlich auch, wie sie diese bewältigen konnte.

Wir wollen in diesem Kurs neben der Wissensvermittlung über das deutsche Gesundheitssystem zeigen, welche Wege es für Menschen mit Migrationsgeschichte gibt, sich darin zurecht zu finden und wollen den Teilnehmenden so möglichst viele Tipps mit an die Hand geben.

 

29. Februar 2024: Empowerment und Austausch über Diskriminierungserfahrungen (17:00 -19:30) 
Die meisten Menschen mit Migrationsgeschichte machen in Ihrem privaten und beruflichen Umfeld, Erfahrungen mit verschiedenen Formen von Diskriminierung. Auch im Selbsthilfekontext kommt das leider immer wieder vor. Deshalb wollen wir in unserem vierten Kurs einen Safe-Space anbieten, in dem sich Betroffene über ihre Diskriminierungserfahrungen austauschen können.

Dieser Kurs wird von einer Trainerin geleitet, die selber betroffen ist und schon seit langem Empowerment-Kurse für Menschen mit Migrationsgeschichte anbietet. Hier wird also auch kein Mitarbeitender der BAG SELBSTHILFE anwesend sein.

Wir wollen mit diesem Angebot einen Raum bieten, in dem Gleichbetroffene in einem sicheren Umfeld miteinander sprechen können und idealerweise Strategien und Ideen entwickeln, schwierigen Situationen umgehen zu können.

Die Kurse finden alle in deutscher Sprache statt.

Es ist möglich sich sowohl für einzelne Kurse, als auch für die ganze Kursreihe anzumelden. Schicken Sie bei Interesse bitte eine E-Mail an marius.schlichting@bag-selbsthilfe.de

Kontakt

Marius Schlichting

Projektleiter

Tel.: 0211 31006-44
Fax: 0211 31006-48
Mail: marius.schlichting@bag-selbsthilfe.de

Hauptgeschäftsstelle
Kirchfeldstraße 149
40215 Düsseldorf